Den langsamen und mitunter sehr langen Filme von Carlos Reygadas wohnt eine naturalistische Leichtigkeit inne. Es hat etwas Meditatives, sich einem Werk wie Stellet Licht hinzugeben, das sich mit durchaus schweren Themen wie Glaube, Männlichkeit und Liebe auseinandersetzt. Das Label Slow Cinema hilft da nur bedingt, weil es letztlich über den Zugriff auf eine oberflächliche Ähnlichkeit die Eigenarten so unterschiedlicher Rhythmen und Dauern einebnet. Das Kino von Carlos Reygadas ist wesentlich positiver, wilder und spiritueller als beispielsweise das materialistisch-pessimistische Kino eines Béla Tarrs (The Turin Horse) und steht damit – allen kulturellen Unterschieden zum Trotz – einem Apichatpong Weerasethakul näher, wenngleich dieser wiederum eher den Geistern zugetan ist als dem pochenden Vitalismus des Mexikaners. 

Nuestro Tiempo erzählt in großen, ja tiefen Bildern von der Unmöglichkeit, eine Gegenwart zu erfassen. Das unschuldige Spiel der Kinder, die sich in der Zeit verlieren können, aufgehen im Spiel mit der Natur, wächst sich buchstäblich heraus. Der Poet Juan (Carlos Reygadas), der gleichzeitig eine Farm führt, lebt in einer offenen Beziehung mit der Tierärztin Esther, gespielt von Natalia López, die im echten Leben mit Reygadas liiert ist. Als die Frau mit einem unbedarften Einreiter eine Liebesaffäre eingeht, kann der freigeistige Künstler plötzlich nicht mehr damit umgehen.

Wie viel echtes Leben steckt in diesem Film? Handelt es sich um Autofiktion? Egal. Denn dieser Film ist ein Juwel von visueller Kraft. Nuestro Tiempo erzählt uns, was das Kino auch sein kann: ein einfühlendes Nachdenken und Erkunden durch Bilder. Unser Autor Lucas Barwenczik findet in seinem Text wundervolle Worte: „(…) es bereitet große Freude, dem Seismographen der Gegenwart beim Zappeln und Zittern zuzusehen. Den unglückseligen Figuren in ihrer Eifersucht, selbst dem Poeten, fällt es schwer, Worte für die Liebe zu finden. Sie können von Glück reden, dass die Welt um sie herum voll von Bildern dafür ist.“ Mehr muss man dazu nicht sagen.

Den Film gibt es bei Prime Video als kostenpflichtigen Stream.