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Zukunft des Geschichtenerzählens – Die B3 Biennale des bewegten Bildes

Vom 15. bis zum 23. Oktober 2022 feiert die B3 Biennale des bewegten Bildes ihr zehnjähriges Jubiläum und wartet neben ihrem facettenreichen Programm in Frankfurt am Main auch wieder mit einem Online-Angebot auf.

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B3-Titelbild
Shouting Down Midnight / Tildypops / Good Madam

Das crossmediale Bewegtbild-Festival B3 strebt seit nunmehr einer Dekade einen genreübergreifenden Diskurs mit nationalen und internationalen Kunst- und Medienschaffenden über Trends und Entwicklungen in den Bereichen Film, Kunst und Games sowie in Virtual- und Augmented-Reality-Systemen und auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz an. Innovation und interdisziplinärer Austausch innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft werden unter anderem durch Filmscreenings, Ausstellungen, Konferenzen und Workshops ermöglicht, die sich sowohl an Professionals und Nachwuchstalente als auch an die interessierte Öffentlichkeit richten.

Bei jeder Festivalausgabe steht ein Fokus-Thema im Mittelpunkt des Programms. Zudem werden jedes Mal die B3 BEN Awards vergeben. Zu den bisher ausgezeichneten Personen zählen etwa die Performance-Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson, der Musik-Pionier Brian Eno, der Kino-Avantgardist Jonas Mekas, der Regisseur und Videokünstler Steve McQueen (12 Years a Slave), die Künstlerin Anne Imhof und der dreifache Oscar-Gewinner Oliver Stone (Platoon, Geboren am 4. Juli).

2020 fand die B3 mit dem Fokus-Thema Truths bedingt durch die Coronapandemie als hybrides Format statt: Das Film- und Konferenzprogramm wurde virtuell abgehalten, die Eröffnung und die Verleihung der B3 BEN Awards wurden aus der Frankfurter Astor Film Lounge gestreamt. Und auch im Jahr darauf, in dem der Fokus auf dem Thema Identity lag, war das Festivalprogramm ausschließlich online verfügbar. 2022 wird es nun zum Fokus-Thema Transformation sowohl Angebote an verschiedenen Orten in Frankfurt am Main als auch im Netz geben.

Der BEN Award für das Lebenswerk wird auf der diesjährigen B3 an das aus Belgien stammende Filmemacher-Duo Luc und Jean-Pierre Dardenne gehen. Luc Dardenne wird den B3 BEN Award persönlich während der Eröffnungsgala in Empfang nehmen. Darüber hinaus wird er zusammen mit dem Filmkritiker und Journalisten Jörg Taszman am Samstag, den 15. Oktober 2022 eine Masterclass halten. Als Deutschlandpremiere wird die neueste Arbeit der Dardenne-Brüder Tori und Lokita gezeigt und mit dem Sonderpreis zum 75. Jubiläum der Internationalen Filmfestspiele von Cannes ausgezeichnet.

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Die Dardennes haben sich nach einigen dokumentarischen Produktionen und ersten Spielfilmen spätestens seit ihrem vielfach preisgekrönten Werk La promesse (1996) und dem mit der Goldenen Palme prämierten Cannes-Wettbewerbsbeitrag Rosetta (1999) als Meister der genau und äußerst empathisch beobachteten Gesellschaftsstudien etabliert. Mit Der Junge mit dem Fahrrad (2011) und Zwei Tage, eine Nacht (2014) konnten sie, nicht zuletzt dank der prominent besetzten Hauptrollen mit Cécile De France beziehungsweise Marion Cotillard, ein noch größeres Publikum erreichen. In Das unbekannte Mädchen (2016) kombinierten sie ihren sozialrealistischen Ansatz mit Genre-Elementen, indem zum präzisen Einblick in ein Milieu noch ein Whodunit-Plot hinzukam.

Tori und Lokita erzählt nun von der jungen Erwachsenen Lokita (Joely Mbundu), die sich als ältere Schwester des Waisenkindes Tori (Pablo Schils) ausgibt. Die beiden sind aus dem westafrikanischen Benin nach Belgien geflohen, doch nur Tori hat hier bisher Asyl erhalten. Als Lokita keine Chance mehr sieht, auf legalem Wege an Papiere zu gelangen, geht sie auf das Angebot ein, für drei Monate in einen Bunker zu ziehen und sich dort um eine unterirdische Cannabisplantage zu kümmern… Mit naturalistischen Momenten auf den Straßen von Lüttich sowie ungekünstelten Dialogen und feiner Figurenzeichnung gelingt den Dardenne-Brüdern abermals ein Stück Fiktion voller Wirklichkeit.

Tori und Lokita © Christine Plenus

Das dramaturgische und inszenatorische Potenzial im Rückgriff auf Genre-Bausteine, das die Dardennes seit einiger Zeit für ihre Arbeit entdeckt haben, offenbart sich auch im Horrordrama Good Madam, das auf dem Toronto International Film Festival 2021 uraufgeführt wurde und jetzt auf der B3 als Deutschlandpremiere läuft. Die südafrikanische Autorenfilmerin Jenna Cato Bass, Jahrgang 1986, schildert darin, wie die alleinerziehende Tsidi (Chumisa Cosa) zu ihrer entfremdeten Mutter Mavis (Nosipho Mtebe) ziehen muss. Diese ist als Hausangestellte für eine weiße „Madam“ tätig. Neben alten Familienkonflikten werden hier bald auch unheimliche Gespenster geweckt … Wie etwa auch in den Werken von Jordan Peele (Get Out, Nope), Ari Aster (Hereditary, Midsommar) oder Nia DaCosta (Candyman) wird das Grusel-Gewand genutzt, um sich sozialen und zwischenmenschlichen Problemen zu nähern. Weitere Genre-Mix-Beiträge im diesjährigen B3-Programm sind Razzennest von Johannes Grenzfurthner aus Österreich und die beiden US-Filme The Civil Dead von Clay Tatum und Jethica von Pete Ohs.

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Zur Spielfilmauswahl der B3 kommt das dokumentarische Filmangebot, so etwa Shouting Down Midnight von Gretchen Stoeltje, der auf dem South by Southwest Film Festival erstmals gezeigt wurde. Wir können darin miterleben, welche Auswirkungen der sogenannte Filibuster der ehemaligen texanischen Senatorin Wendy Davis auf junge Aktivist:innen hatte. Unter Filibuster ist eine Taktik zu verstehen, bei der durch eine Ermüdungsrede die rechtzeitige Abstimmung über ein Gesetz verhindert werden soll. In diesem Fall ging es um ein geplantes Abtreibungsgesetz in Texas: Um den Zugang der texanischen Frauen zur reproduktiven Gesundheitsversorgung zu verteidigen, las die Demokratin im Jahre 2013 fast elf Stunden lang Briefe von Betroffenen vor. Stoeltje geht hier den Hintergründen und Folgen nach.

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Neben der experimentellen Form, unter anderem in der in Deutschland realisierten Videocollage The Eclipse of the Black Sun von Jörg Rupert, findet auch der Kurzfilm seinen Platz im Programm. Im tragikomischen 22-Minüter Tildypops des Duos Tiggy Bayley und Oscar Downing geht es zum Beispiel um eine Jugendliche aus South London und deren Leben mit einem autistischen, alkoholkranken Bruder. Bayley, die auch den Hauptpart übernommen hat, verarbeitet hier eigene Erfahrungen. In Haukur Björgvinssons Heartless wird wiederum innerhalb von 15 Minuten eine Dystopie entworfen, in der es zu staatlichen Eingriffen in die intimsten Lebensbereiche der Menschen kommt – was, wie auch Shouting Down Midnight demonstriert, erschreckenderweise keine allzu abwegige Vorstellung, sondern teilweise schon traurige Realität ist.

Darüber hinaus gibt es die Gelegenheit, den New-Hollywood-Klassiker Der Pate (1972) von Francis Ford Coppola mit einem Star-Cast um Marlon Brando, Al Pacino, James Caan, Robert Duvall und Diane Keaton (noch einmal) auf großer Kinoleinwand (in restaurierter Fassung) zu sehen. Anlässlich des 50. Jahrestages des Mafia-Epos hält Adrian Wootton, CEO von Film London, vor dem Screening einen illustrierten Vortrag über die Entstehung des Films.

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Hollywood-Flair kommt auch durch den Produzenten Niels Juul in die hessische Metropole: Als Keynote-Sprecher gibt er Einblicke in seine Erfahrungen bei der Filmproduktion. Juul ist seit 2008 CEO der italienisch-amerikanischen Filmgesellschaft Cecchi Gori Pictures, die etwa die Martin-Scorsese-Arbeiten Silence (2016) und The Irishman (2019) und das von Michael Mann in Szene gesetzte, 2023 startende Biopic Ferrari mit Adam Driver als Enzo Ferrari finanzierte. Zu den weiteren Konferenz-Angeboten gehören unter anderem eine Masterclass mit dem Dramatiker und Drehbuchautor Daragh Carville über den Entwicklungsprozess einer TV-Dramaserie, ein Talk zum Thema „Ein Segen, das Geld aus dem Fördertopf! Geht es ewig so weiter?“ und ein Panel über freien Journalismus und dessen Grenzen.

Alle Informationen zur B3 finden sich auf der Festival-Homepage. Eine Übersicht über das Programm findet sich hier; alles Wichtige zu den Tickets ist hier zusammengefasst – und die verschiedenen Locations in Frankfurt am Main für alle, die vor Ort dabei sein wollen, gibt es hier auf einen Blick.

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