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Forscherinnen im Film – Eine Typologie

Ein Beitrag von Christian Neffe, Mathis Raabe

Zum Kinostart von „Die Gleichung ihres Lebens“ schauen wir uns die Darstellung weiblicher Wissenschaftsfiguren auf der Leinwand an — und versuchen uns an einer Typologie.

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Wissenschaftlerinnen im Film: Jurassic Park, Elemente des Lebens, Tomb Raider
Wissenschaftlerinnen im Film: Jurassic Park, Elemente des Lebens, Tomb Raider

Cillian Murphy als Joshua Oppenheimer (Oppenheimer), Benedict Cumberbatch als Alan Turing (The Imitation Game) und Thomas Alva Edison (Edison — Ein Leben voller Licht), Eddie Redmayne als Stephen Hawking (Die Entdeckung der Unendlichkeit) — alle paar Jahre präsentiert uns Hollywood ein neues Biopic über einen Wissenschaftler, der die Welt bewegt und vorangebracht hat, inklusive nahezu garantierter Oscar-Nominierung. Und nicht zu vergessen all die (fiktionalen) Wissenschaftler, die die Welt wahlweise retten oder ins Verderben stürzen.

Wir fragen uns: Wo sind all die Frauen, die die Wissenschaft geprägt haben und prägen? Die gute Nachricht: Es gibt sie, auch wenn sie gegenüber ihren männlichen Kollegen auf der Leinwand deutlich in der Minderheit sind. Jüngstes Beispiel: Die Gleichung ihres Lebens über eine junge Mathematikerin, die einem alten Problem auf die Schliche kommt. Wir haben weitere Exemplare gesammelt — und versuchen uns an einer Typologie von Wissenschaftlerinnen-Figuren.
 

„Twister“: Die Wagemutige

Die Wiener Soziologin Eva Flicker hat viel über Wissenschaftlerinnenfiguren im Film geschrieben. Dabei analysiert sie oft, die Figuren müssten typisch männliche Charakteristika annehmen, um als Wissenschaftlerinnen ernstgenommen zu werden, könnten damit aber meist nicht den Status der „echten“ Männer erreichen und müssten zugleich etwa an Attraktivität einbüßen.

Eine ungewöhnliche Dynamik präsentiert der 1996er Wirbelsturm-Blockbuster Twister. Die Figuren Dr. JoAnne Thornton-Harding (Helen Hunt) und ihr Expartner Bill (Bill Paxton), der eigentlich nur die Scheidungspapiere vorbeibringen wollte, dann jedoch in ein Abenteuer verwickelt wird, sind zwei vom selben Schlag: Für ihre Wetterforschung sind sie bereit, sich wortwörtlich ins Auge des Sturms zu begeben. Jurassic-Park-Autor Michael Crichton und seine Ehefrau Anne-Marie Martin, die zusammen das Drehbuch geschrieben haben, kehren hier die stereotypen Geschlechterzuschreibungen von Wagemut und Besonnenheit um: Er wollte sich eigentlich aus der gefährlichen Feldforschung zurückziehen und Fernsehmeteorologe werden. Sie muss ihn daran erinnern, dass er doch eigentlich das Abenteuer liebt.

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Einschränkend kann man sagen, dass der Film eine männlich sowie eine weiblich konnotierte Wissenschaft präsentiert: Als Action-Blockbuster findet Twister natürlich die Tornadoverfolgung nicht aufgrund theoretischer Details interessant, sondern weil diese Forscher*innen auf dem Weg zur Erkenntnis so große Risiken eingehen. Bills neue Partnerin dagegen ist Psychotherapeutin, ein risikoärmeres Berufsfeld. Deshalb bekommt sie von den Wirbelstürmen auch bald zu viel und verlässt die Bildfläche, um der Wiedervereinigung der beiden Adrenalinjunkies nicht im Weg zu stehen. Dr. JoAnne Thornton-Harding ist tatsächlich eine Figur mit typisch männlichen Charakteristika. Da Twister ein ziemlich origineller Mix aus Action, Wissenschaft und Beziehungsdrama ist, darf sie das aber sein, ohne an Attraktivität einzubüßen oder in punkto Status den männlichen Figuren nachzustehen.

Arrival“: Die Vernünftige

Die von Amy Adams verkörperte Dr. Louise Banks in Denis Villeneuves Erstkontakt-Meisterwerk Arrival agiert als einzige Frau in einem sonst komplett männlichen Umfeld. Das ist für eine solche Figur erst einmal nichts Ungewöhnliches, dafür aber ihre konkrete Funktion innerhalb dieses Kontextes: Als Sprachexpertin wird sie von der US-Regierung rekrutiert, um eine Kommunikationsgrundlage für den Austausch mit Aliens zu entwickeln — und erweist sich (neben ihrem Kollegen Ian Donnelly, gespielt von Jeremy Renner) als einzige, die bis zum Schluss einen kühlen Kopf bewahrt. Während die Militärs nämlich naturgemäß mit dem Finger am Abzug zittern und jedem auch nur minimalen Anzeichen von Aggression mit ebensolcher begegnen wollen, versucht sie zu beschwichtigen und eine pazifistische Lösung zu finden.

(c) Sony Pictures Germany

Während Männer ja gern als das rationalere Geschlecht angesehen werden, wird Frauen im Volksmund wiederum ein höheres Maß an Emotionalität und Empathie zugeschrieben. Banks vereint beides in sich — Rationalität und Empathie -, und gerade dieser Schulterschluss ist es, der die Erde nicht nur vor einer Katastrophe bewahrt, sondern sie letztlich in eine positivere Zukunft führt. Geradezu elegant umschifft Arrival dabei etwaige Klischees: Wenn Banks vom örtlichen Befehlshaber nicht ernst genommen wird, dann aufgrund ihrer Schlüsse als Forscherin, nicht aufgrund ihres Geschlechts, diesem typischen „Sie als Frau…“. Eine, gerade aufgrund ihrer Vielschichtigkeit, authentische und positive Figur.

Jurassic Park“: Love Interest und Scream Queen

Es wäre sicher falsch, Jurassic Parks Dr. Ellie Sattler (gespielt von Laura Dern) einzig auf ihre Rolle als Scream Queen und Love Interest von Sam Neills Figur zu reduzieren. Denn natürlich ist die Frau — eine Paläobotanikerin, also Expertin für ausgestorbene Pflanzen — eine Meisterin ihres Fachs, die mehrfach mit ihrem Wissen glänzen darf. Im Angesicht der Bedrohung durch gefräßige Urzeitechsen hilft ihr das aber nur geringfügig weiter — da ist Alan Grant doch eher gefragt. Und natürlich ergreift Sattler auch mal das Heft des Handelns, Dern darf dann aber in einer klassischen „Verfolgungsjagd in einem dunklen Keller“-Szene vor allem zeigen, was sie so an hochfrequenter Stimmgewalt zu bieten hat. Am Ende geht es dann doch nicht ohne die Rettung durch einen Mann. Oder durch eine noch größere Urzeitechse.

(c) Universal Pictures Germany

Insofern: eine Nebenrolle, und freilich auch eine wichtige, aber weniger in ihrer Funktion als Wissenschaftlerin, sondern vielmehr als symbolische Mutterfigur und als Jungfer in Nöten, die unserem männlichen Protagonisten die nötige persönliche Motivation für sein Handeln gibt.

„Indy 3“ und „Spider-Man“: Die Wahnsinnige

Es ist eines der abgegriffensten Klischees des Kinos: der wahnsinnige Wissenschaftler, der mit seiner Forschung die Welt absichtlich oder unabsichtlich in den Untergang stürzt. Zombies, Seuchen, weltvernichtende Laserstrahlen — meist geht das auf die Kappe solcher Männer. Und ja, das Wort „Männer“ ist hier absichtlich gewählt, denn Frauen wird eine solche Rolle doch äußerst selten zugesprochen. Ob man das nun positiv oder negativ bewertet, bleibt jeder/m selbst überlassen.

Ein paar Exemplare gibt es dann aber doch. Man denke an Alison Doodys Rolle im dritten Indiana Jones: die Archäologin aufseiten der Nazis. An die weibliche Doc Ock aus Spider-Man: Into the Spider-Verse. Oder an Poison Ivy aus Batman & Robin, eine Botanikerin, die von ihrer Faszination für Pflanzen völlig verschlungen wird.

Alison Doody in Indiana Jones 3
(c) Disney

Davon zu sprechen, dass diese Figuren etwas Subversives hätten, wäre zu hoch gegriffen — und doch bringen sie bisweilen eine überraschende Wendung ins Spiel. Wo Frauen im Genrekino ja ohnehin relativ selten antagonistische Positionen bekleiden, trifft Held (und Publikum) der Schlag umso härter, wenn sich die anfangs als harmlos (Spider-Man) und/oder unterstützend (Indy 3) erscheinende Wissenschaftlerin als Schurkin entpuppt und auch mal manisch in die Kamera lachen darf.

„Tomb Raider“: Das Sex-Symbol

Auch dieses Stereotyp muss angesprochen — und freilich kritisch hinterfragt — werden: die Forscherin als Sex-Symbol. Als Fetisch-Subjekt. Als Anschauungsstück für den male gaze, jedoch mit einem großen Feigenblatt, damit sich das männliche Publikum nicht ganz so unanständig fühlen muss. Denn hier gibt es ja — vorgeblich — nicht nur reizvolle körperliche Eigenschaften zu bestaunen, die Frau hat ja schließlich auch was im Kopf!

Angelina Jolie in Tomb Raider
(c) Concorde Video

So oder so ähnlich dürfte sich der ein oder andere die beiden Tomb-Raider-Filme mit Angelina Jolie schöngeredet haben. Schon in der Videospielvorlage war die Titelfigur ganz klar als überstilisierte Teenager-Fantasie angelegt, und die stets knappest bekleidete Jolie führt diese Rolle fort. Das ist per se nichts Verwerfliches, im Falle Tomb Raider jedoch knallhart kalkuliert. Zumal man sich immer wieder bewusst ins Gedächtnis rufen muss, dass Lara Croft nicht nur Hotpants und Pistolen tragende Action-Heroine, sondern tatsächlich Forscherin, Archäologin, Entdeckerin uralter Geheimnisse ist. Ein weibliches Pendant von Indiana Jones also — nur um ein Vielfaches mehr sexualisiert. Dazu gehört auch, dass etwaige männliche Love Interests alsbald wieder aus dem Weg geräumt werden, damit das männliche Publikum weiterhin träumen kann.

Gleichwohl gibt es auch eine andere Perspektive: nämlich Jolies Lara Crost als (damals) neue Ikone eines jungen weiblichen und queeren Publikums zu verstehen. Eine, so schreibt es Samuel Sims in einem Artikel von 2021, Powerfrau „taking zero crap, opposing the patriarchy, and running around with a big clock in her hand“.

Elemente des Lebens“: Die Arbeitswütige

Marie Curie war eine der bedeutendsten Forscher*innen des 19. und 20. Jahrhunderts. Entsprechend erschienen bereits mehrere Filme über ihr Leben und ihre Arbeit. Der jüngste aus dem Jahr 2019 von Marjane Satrapi, in dem Rosamund Pike Curie mit jeder Menge Kraft und Präsenz verkörpert — und dabei sowohl Klischees bedient als auch unterwandert. Denn natürlich war Curie nicht nur Forscherin, sondern auch Ehefrau und Mutter. Ein Mensch mit einem Privatleben abseits der Arbeit. Trotzdem wird sie in Elemente des Lebens zum Großteil genau darüber definiert, wenn sie sich im Labor vergräbt und verliert.

Rosamund Pike in "Elemente des Lebens"
(c) STUDIOCANAL GmbH

 

Das ist letztlich das, was sie als historische Figur bis heute so bedeutsam macht, und so liegt es in der Natur der Sache, dass der Film dies (über)betont. Und doch wirft er immer wieder (wenn auch nicht immer gewollt) die Frage auf, ob sich ein Leben für die Forschung und ein Leben als Familienmensch vereinbaren lassen. Elemente des Lebens zeigt zwar, dass dies durchaus möglich ist, und doch nimmt man Curie anschließend vor allem in ihrer Rolle und Funktion als Wissenschaftlerin wahr — und kaum als echten Menschen mit Gefühlen, Wünschen, Träumen. Der Weg der Wissenschaft, so scheint es, ist weitestgehend ein einsamer. Vor allem für Frauen.

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