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Kometenhafter Aufstieg und tiefer Fall eines Politstars — in „Projekt Ballhausplatz“ demontiert Kurt Langbein den selbstgeschaffenen Mythos Sebastian Kurz, offenbart aber auch ein paar wenige Lücken und blinde Flecken.

Projekt Ballhausplatz (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Demontage des Geilomobils

Der Ballhausplatz im 1. Wiener Bezirk in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hofburg markiert so etwas wie die Schalt- und Machtzentrale der Politik des Landes. Hier befinden sich unter anderem im Gebäude der früheren Geheimen Hofkanzlei und später des k.u.k. Außenministeriums das heutige Bundeskanzleramt der Republik Österreich. Als im Zuge der Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen Verbündete in der Österreichischen Volkspartei die Existenz eines Strategiepapiers namens „Projekt Ballhausplatz“ bekannt wurde, bewahrheitete sich, was Beobachter*innen der politischen Landschaft bei unseren Nachbarn schon lange gemutmaßt hatten: Kurz und ein kleiner Kreis von Getreuen hatten den innerparteilichen wie bundespolitischen Aufstieg an die Schalthebel der Macht minutiös geplant und sich dabei Methoden bedient, die mindestens frag-, wenn nicht sogar strafwürdig waren. 

In Projekt Ballhausplatz zeichnet der Journalist und Filmemacher Kurt Langbein (Landraub; 2015) die Karriere von Sebastian Kurz minutiös nach und findet dabei gleich zu Beginn ein treffendes Symbol für Machthunger und Größenwahn, die anscheinend untrennbar mit dem rasanten Aufstieg verbunden sind. Das „Geilomobil“, ein gewaltiger und PS-starker SUV der XXL-Klasse der Marke Hummer, mit der sich auch Arnold Schwarzenegger gerne blicken ließ, auf dessen Motorhaube ein ganz junger Sebastian Kurz in Macher-Pose lümmelte, dazu Werbesprüche wie „Schwarz macht geil“ und Bonbons in Formen von Kondomen markierten die ersten öffentlichen Auftritte des damaligen Nachwuchspolitikers im Wiener Gemeinderatswahlkampf des Jahres 2010. Zwar brachte der vollmundige PR-Auftritt nicht unbedingt den gewünschten Effekt, doch für den Vorsitzenden der JVP (Junge Volkspartei, die Nachwuchsorganisation der ÖVP) ging es fortan steil bergauf.

Langbein greift diese Episode, die so vieles über das anscheinend unerschöpfliche Selbst- und Sendungsbewusstsein von Sebastian Kurz aussagt, als roten Faden seiner nun folgenden Chronologie auf und zeigt in Zwischenschnitten immer wieder die langsame Demontage des Boliden, der in einer Werkstatt fachmännisch in seine Einzelteile zerlegt wird. 

In einer gelungenen Mischung aus Archivmaterial und Interviews mit Beteiligten und Zeug*innen der Machenschaft des inneren Kreises um den späteren Bundeskanzler arbeitet der Film brav die Stationen des Aufstiegs und die des Falls ab, erklärt, ordnet ein, hat aber selbst jenseits einer bloßen Chronik der Ereignisse wenig wirklich Neues zu bieten. 

Dass sich von den gezeigten Herrschaften niemand zu einer Stellungnahme bereit erklärte und vor der Kamera Platz nahm, versteht sich angesichts der mangelhaften Fähigkeit zur Selbstkritik fast von selbst. Wie allerdings auf den Film und dessen bevorstehenden Kinostart reagiert wurde, ist andererseits schon wieder typisch für die Machenschaften des Systems Kurz: Kurzerhand und mit Geld völlig unklarer Herkunft ausgestattet wurde ein zweiter Film über Sebastian Kurz angekündigt, der — wen wundert es? — viel glimpflicher, ja fast schon liebevoll mit dem „Wunderwuzzi“ umging. Kurz — Der Film, Regie: Sascha Köllnreitner, erfreute sich eines offensichtlich beachtlichen Werbebudgets und machte sonst vor allem deshalb von sich reden, weil zahlreiche Besucher*innen, die Karten vorab reserviert hatten, aber nicht in den Kinos erschienen. Ein Schuft, wer dabei vermutet, dass es sich um einen PR-Stunt gehandelt haben könnte, bei dem die Besucherzahlen geschönt werden sollten. Möglicherweise ist dieser hektische Aktionismus vielleicht das größte Lob, dass man diesem Film machen kann.

Dass der Film in Österreich selbst etwas bewirkt hat, bleibt dann doch eher anzuzweifeln: Die immer noch vorhandene Fanbase und die Mitläufer*innen des geradezu mafiös anmutenden Systems Kurz sind gegen solche Enthüllungen gefeit und stehen weiterhin loyal zu ihrem Idol. Und so hat Projekt Ballhausplatz ein Problem, das andere Dokumentarfilme ähnlichen Zuschnitts ebenfalls kennen: Diejenigen, die sich dafür interessieren, wissen meist eh um das Gezeigte. Und diejenigen, die daraus etwas lernen könnten, sind derart faktenresistent, dass sie erst recht nicht ins Kino gehen. Und so erfreut sich der „radikale Konservatismus“ (so benennt es die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl in ihrem gleichnamigen, sehr erhellenden Buch) eines Sebastian Kurz weiterhin europa- wie weltweit so großer Beliebtheit, dass nicht einmal die Rückkehr des gefallenen Wunderknaben der ÖVP auf die ganz große politische Bühne mehr ausgeschlossen zu sein scheint.

Projekt Ballhausplatz (2023)

2010 katapultiert sich Sebastian Kurz per Geilomobil ins Zentrum der Aufmerksamkeit, kurz darauf ist er Integrationsstaatsekretär, Außenminister, ÖVP-Chef und schließlich 2017 Kanzler. Der Weg an die Spitze war akribisch geplant, unlautere Mittel inklusive. Die Macht über den Staat war in der Hand ein paar weniger Menschen, seinen „Prätorianern“, wie sie sich selbst bezeichneten. Die Medien, zunächst skeptisch, liegen Kurz bald zu Füßen. In Deutschland feiert die Bild-Zeitung den „Klartext-Kanzler“ aus Österreich bis heute. Man möchte meinen, ein Comeback stehe im Raum, während in Österreich die Aufarbeitung gerade erst in die Gänge kommt.

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