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Enough Said – Schräge Filmkonzepte

Der süße Pu-Bär als Slasher-Figur? Das ist als Konzept ebenso bizarr wie einfach erklärt. Zum Start von „Winnie the Pooh: Blood and Honey 2“ hat die Redaktion die aberwitzigsten und pointiertesten Filmideen gesammelt.

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Schräge Filmkonzepte

„Der weiße Hai“, aber als Film über schlechtes Wetter — na klar, „Sharknado“! Der Titel genügt bereits, um die Prämisse des Films zu schildern. „Snakes on a Plane“, „Abraham Lincoln Vampirjäger“, „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ – da muss wirklich niemand die Synopsis lesen, um zu wissen, worum es wohl gehen wird. Historie als Horror-Nonsens, ein Märchenklassiker als Actionfilm – der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Aber wie gut funktionieren solche Werke abseits ihrer knackigen Marketing-Strategie?
 

Minoru Kawasakis Tierfilme

Filmtitel, die nicht Poesie in der Abstraktion suchen, sondern genau das versprechen, was dann auch geliefert wird, finden sich vor allem in zwei einander scheinbar gegensätzlichen Kontexten. Bei Filmen, die der bildenden Kunst verwandt sind drücken sie nüchterne Sachlichkeit aus. Wobei Andy Warhol vermutlich schon gelacht hat, als er Filme wie Sleep oder Taylor Mead’s Ass benannte, die dann auch jeweils in einer einzigen Einstellung nichts anderes zeigen als den schlafenden Beat-Poeten John Giorno und das Gesäß seines Kreativpartners Taylor Mead.

© Vinegar Syndrome

Zum Zweiten findet man besonders laute derartige Titel natürlich im Exploitationkino. Dort sind sie ein zielgruppengerechtes Werbemittel. Man denke an Erotisches wie Doris Wishmans FKK-Film Nude on the Moon. Auch im Porno-Metier gilt: Nomen est omen. Oder man denke an Party-Trash wie den eingangs erwähnten Sharknado. Da fällt auf: Die Titel haben auffällig oft Bezug zur Tierwelt. Big Ass Spider!, Cocaine Bear, Hundreds of Beavers. Einer hat sich im Feld des Tier-B-Films besonders hervorgetan: der japanische Regisseur Minoru Kawasaki.

© Ascot Elite

Kawasaki ist ein Parodist, der sich oft auf bestimmte Genre-Tropen und Filmklassiker bezieht. Dabei nimmt er allerdings seine Figuren und seine Welten ungeachtet ihrer Absurditäten ernst: Dass einzelne Tiere unter den Menschen leben, menschliche Berufe ausüben und wie Menschen Beziehungen führen, wird nie kommentiert. Da wäre Der Calamari-Wrestler, in dem ein Kampfsport-Champion von einem Neuankömmling übertrumpft wird. In den Bergen muss er Training und Rat eines alten Meisters suchen, um sich auf den Rückkampf vorzubereiten. Das ist ein ganz typischer Plot des Kampfkunst-Kinos – nur dass der Antagonist hier eben ein Tintenfisch ist. Executive Koala ist noch dramatischer, ein Thriller: Der titelgebende Büroangestellte sucht den Mörder seiner Freundin und gerät dabei selbst unter Verdacht. Kani Goalkeeper schließlich ist angelehnt an Forrest Gump: Eine Figur mit Lernschwächen kämpft darum, Fußballtorwart zu werden. Dass diese Figur eine Krabbe ist, scheint indes in der Filmwelt vollkommen normal zu sein.

Mathis Raabe

Fatman

Ein beleidigtes Kind hetzt einen Auftragskiller auf den Weihnachtsmann.

Allein diese fantastische Prämisse macht Fatman zu einem der… nein, eigentlich dem ungewöhnlichsten Weihnachtsfilm, den ich bislang gesehen habe. Wäre die schwarze Komödie von Eshom und Ian Nelms nur das, allein das wäre schon genug. Hinzu kommt aber noch ein graubebarteter Mel Gibson in der Hauptrolle als griesgrämiger Chris Cringle in der Midlife-Crisis (oder doch Endlife-Crisis?) und ein ebenso witziges wie durchdachtes Drumherum: In Ermangelung finanzieller Mittel vermietet der Weihnachtsmann seine Werkstatt an das US-Militär, wo eifrige Elfen fortan Waffen produzieren sollen. Die übrigens ernähren sich ausschließlich von Zucker.

Währenddessen macht sich besagter Killer (Walton Goggins) auf die Spur von Cringle — auch er hat noch eine Rechnung aus der Kindheit mit ihm offen. Im finalen Duell folgt schließlich einer der besten Sätze der jüngeren Filmgeschichte: „Glaubst du, als Weihnachtsmann reicht es, fett und fröhlich zu sein?“ Hollywood (und Coca-Cola) war in den letzten Jahrzehnten geradezu krampfhaft darum bemüht, uns zu verklickern, dass der Weihnachtsmann eine durch und durch positive Figur ist. Dass da aber auch diese andere, diese dunkle Seite ist, mit der — Achtung, grumpy old man speaking — früher noch gedroht wurde, wer nicht artig ist, bekomme eben keine Geschenke, sondern die Rute, das ist dabei fast in Vergessenheit geraten. Aber eben nur fast! Fatman sei Dank.

Christian Neffe

Swiss Army Man

Eine Leiche als Schweizer Armeemesser? Gespielt von Daniel Radcliffe? Auf so eine Idee muss man erstmal kommen. Bevor die Daniels mit ihrem ebenso schrägen Multiverse-Abenteuer Everything Everywhere All at Once die Welt im Sturm eroberten, schickten sie den Swiss Army Man auf eine flatulierende Reise durch den Wald. Die Winde aus dem Hintern des Toten werden zum Antrieb auf dem Wasser. Aus seinem Mund kann er Gegenstände schießen und für emotionalen Halt des verlorenen Paul Dano sorgt der leblose Zeitgenosse auch noch. Und statt Arschbombe gibt es die Arschrakete:

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Bei all dem wahnwitzigen Fäkal-Erektions-Humor ist es schon erstaunlich, wie gut es dem Film gelingt, am Ende eine tragische und verdammt traurige Geschichte über Einsamkeit und Weltflucht zu erzählen. Hank (Dano) ist auf einer einsamen Insel gestrandet und stößt am Strand auf besagte Leiche, die er auf den Namen Manny (Radcliffe) tauft. Manny wird zu seinem Ticket zurück in die Zivilisation, ein Mehrzweck-Tool, wie es sich jeder Survival-Trainer wünschen würde. Das ist mitunter morbide, absurd und jenseits des guten Geschmacks. Und doch hoch philosophisch, zärtlich und klug. 

Wer auf den Geschmack kommen will, dem sei folgende Episode der Graham Norton Show empfohlen:

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 Sebastian Seidler

Teeth

Eigentlich ist Mitchell Lichtensteins satirische Horrorkomödie gar nicht so schräg – sagt der Kulturwissenschaftler. Die Vagina Dentata ist ein patriarchaler Mythos, in dem sich die gesamten Widersprüche hypermaskuliner Denkgebäude zeigen: Hüte dich vor der Vagina der Frau, denn sie wird dich verschlingen. Die freud’sche Kastrationsangst singt freudig auf: Schnapp und schon ist er weg, der Phallus. Folglich muss der Mann die Frau zähmen, sie unterwerfen und kontrollieren – ihre Sexualität domestizieren. Ach ja… wenn wir nicht bis heute mit ebendiesen Rollenbildern und der Gewalt, die daraus folgt, zu kämpfen hätten, wäre es beinahe lustig. Denn durch die Geschichte des Patriarchats zieht sich eine seltsame Spannung aus Ekel und Angst vor der Weiblichkeit (vor der Menstruation), bei gleichzeitigem Begehren und wollüstiger Hingabe, die sofort in Gewalt umschlagen kann.

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Und die Vagina, die hat Zähne… damit macht Teeth Ernst. Und ja, es wird schräg. Eine fundamentale junge Christin, die für sexuelle Abstinenz wirbt, muss sich mit ihrer eigenen Sexualität und der sexuellen Gewalt der Männer auseinandersetzen. Als ein Mitglied ihrer Glaubensgemeinschaft sie zu vergewaltigen versucht, beißt die Vagina ihm den Penis ab. Und damit beginnt eine Reise in die Selbstermächtigung, die der Rape Culture an die Eier geht.

Lichtenstein nimmt den Mythos ernst und macht aus seiner Heldin eine moderne Medusa, die nichts anderes macht, als zu eben jenem gefährlichen und verführerischen Wesen zu werden, vor dem sich Mann so fürchtet. Das wird angemessen blutig und selbstironisch inszeniert, ohne dabei die harte Realität zu verdrängen: In jeder noch so witzigen Szene, in der ein übergriffiger Dude seine Penisspitze verliert, bleibt der Schrecken sexueller Gewalt, dem Frauen ausgesetzt sind, präsent. Somit gehört Teeth in eine ganze Reihe (proto)feministischer Horrorfilme – von Carrie über Ginger Snaps und When Animals Dream bis zu Titane –, die Weiblichkeit durch Horrorbilder und Körperlichkeit anders aufladen, gesellschaftliche Probleme zuspitzen oder schwesterliche Subversion und Emanzipation imaginieren. Großartig, und heute genauso wichtig wie 2007. Denn der Rückfall in antifeministische (antiqueere, homophobe und transfeindliche) Kultur schreitet im Zuge des Rechtsrucks munter voran. An Teeth können sich die neuen alten Konservativen gerne verschlucken.

Sebastian Seidler   

Rubber

Bereits 1978 erfreute meuchelndes Gemüse (Angriff der Killertomaten; Regie: John De Bello) die Herzen seines trashaffinen Publikums und damit meinte man, sei eigentlich die Spitze der Absurdität erreicht. Dem Ursprungswerk folgten drei Nachfolger, deren erster einem gewissen George Clooney eine seiner ersten Rollen bescherte; der letzte Teil Killer Tomatoes eat France (1991) schaffte es dann überhaupt nicht mehr in deutscher Sprache auf die Leinwand, was vielleicht auch besser so war.

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Knapp 20 Jahre später allerdings betrat ein filmisches wie musikalisches Talent die Bühne, dem die Absonderlichkeiten der Mördertomaten noch nicht weit genug gingen: Quentin Dupieux, unter dem Künstlernamen Mr. Oizo auch in elektromusikalischen Zusammenhängen unterwegs, zauberte mit Rubber einen Film auf die Leinwand, der den Wahnsinn des mordenden Gemüses noch einmal weiter auf die Spitze trieb. Dort nämlich mordet ein ausrangierter Autoreifen mittels telekinetischer Kräfte zuerst Kleingetier, bevor er sich auf Menschenjagd begibt. 

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Und weil Dupieux sich nicht nur mit Variationen bekannter Formeln begnügt, sondern seine Filme gerne mit Meta-Ebenen versieht, durchbricht gleich zu Beginn des Films ein Polizist als Erzähler die vierte Wand und erklärt die „reine Willkür“ der Geschichte zum Grundprinzip aller guten Filme. Und damit nicht genug: Eine Gruppe von Zuseher*innen wird von einer Art tollpatschigem Spielleiter mit Ferngläsern versehen und beobachtet jede Tat des mordenden Reifens – und zwar völlig unabhängig davon, ob das Publikum dazu überhaupt rein optisch in der Lage wäre. 

Wer nun meint, mit solch herrlichem Blödsinn sei einem zwar Kultstatus gewiss, nie aber höhere Weihen, der muss sich seit kurzem eines Besseren belehren lassen: Der neueste Streich von Quentin Dupieux, der gerade erst mit Yannick und Daaaaaali! zwei weitere Beweise seiner filmischen Exzentrik vorgelegt hat, eröffnet in diesem Jahr mit Le deuxième acte das Filmfestival in Cannes. Mehr Anerkennung geht wohl kaum. 

Joachim Kurz
 

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