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Interviews

Die Pflicht zur Eigenwilligkeit - Im Gespräch mit Dietrich Brüggemann

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

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Dietrich Brüggemann

Auf dem zwölften Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein hat der 1976 geborene Filmemacher Dietrich Brüggemann Mitte Juni sein Werk Heil noch einmal präsentiert; auf dem diesjährigen Filmfest München sitzt er nun in der dreiköpfigen Jury für den Förderpreis Neues Deutsches Kino. Andreas Köhnemann traf Brüggemann und sprach mit ihm unter anderem über Humor im deutschen Film sowie das Problem der Filmkritik.

Herr Brüggemann, in Ihrem Film „Heil“ sagt eine Figur: „Ich finde deutsche Filme eigentlich nie lustig.“ Entspricht das Ihrer eigenen Auffassung?

Zu dem Geschimpfe über den deutschen Film kann man sich eigentlich nur so verhalten, dass man es gleich in den Film selbst mit einbaut. Das ist wie das Geschimpfe über die Deutsche Bahn — es geht eigentlich nur als Meta-Geschimpfe … Wenn auf YouTube unter jedem Trailer zu einem deutschen Film zwanghaft-automatisch kilometerweise Kommentare wie „Deutscher Film — doof, doof, doof!“ kommen, denkt man: Ihr seid doch bescheuert! Und dann guckt man so eine Deutsche-Filmpreis-Kiste und denkt plötzlich: Stimmt, die ganzen YouTube-Kommentatoren haben total Recht, das ist ja wirklich alles doof … Das ist, wie wenn man aus einer schrecklichen Horrorfamilie kommt, die man eigentlich selbst furchtbar findet — aber sobald jemand von außen sagt, dass es eine schreckliche Horrorfamilie ist, will man sie verteidigen, weil man selbst dazugehört.

Und was das ‚Lustig-Sein‘ betrifft — warum funktioniert das in deutschen Filmen oft nicht?

Hier ist die Frage: Was muss man leisten, um Humor und Witz herzustellen und möglich zu machen? Und das hat viel mit einem unverstellten, offenen, ehrlichen Blick auf die Beschissenheit der Dinge zu tun — den zum Beispiel unsere dänischen und österreichischen Nachbarn sehr gut beherrschen. Die haben immer einen gnadenlosen Blick. Und die Briten sowieso auch. In Deutschland funktioniert das aus irgendeinem Grund nicht so. Aber es gibt natürlich Ausnahmen, es gibt deutsche Filme, die in einer unglaublichen Bösartigkeit unglaublich lustig sind — aus den letzten Jahren etwa der erste Langfilm von Maren Ade, Der Wald vor lauter Bäumen, oder Sie haben Knut von Stefan Krohmer. Das sind wahnsinnig präzise, treffsichere und saukomische Filme. Und so etwas wird in Deutschland auch durchaus wertgeschätzt. Es muss ja irgendetwas heißen, dass Monty Python in Deutschland eine Fan-Gemeinde hat wie sonst nirgendwo. Ab und zu kriegt es auch hierzulande dann mal einer mit der Humorproduktion hin — Loriot oder die Neue Frankfurter Schule um Robert Gernhardt … Das beste Buch zum Thema ‚Drehbuchschreiben‘ heißt übrigens The Comic Toolbox. Das ist ein Komödien-Schreibratgeber — und darin steht eine brillante Definition von comedy: „Comedy is truth and pain.“ Wahrheit und Schmerz, das trifft es wirklich verdammt gut.


(Bild aus Heil; Copyright: X-Verleih)

Wenn Sie mit Ihrer Schwester Anna Brüggemann oder allein, wie bei „Heil“, ein Drehbuch schreiben — gibt es da die Befürchtung, dass Ihr Humor vom Publikum nicht oder völlig falsch verstanden wird?

Nein, da bin ich optimistisch. Mein Publikum ist hochintelligent und hat große Freude an so etwas. Wenn nicht, dann ist es nicht mein Publikum. Das hat bisher ganz gut funktioniert. An Heil scheiden sich natürlich die Geister. Aber die Leute, die mir wichtig sind, haben den Film total verstanden und gefeiert — bis auf eine einzige Person, von der ich das nicht gedacht hätte.

Von deutschen Filmkritiker_innen wurde „Heil“ äußerst kontrovers aufgenommen. Wie beurteilen Sie die Filmkritik in Deutschland?

Es gibt ein inhärentes Problem der Filmkritik — und das ist Konservativismus, Rückwärtsgewandtheit. Wenn da ein Film daherkommt, der das heutige Berlin beschreibt, aber in Schwarz-Weiß und mit Jazzmusik, dann finden das 60-jährige Kritiker, die das noch aus ihrer Jugend kennen und mit Woody Allen aufgewachsen sind, natürlich toll. Ich sage: Es ist reaktionär. Wer auf etwas rekurriert, was schon mal da war, hat bei der Kritik immer leichteres Spiel als jemand, der etwas macht, was noch nie da war. Und speziell in Deutschland neigt der Kritiker zum Nerdtum — und der Nerd neigt zum Spießertum: Das ist so ein zorniges Aufstellen von Kategorien, so eine Modelleisenbahner- und Kleintierzüchter-Leidenschaft, bei der überhaupt keine Querverbindungen gezogen werden und überhaupt nicht außerhalb dieser Kategorien-Box gedacht wird. Bei Heil gab es zum Beispiel ganz oft diese Unfähigkeit der Filmkritik, Ernst und Komik zusammenzudenken — dass da unter der Komik etwas Ernstes liegt. Auch bei 3 Zimmer/Küche/Bad gibt es Momente, die brüllend komisch sind, aber darunter todtraurig — und da wurde einfach nur die Komik gesehen: „nette Komödie“ … Ich glaube, es ist schon spezifisch deutsch, dass man Angst hat, die Kategorien durcheinanderzuwirbeln. Aber dafür ist Kunst doch eigentlich da.

Würden Sie auch Labels wie „German Mumblecore“ zu diesen Kategorien zählen? Oder wie finden Sie solche Labels?

Diese ganze ‚Labelei‘ finde ich furchtbar. Leider funktioniert das Business so. Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass ich nie unter einem Label gesegelt bin. Wobei mir mindestens die Hälfte der German-Mumblecore-Leute extrem sympathisch ist. Ich habe auch viele Gemeinsamkeiten mit denen, ich hänge viel mit Jakob und Tom Lass rum und Axel Ranisch; Aron Lehmann und ich lieben uns heiß und innig. Ich würde eher sagen, wir sind so eine Bewegung. Kein Mensch würde mich jemals zu German Mumblecore hinzuzählen, weil ich ja auch keine Impro-Filme mache, aber von der Geisteshaltung her sind wir verwandt: wie wir auf Menschen gucken. Das finde ich viel interessanter als die Frage, ob jemand Drehbücher schreibt oder improvisiert — den Blick aufs Leben und auf den Menschen. Und die haben auch so eine Art, Humor zuzulassen, aber eben nicht auf Kosten des ernsten Restes. Dann gibt es allerdings auch Leute, die unter demselben Label segeln und Impro-Filme machen, bei denen ich mir denke: Ja, gut, ihr habt jetzt eine Bewegung — viel Spaß damit … Es gibt bei solchen Bewegungen immer jede Menge Trittbrettfahrer. Ich wollte da entweder der Allererste sein oder dagegen stehen.


(Bild aus 3 Zimmer/Küche/Bad; Copyright: Zorro)

Sie haben gerade das ‚Business‘ erwähnt. Wenn über den deutschen Film gesprochen wird, wird meistens auch über das deutsche Filmförderungssystem gesprochen. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Bereich gemacht?

Gute und schlechte. Es wird ja immer gerne auf Fernsehredakteure geschimpft. Da habe ich zum Beispiel nur gute Erfahrungen gemacht. So eine Mischung aus Control-Freakigkeit und mangelndem Sinn fürs Offensichtliche habe ich teilweise eher bei Produzenten gesehen — die wiederum in einigen Fällen vorher Fernsehredakteure waren. Man kann das aber nicht auf eine Berufsgruppe abwälzen, man kann es nicht auf das System abwälzen. Man kann sagen, dass das System eine gewisse Geisteshaltung hervorbringt, mit der wir alle zu tun haben. Da gibt es so einen kleinen Zensor, den jeder im Kopf sitzen hat. Und diesen kleinen Zensor im eigenen Kopf muss man totschlagen. Da sehe ich vor allem die Regisseure in der Pflicht: Man hat die Pflicht zur Eigenwilligkeit — und dazu, sich durchzusetzen. Aber natürlich auch Redakteure, Produzenten oder Caster — dass die sich mal für jemanden einsetzen. Einen Film zu drehen ist leider arschteuer, man muss das Geld irgendwoher kriegen. Das bringt es mit sich, dass da so ein System entsteht, bei dem das Geld verteilt wird. Und da muss man dann für sich selbst entscheiden: Kann ich mit diesem System arbeiten oder nicht? In Dominik Grafs Verfluchte Liebe deutscher Film wird ja sehr glaubhaft vermittelt, dass Roland Klick und Roger Fritz das ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr konnten — Sachen in Gremien einreichen, den Leuten einzeln hinterherlaufen und so weiter … Gremien neigen natürlich zur Verknöcherung. Und das ist in Deutschland wirklich spürbar. Da bin ich auch immer gegen angerannt. Je eigenwilliger meine Filme wurden, desto schwieriger wurde es. Irgendwann hat man dann erstaunlicherweise trotzdem einen Namen, der es wieder einfacher macht. Aber es ist eindeutig nicht die beste aller Situationen. Wahrscheinlich ist ein System, in dem man ein einziges, Zigarre rauchendes Arschloch überzeugen muss, besser als diese fatale Neigung des Deutschen zum sozialdemokratischen Konsens, der alle mitnimmt — diese sechzehnköpfigen Gremien, in denen auch noch der Ortsvorsitzende des Verbandes der Friseurdienstleister seine Bedenken auf den Tisch legen darf.

Und welche Möglichkeiten bieten Filmfestivals und Auszeichnungen für Filmemacher und deren Arbeit? Gibt es auf diesem Gebiet auch Mankos?

Festivals bringen schon auch ihren Betriebskonsens hervor. Es ist natürlich schön: Man lernt da Leute kennen und es entstehen neue Sachen. Durch große Festivals wie Cannes oder Venedig oder Berlin kommt es aber auch zu einer gewissen Musealisierung — und zu Filmen, die gehypt werden, aber trotzdem keine richtige Kraft haben. Ich nenne mal nur zwei Beispiele aus Cannes von 2015: Zum einen The Lobster und zum anderen Arabian Nights. Das waren die gehypten Filme des Festivals. Aber Entschuldigung, ich sehe es nicht so: Beide Filme haben nicht die Power, die ein großer Kinofilm eigentlich hat. Das sind eher so Kopfgeburten von sehr, sehr egozentrischen Filmemachern. Da fehlt mir diese allgemeingültige Zwangsläufigkeit, die Kino früher hatte — dass ein Film mich einfach mitnimmt, ohne dass ich um Erlaubnis gefragt werde.


(Bild aus Kreuzweg; Copyright: Camino Filmverleih)

Können Sie schon etwas zu kommenden Projekten von Ihnen sagen?

Ja, es gibt zwei Projekte — das ist allerdings noch nicht so spruchreif. Das eine ist ein sehr experimenteller Film, bei dem wir mit einem ganz kleinen, Doku-ähnlichen Team umherziehen, der sehr spontan sein soll, aber gleichzeitig auch mit vielen Digitaleffekten. Ich weiß nicht, ob es das so schon mal gegeben hat. Und das andere ist größenwahnsinnig. Da brauche ich sehr viele Millionen — keine Ahnung, ob ich die jemals zusammenkriege. Das versuchen wir gerade anzuschieben.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

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