Log Line

Viel Häme musste Nicolas Cage in letzter Zeit für seine enthemmten Ausflüge in den Direct-to-Video-Bereich über sich ergehen lassen. Mit der surrealen Satire „Dream Scenario“, die ihn als Traumgänger wider Willen zeigt, beweist er: Nach wie vor steckt in ihm ein echter Charaktermime.

Dream Scenario (2023)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Macht der Träume

Warum Träume ebenso faszinieren wie irritieren, liegt auf der Hand. Oft sind sie verschwommen, dem wachen Geist schnell entglitten und/oder derart abstrus, dass wir uns verwundert fragen, was sie wohl ausgelöst haben mag. Vor allem der Aberwitz vieler nächtlicher Schlafbilder dient dem Norweger Kristoffer Borgli („Sick of Myself“) in seinem US-Debüt „Dream Scenario“ als Ausgangspunkt für eine mit Horrormotiven versehene Mischung aus Charakterstudie und Gesellschaftssatire. In deren Zentrum steht mit Nicolas Cage genau der richtige Darsteller. Heutzutage häufig auf seinen Hang zum exzessiven Ausagieren reduziert, beweist er hier zum wiederholten Mal, dass er mehr als einen Gemütszustand beherrscht. Wer mit der vom Regisseur erdachten Geschichte nichts anzufangen weiß, dürfte zumindest der Performance des Hauptdarstellers etwas abgewinnen können.

Dass uns Dream Scenario in bizarr-surreale Gefilde entführen wird, unterstreicht schon der Einstieg: Als ein dicker, plötzlich herabsausender Schlüsselbund die Glasplatte eines Gartentischs durchschlägt und erst ein Schuh, dann ein Mensch vom Himmel in einen Swimmingpool stürzt, fährt es einem auf der Terrasse sitzenden Mädchen in alle Glieder. Ein Mann mit Halbglatze, den sie flehentlich mit Dad anspricht, harkt dagegen ungerührt weiter das Laub zusammen und versichert, dass alles gut sei.

Jener Hobbygärtner namens Paul Matthews (Nicolas Cage) entpuppt sich nach einem Schnitt tatsächlich als Vater der Teenagerin Sophie (Lily Bird), deren Traum wir zuvor gesehen haben. Wie so oft in letzter Zeit ist er seiner Tochter im Schlaf erschienen und hat ihr in einem Moment maximaler Verunsicherung nicht geholfen. Noch amüsiert sich die Familie, zu der auch Pauls Ehefrau Janet (Julianne Nicholson) und Sophies ältere Schwester Hannah (Jessica Clement) gehören, am Frühstückstisch darüber. Doch nur wenig später ist im Alltag des eigentlich so farblosen Biologiedozenten, der schon ewig ein Buch über Ameisen schreiben möchte, nichts mehr wie zuvor. 

Alle möglichen Menschen, ob bekannt oder unbekannt, berichten auf einmal von ihren Träumen, in denen Paul tatenlos durch eine bedrohliche Szenerie schreitet. Der nun von seiner Umwelt ganz anders gesehene Durchschnittstyp freut sich zunächst über die ungewohnte Aufmerksamkeit und lässt sich, gegen Janets Rat, auf ein erstes Interview ein. Was folgt: Im Nullkommanix wird er zu einem Medienstar, um den sich die Werbeagenturen nur so reißen. Nach einem Treffen mit der PR-Assistentin Molly (Dylan Gelula), die in ihren erotisch aufgeladenen Träumen von einem nicht gerade passiven Paul besucht wird, wandelt sich unverhofft die Wahrnehmung des gehypten Professors.

Mit Blick auf die skurrile Prämisse darf man ruhig verraten, dass Kristoffer Borgli Pauls Auftauchen in den Träumen so vieler anderer Menschen nicht ergründet. Gut so! Denn dadurch kann er sich ganz auf die Berg- und Talfahrt seiner Hauptfigur konzentrieren, muss keine Umwege beschreiten, um Erklärungen an den Haaren herbeizuziehen. Fixpunkt des Films ist der von Cage zunächst herrlich verdruckst gespielte Biologe, der es in seinem Leben gerne weiter bringen würde. Im Gespräch mit einer Kollegin (Paula Boudreau), die offenbar einen Text über sein berufliches Interessengebiet veröffentlichen will, spürt man seinen Frust. Nicht zuletzt darüber, dass er es versäumt, sie energisch zur Rede zu stellen. Als er dann als Traumgänger auch von seinen sonst indifferenten Student*innen gefeiert wird, läuft er mit einem deutlich breiteren Grinsen durch die Welt. Allerdings kann er selbst in den Träumen der Leute scheinbar nicht ganz aus seiner Haut. Denn warum nur bleibt er stets ein passiver Beobachter, greift nie heldenhaft ein?

Unverkennbar spielt Borgli mit einer Grundregel des klassischen US-Erzählkinos: Protagonist*innen sollen aktiv sein, mutige Entscheidungen treffen, sich ihrem Schicksal entgegenstemmen. Paul indes muss eher hilflos mit ansehen, wie ihm nach dem kometenhaften Aufstieg, wenn das Geschehen mehr und mehr ins Blutig-Schauerliche kippt, alles zu entgleiten droht. Unsere schnelllebige Medienlandschaft, in der ein heißes Ding das nächste jagt, zieht Dream Scenario dabei ebenso durch den Kakao wie eine um sich greifende Überempfindlichkeit. „Trauma ist heute ein Trend!“, heißt es an einer Stelle. Ein provokanter Satz, der dennoch seine Berechtigung hat. Dass wir inzwischen viel differenzierter und sensibler über viele Themen sprechen, ist richtig und wichtig. Manchmal werden die eigenen Gefühle aber auch auf erstaunlich groteske Weise emporgehoben. Was passiert, wenn persönliche Befindlichkeiten zum obersten Gradmesser werden, illustriert der Film auf bissig-überspitzte Weise am Beispiel des armen Paul, der zu einer Persona non grata mutiert. Selbst sein engster Kreis macht ihm irgendwann Vorwürfe, die jeglicher Grundlage entbehren.

Kritisch blickt das Drehbuch auch auf den Drang, jedes Aufmerksamkeit generierende Phänomen finanziell auszuschlachten. Erst recht, wenn, wie in diesem Fall, die Möglichkeit besteht, mit Botschaften direkt ins Unbewusste der Menschen vorzudringen. Köstlich, wie Paul und die ihn umschwärmenden Werbeagent*innen bei einem Meeting komplett aneinander vorbeireden. Während er einen Verleger für sein noch nicht geschriebenes Ameisenbuch sucht, wollen ihnen die PR-Expert*innen zum neuen Maskottchen von Sprite machen. Auf dass er die Leute mit einer Dose in der Hand in ihren Träumen heimsuche. Und sollte das nicht klappen, gäbe es genug andere potenzielle Projekte.

Für den Unterhaltungswert der mit einigen Horrorfilmzitaten angereicherten Satire sind besonders zwei Dinge entscheidend: Nicolas Cage darf zwischen Ruhe- und Erregungspol changieren, kehrt in der zweiten Hälfte immer mal wieder seine manische Schauspielseite heraus, fängt gleichzeitig aber Pauls wachsende Verzweiflung ergreifend ein. Clever ist auch, dass der Regisseur und Kameramann Benjamin Loeb keinen Unterschied zwischen „realen“ Handlungspassagen und Traummomenten machen. Beides ist auf die gleiche Art gefilmt, weshalb oft nicht sofort klar ist, auf welcher Ebene wir uns befinden. Fließende Übergänge sind ohnehin ein Markenzeichen von Dream Scenario. Mehrfach kommt es vor, dass der Dialog aus einer Szene weiterläuft, während wir schon in eine andere springen.

Auch wenn der Film zum Ende hin in seiner Kritik am Zeitgeist etwas redundant wird, liefert Kristoffer Borgli einen Genremix mit originellen Ideen, aufregender Bildsprache und einer vielschichtigen Darbietung in der Hauptrolle ab. Wer Nicolas Cage in die Ich-schreie-und-lasse-mein-Gesicht-entgleisen-Schublade gesteckt hat, tut dem wandlungsfähigen Schauspieler völlig Unrecht. Ja, er hat in den letzten Jahren einiges an reißerischem Schrott gedreht. Zwischendrin gibt es allerdings immer wieder Perlen, die seine famose Bandbreite bezeugen.

Dream Scenario (2023)

Der vom Pech verfolgte Familienvater Paul Matthews (Nicolas Cage) muss feststellen, dass sein Leben plötzlich Kopf steht, als Millionen Fremde anfangen, von ihm zu träumen. Da sein nächtliches Erscheinen jedoch zunehmend alptraumhafte Formen annimmt, ist der über Nacht zum Star gewordene Paul gezwungen, sich mit den Konsequenzen seines unverhofften Ruhms auseinanderzusetzen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen