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In „Déserts“ lässt Faouzi Bensaïdi ein schräges Buddy Movie auf ein mythologisches Rachedrama treffen.

Déserts - Für eine Hand voll Dirham (2023)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Ein schier endloser Trip

Der marokkanische Autorenfilmer, Theaterregisseur und Schauspieler Faouzi Bensaïdi ist ein häufiger Gast bei den Filmfestivals in Cannes und Venedig, wo seine Filme „Tausend Monate“ (2003) oder „WWW – What a Wonderful World“ (2006) auch bereits ausgezeichnet wurden. Sein jüngstes Werk, eine Koproduktion von Frankreich, Deutschland, Marokko, Belgien und Katar, wurde im Vorjahr in der Cannes-Sektion Quinzaine des Réalisateurs uraufgeführt. Bei seinem sechsten Langfilm zeichnete Bensaïdi, 1967 in Mèknes geboren, nicht nur für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlich, sondern übernahm auch die Nebenrolle eines schrulligen Imbissbesitzers. Dieses Mal überrascht er die Zuschauenden mit einem radikalen Coup: Er erzählt in zwei Stunden quasi zwei Filme und wechselt dafür mittendrin einfach mal das Genre. 

Mehdi (Abdelhadi Taleb) und Hamid (Fedh Benchemsi) sind seit langem befreundet. Beide schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, indem sie für einen Hungerlohn für ein windiges Inkasso-Unternehmen in Casablanca arbeiten. Mit einem klapprigen burgunderroten Renault fahren sie in den südlichen Wüstengebieten Marokkos zu Schuldnern, die ihre Kredite nicht mehr zurückbezahlen. In trostlosen Dörfern treffen sich auf verarmte Menschen, die eigentlich gar keine Kredite hätten aufnehmen dürfen und nun zahlungsunfähig sind. Wenn die Schuldeneintreiber Glück haben, können sie einen alten Teppich oder ein paar Schafe mitnehmen. Das wenige Geld, das sie dafür erlösen, stecken sie jedoch in die eigene Tasche. Auch privat läuft es nicht rund: Der gutmütige Hamid lässt sich von der dominanten Mutter und dem trunksüchtigen Vater eine jungen Frau ausnützen, die er für sich gewinnen will, während der melancholische Mehdi nicht damit klarkommt, dass seine Frau ihn verlassen hat und er seine Tochter bei seiner unwilligen Mutter unterbringen muss.

Der groteske Lebensentwurf des Duos ändert sich abrupt, als es an einer Tankstelle einen älteren Mann trifft, der einen entlaufenen Sträfling (Abdelhadi Taleb) auf sein Motorrad gefesselt hat. Er bietet Mehdi und Hamid 3000 Dirham, wenn sie den namenlosen Ausbrecher an die Behörden überstellen. Doch der Delinquent stiehlt den Renault und kehrt in sein Heimatdorf zurück, um seine große Liebe aus der Hand eines fiesen Rivalen zu befreien, der ihn einst ins Gefängnis gebracht hat, um die Frau heiraten zu können. Nachdem der Ex-Sträfling eine Bank überfallen hat, folgen ein Rachefeldzug und eine Verfolgungsjagd, die wieder in die Wüste führen. Abdelhadi Taleb und Fehd Benchemsi ergänzen sich als zwei soziale Verlierer mit unterschiedlichen Charakteren bestens. 

Das schräge Road Movie um Hamid und Mehdi besteht weitgehend aus Episoden voller burlesker Ideen: Auf den schier endlosen Trips über Berg und Tal und durch Wüsten treffen die Geldeintreiber immer wieder auf Habenichtse, die ihnen mit bewunderungswürdigem Einfallsreichtum Ausreden auftischen, ihr Leid klagen, ihre Hilfslosigkeit gestehen oder sich clever aus dem Staub machen. 

Eher beiläufig, dafür umso wirkmächtiger eröffnet der Regisseur zwischendurch politische Subtexte, indem er die grassierende Armut und die daraus resultierende Kriminalität, die skrupellose Ausbeutung der Unterprivilegierten und die Profitgier reicher Kapitalisten aufs Korn nimmt. Zum Beispiel als ein raffinierter Dieb das nur kurz an einem Mittelmeerstrand abgestellte Auto der beiden Freunde klaut. Oder jene Sequenz, in der die energische Chefin der Kreditfirma, die wegen eines Skiunfalls (!) einen Verband am Bein trägt, ihre Angestellten nach den Pastellfarben ihrer Anzüge geordnet antreten lässt und verkündet, dass sie ab sofort als selbstständige Unternehmer gegen Provision arbeiten dürfen. 

Bensaïdi erweist sich immer wieder als versierte Erfinder absurd-grotesker Slapstick-Nummern. Etwa wenn die Geldeintreiber in einer Hinterhofwerkstatt das Dach ihres Autos absägen lassen, aber nach einem peinlichen Regenguss das Cabrio wieder in den Originalzustand versetzen lassen. Doch leider schweißt der Monteur das Dach verkehrt herum an. Der lakonische Humor erinnert gelegentlich an die Filme von Aki Kaurismäki, und der absurde Erzählton der Vignetten evoziert den szenischen Minimalismus eines Elia Suleiman, in dessen Kinofilm Vom Gießen des Zitronenbaums (2019) Bensaïdi übrigens mitspielte. 

Die denkwürdige Begegnung an der Tankstelle bringt nicht nur einen Austausch der Hauptfiguren, sondern auch einen radikalen Genre- und Tempowechsel. Mit Mehdi und Hamid verschwinden Leichtigkeit und Humor, dafür erscheinen mit dem Ausbrecher Emotionen, Schicksalsschwere und Tragik. Die Komödie wird von einer mythologisch überhöhten Tragödie im Western-Look abgelöst. Eine überzeugende Verknüpfung der beiden derart ungleichen Teile bietet der Regisseur leider nicht. Zudem versäumt es Bensaïdi, die Versatzstücke des hochdramatischen, aber allzu elliptisch dargebotenen Rachedramas hinreichend erzählerisch zu unterfüttern, und lässt die die Zuschauenden mit den aufgetischten Rätseln allein. Dass das absichtliche Verwirrspiel auch noch in überlangen Einstellungen aufmerksamkeitsheischend überhöht wird, macht den Braten auch nicht schmackhafter.

Déserts - Für eine Hand voll Dirham (2023)

Das Roadmovie spielt in Marokko und begleitet zwei Geldeintreiber bei ihrer Arbeit.

Die langjährigen Freunde Mehdi und Hamid arbeiten für einen Hungerlohn für ein Inkassounternehmen. Sie fahren in ihrem alten Auto durch die Dörfer Südmarokkos und teilen sich Doppelzimmer in heruntergekommenen Hotels. Sie haben die gleiche Größe und tragen die gleichen Anzüge und Krawatten und die gleichen Schuhe.

Eines Tages parkt inmitten der marokkanischen Sahara / der Wüste an einer Tankstelle vor ihnen ein Motorrad. Hinten drauf ist ein Mann mit Handschellen festgemacht. Diese Begegnung ist der Anfang einer unerwarteten Reise.

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