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Streaming-Tipps

Streaming-Tipp des Tages: In den Krallen des Hexenjägers

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Blood on Satan's Claw

Es ist natürlich einer dieser wunderbar reißerischen deutschen Horrorfilm-Verleihtitel. In den Krallen des Hexenjägers, Originaltitel Blood on Satan’s Claw, kam 1971 in die Kinos, und tatsächlich geht es vielmehr um eine ländliche Dorfgemeinschaft des frühen 18. Jahrhunderts, die sich in den Krallen eines Dämons befindet, der es vor allem auf die Kinder und jungen Frauen abgesehen hat. Ihnen lässt er Fell wachsen (The Devil’s Skin, so auch ein Alternativtitel des Films) und stiftet sie zu heidnischen Ritualen an.

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Der britische Regisseur Piers Haggard ist Anfang des Jahres gestorben. Seine letzte Arbeit war kurioserweise eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung fürs ZDF. Sein wichtigstes Werk ist aber In den Krallen des Hexenjägers, mit dem er sich in gleich mehrere Kanons einschrieb. Je nachdem, wessen Geschichtsschreibung man glaubt, ist es der erste Film, auf den der Begriff „Folk-Horror“ angewandt wurde. Er erschien noch zwei Jahre vor The Wicker Man. Zusammen mit Witchfinder General (1968; hierzulande: Der Hexenjäger, darauf sollte der Titel von In den Krallen… wohl aufbauen) bildeten diese Filme ein Mikrogenre, das sich durch ländliche Settings, eine nihilistische Stimmung und esoterische Motive auszeichnet, mutmaßlich inspiriert von Gegenkulturen der Sechzigerjahre wie der New-Age-Bewegung. Gerade in den letzten Jahren ist Folk-Horror wieder relevant geworden und hat Werke wie Robert EggersThe Witch oder Ari Asters Midsommar inspiriert.

In den Krallen des Hexenjägers lässt sich außerdem als Vorläufer der Witchploitation- und Satanismus-Filmwellen der Siebzigerjahre einordnen. Okkultismus, Teufelsanbetung und schwarze Magie waren zu dieser Zeit beliebte Horrorfilm-Motive, brachten sogar einen renommierten Fernsehfilm wie Satan’s School for Girls (mit Drei-Engel-für-Charlie-Star Kate Jackson und Scream Queen Pamela Franklin) hervor. Der Satanic Panic der Achtzigerjahre, als Rockmusik rückwärts abgespielt wurde, um satanische Botschaften zu entdecken, war man damit wohl entweder voraus oder bereitete sie sogar mit vor. Im Gegensatz zu den diversen B-Filmen, die Satanismus und Hexerei als Kapuzen tragenden cheap thrill einsetzen, ist das Böse in In den Krallen des Hexenjägers aber eine mysteriöse Ansammlung von Zeichen – Heidentum (ein sexualisiertes Ritual mit weißen Kleidern und Blumenkränzen erinnert deutlich an Midsommar), teuflische Vokabeln und Hexerei verbinden sich zu etwas, das wie in einer Lovecraft-Erzählung schwer greifbar bleiben soll.

Die größte Starke des Film, die ihn bis heute effektiv und wahrhaft verstörend macht, sind aber seine moralischen Ambivalenzen. Der Film weiß, dass die Anschuldigung der Hexerei eine zutiefst misogyne Geschichte hat. „Und wenn sie keine Hexe ist? Dann habt ihr sie ermordet!“, ruft eine Figur, nachdem die Dorfmänner eine junge Frau in den Fluss geworfen haben. Der Film weiß sogar, dass eine falsche Vergewaltigungsanschuldigung höchst selten ist, dass es für den Diskurs unserer patriarchalen Gesellschaft gefährlich ist, Opfern sexueller Gewalt zu misstrauen. Und doch werden diese Motive eingesetzt – nicht weil die jungen Frauen, die der Film zeigt, böse sind, sondern weil der Dämon um diese gesellschaftlichen Zusammenhänge weiß und bewusst junge Frauen und Kinder einsetzt, um Moral und Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft zu zerstören. Dass es am Ende doch ein Geistlicher mit erhobenem Kreuz ist, der das Böse bannen kann, wirkt eher wie ein Zugeständnis, um das zeitgenössische Publikum nicht vollends zu überfordern, anstatt wie ein ernsthafter Appell fürs Christentum.

Die Empfehlung dieses Films ist unbedingt mit Trigger-Warnungen verbunden: Neben der falschen Anschuldigung wird auch eine durchgeführte Vergewaltigung gezeigt. Auch die Szenen frühneuzeitlicher Medizin sind durch das große, rostige alte Werkzeug, mit dem die „Teufelshaut“ entfernt wird, schwer verdaulich.

In den Krallen des Hexenjägers ist über die Kanäle des British Film Institute streambar und zuletzt von NSM Records auf Blu-ray veröffentlicht worden.

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