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Couchperle: Ermittlertrauma

Im Ermittler-Thriller gibt es ein Subgenre, für das es keinen Namen gibt: Ein unlösbarer Fall verfolgt die ermittelnden Personen und zerstört die Leben mehrerer Beteiligter. Zum Start von „Only The River Flows“ stellt die Redaktion ihre Favoriten vor.

Meinungen
Ermittlerkrimis

„Memories of Murder“ von Bong Joon-ho

Immer wieder hat Quentin Tarantino diesen Film als einen seiner absoluten Favoriten beschrieben: Memories of Murder ist in der Tat ein kleines Meisterwerk, lange bevor Regisseur Bong Joon-ho mit Parasite für weltweites Aufsehen sorgte. Eine dunkle, beunruhigende Atmosphäre atmet durch die Bilder. Der Film selbst ist wie ein gefährliches Tier, das sich in elegischer Geduld übt, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Dazwischen blitzt immer wieder der irritierende schwarze Humor des Regisseurs auf, der für das südkoreanische Kino ganz selbstverständlich ist. 

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Nun: ein Serienkiller, der nur bei Regen tötet. Die Opfer: alle in auffälligem Rot gekleidet. Daraus sind Albträume gebaut. Für den naiven und etwas unterbelichteten Polizisten Park Doo-man (Song Gang-ho) wird dies der Fall seines Lebens – und das ist ganz buchstäblich zu verstehen. Um den Fall zu lösen, werden moralische Grenzen übertreten, wird gefoltert und manipuliert. Es muss ein Erfolg her.

Tatsächlich basiert Bong Joon-hos Film auf einer wahren Begebenheit: Zwischen 1986 und 1991 wurde die Stadt Hwaseong im ländlichen Südkorea von brutalen Vergewaltigungen und Morden heimgesucht. Der Täter? Der war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht überführt; dies gelang erst 2019 – 16 Jahre nach Erscheinen des Films.

Genau aus dieser Bedrohung heraus, dass ein Serienkiller unbehelligt unter uns lebt, entwickelt der Film seinen unnachgiebigen Sog: Der Fall wird selbst zu einem Phantom, das die Ermittelnden zu verfolgen beginnt. Wie ein Möbiusband schlingt sich Memories of Murder um die Unmöglichkeit der Aufklärung und die unzähligen Möglichkeiten, wie und wo der Täter und letztlich das Böse lauern könnten. Es gibt nur wenige Filme, denen es trotz aller Eigenarten gelingt, eine Geschichte derart groß für das breite Publikum zu erzählen.

Sebastian Seidler   

„Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ von Martin McDonagh

Nein, Three Billboards outside Ebbing, Missouri ist weder ein Thriller noch düster, trotzdem steht hier die Suche nach dem Verantwortlichen für ein bestialisches Verbrechen im Mittelpunkt, das eine Mutter, eine Familie, eine Gemeinde erschüttert. Angela Hayes, Tochter von Mildred (Frances McDormand), wurde vor einem halben Jahr vergewaltigt und ermordet, bisher gibt es nicht den Hauch einer Spur, und auch wenn der örtliche Polizeichef (Woody Harrelson) in Mildreds Augen nichts unternimmt, um das zu ändern: Es nagt an ihm. Noch mehr natürlich an den Hinterbliebenen. Und schließlich auch am anfangs so hassenswerten Officer Jason Dixon (Sam Rockwell). Was folgt, sind Nervenzusammenbrüche, blutige Nasen, Drohungen und ein brennendes Polizeirevier.

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Eine Freundin sagte jüngst sehr treffend, McDonaghs Dramen seien lustiger als die meisten Komödien. Three Billboards mag an der Oberfläche eine bissige, schwarzhumorige Geschichte in einer von Rednecks bewohnten US-Kleinstadt sein, doch die zugrundeliegende Tragödie holt das Publikum und die Figuren immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Kurz vor Schluss deutet sich die große Katharsis an, der Täter scheint gefunden, doch auch das entpuppt sich als Enttäuschung. Das offene Ende mag unter Umständen frustrieren, ist aber letztlich der einzig richtige Weg, diesen Film abzuschließen, um ihn nicht zur Moralpredigt zu machen.

Christian Neffe

„Cruising“ von William Friedkin

Es mag Filme geben, die brutaler und offenkundig schockierender sind als Cruising. Regisseur William Friedkin hat aber mit Sicherheit einen der dunkelsten, wuchernd-uneindeutigsten Kriminalfilme der Filmgeschichte gedreht. Ein Mörder geht in der Schwulenszene im Meatpacking District von New York um, wo die SM-Szene in lauten Bars feiert. Ein junger Polizist (Al Pacino) ermittelt undercover und gerät in einen gefährlichen Identitätsstrudel aus Begehren und Verdrängung.

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Auch in Cruising geht es nicht so sehr um die Aufklärung des Mordes. Es ist gänzlich unklar, ob am Ende überhaupt der Täter gefasst wird. Schon allein deshalb, weil viel dafür spricht, dass der Tod eher eine Ansteckung ist, die mit mehreren Stimmen spricht. Friedkins Film wurde bei seinem Erscheinen völlig missverstanden. Bereits der Dreh wurde gestört, weil Aktivist*Innen fürchteten, die queere Szene käme schlecht weg. Die Homosexualität, die in Cruising gezeigt wird, ist hart und männlich. Doch Friedkin hat in existierenden Bars gedreht, mit Statisten aus der Szene selbst. Diese Welt aus Lack und Leder gab es und gibt es auch heute noch. Das Böse entsteht nicht aus der Homosexualität. Vielmehr thematisiert der Film die brutalen Mechanismen der Verdrängung von Begehren, die den Anderen im Selbst gar noch vernichten will. Faszinierend ist das bis heute allemal auch deshalb, weil Sex nicht als harmlose, körperliche Liebe dargestellt wird. Vielmehr ist er immer ein Spiel mit Existenz, Identität und Hingabe, das in seiner Intensität in Abgründe führen kann.

Die Hauptfigur wird zunehmend zu einem Verfolgten, der ebenso gut der Mörder sein könnte. Wie Fantasie und Realität verschwimmen, vollzieht Cruising in intensiven Szenen – beispielsweise findet ein Mord in einem Pornokino statt, in dem Blut und Sperma identisch werden. Ein wenig fühlt man sich an eine kühle Variation eines Giallo erinnert. Die Filmmusik ist ein dekonstruktivistischer Wahntraum aus Geräuschen und montierter Bedrohlichkeit. Man schaue diesen Film zusammen mit Brian De Palmas Blow Out und lasse die Enden nachwirken: Der Blick in ein Trauma; der Tod hat alles verändert. Die Ermittlung ist zum Trauma geworden.

Sebastian Seidler   

„Insomnia“ von Christopher Nolan

Der Ermittler Will Dormer (Al Pacino) findet keinen Schlaf. Das liegt in erster Linie an der dauerhaften Helligkeit im Norden Alaskas, wo er gerade in einer Mordsache ermittelt – offensichtlich allerdings auch am Fall selbst und an den internen Ermittlungen, die gegen Dormer laufen. Diese Schlaflosigkeit, diese titelgebende Insomnie trübt seinen Verstand, seine (Selbst-)Wahrnehmung zunehmend, bis Realität und Wachtraum irgendwann ununterscheidbar werden. Und Dormer einen Kollegen erschießt.

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Insomnia ist eine mittelgroße Ausnahmeerscheinung im Œuvre von Christopher Nolan, fühlt sich am wenigsten nach einem Film von ihm an, was vor allem daran liegt, dass weder er noch sein Bruder hier am Drehbuch beteiligt waren, das stattdessen von Hillary Seitz stammt.

Zudem ist Insomnia das Remake des gänzlich anders gelagerten Todesschlaf (1997) des Norwegers Erik Skjoldbjærg, in dem eine Art Determinismus am Werk ist: Jonas Engström (Stellan Skarsgard) scheint am Ende bei seiner wahren Bestimmung angelangt zu sein, das zu werden, was er immer schon war – ein böser Mensch. Bei Nolan geht Al Pacino hingegen unter, verliert sich in einem Fall, dem er nicht gewachsen ist.

Es fehlt, so kann man es sagen, ein Nolan’sches „High Concept“ – umso besser funktioniert der Film als stringenter, spannungsgeladener, mindfuckiger Krimi-Thriller, in dem es zwar nie Nacht wird, der aber den Ambivalenzen zwischen Ermittler und Täter bis in die Dunkelheit folgt

Christian Neffe

In der Nacht des 12.“ von Dominik Moll

Reale Verbrechen nachzuerzählen, liegt im Trend. Da liegt es in der Natur der Sache, dass die Fälle oftmals keine einfachen Antworten und Auflösungen liefern. Während viel True Crime allerdings die Sensationslust kaum verbergen kann, nutzt Dominik Molls psychologisch packender Kriminalfilm In der Nacht des 12. seine Sachbuchvorlage, um geschlechtsspezifische Gewalt zu diskutieren, und Recherchierende zu zeigen, die sehr viel weniger souverän und kühl agieren als so mancher Podcast-Host.

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In Grenoble wird im Jahr 2016 die 21-jährige Clara nachts auf dem Heimweg mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Kripos Yohann und Marceau begeben sich bei ihren Ermittlungen tief ins Leben des Opfers hinein und stoßen auf mehrere Männer, mit denen Clara sexuelle Beziehungen hatte, machen mehrere Verdächtige aus, die das Drehbuch im Folgenden glaubhaft zum Täter machen könnte. Keiner wird aber überführt. Drei Jahre lässt der Film verstreichen, in denen der Fall Yohan nicht loslässt. Seinen Kollegen Marceau kostet seine Emotionalität, schließlich seine Brutalität im Umgang mit einem Verdächtigen, der seine Partnerin schlägt, den psychischen Halt und den Job.

Die Entscheidung, von sexistischen Gewaltverbrechen aus der Perspektive von Männern, sogar Polizeiermittlern zu erzählen, ist gewagt, aber wohlüberlegt: Es sind Männer, die Frauen ermorden, und dann auch noch Männer, die über diese Verbrechen richten, stellt eine Figur im Film fest. In diesem Fall: die auch noch scheitern, zu richten, auch wegen ihrer Vorurteile über junge Frauen mit mehreren Sexualpartnern. Wie der Fall die Polizisten besessen macht und zwingt, Denkmuster zu hinterfragen, entlarvt sie. Sie lernen nur etwas, das vielen weniger privilegierten Menschen längst schmerzlich klar ist. Dass der Fall bis zum Ende des Films nicht aufgeklärt werden kann, verweist nicht nur darauf, wie viele Femizide auch in Realität ungeklärt bleiben. Es macht auch deutlich, dass Hass und Gewalt gegen Frauen nicht nur die Schuld von Einzeltätern sind, sondern in der patriarchalen Gesellschaft leben.

Mathis Raabe

Im Schatten Dürrenmatts: „Es geschah am hellichten Tag“ von Ladislao Vajda / „Das Versprechen“ von Sean Penn

Ladislao Vajdas Verfilmung von Friedrich Dürrenmatts Drehbuchvorlage lehrte einst die Schweiz und die Bundesrepublik der Nachkriegszeit das Fürchten vor dem gerade erst mühevoll verdrängten Bösen in der Maske des Biedermannes. Schon allein die Entstehungsgeschichte und die Wechselwirkungen von Vorlage und Film gehen dabei ungewöhnliche Wege, denn der Roman entstand erst nach dem Drehbuch und wurde von Dürrenmatt bewusst mit einem anderen Ende ausgestattet als der Film. Während dort am Ende die Gerechtigkeit obsiegt und der wackere Kommissär Matthäi für sein Engagement und seine Empathie belohnt wird, ist ihm dieses Glück im Buch nicht beschieden. Sein Warten auf den Täter ist vergebens und erst viele Jahre später erfährt er durch einen Zufall, dass dieser bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam und deshalb nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann.

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Sean Penns Adaption des Stoffes aus dem Jahre 2001 Das Versprechen / The Pledge orientiert sich hingegen eng an Dürrenmatts Roman und geht sogar noch einen Tick weiter: Auch hier ist es ein Verkehrsunfall, der den Täter stoppt. Der Ermittler (Jack Nicholson) weiß davon aber bis zum Ende nichts, wartet vergeblich drauf, den Mörder überführen zu können und versinkt schließlich in Elend und einem Strudel aus Besessenheit und Selbstvorwürfen, die ihm psychisch schwer zusetzen.

Joachim Kurz

Catch Me If You Can“ von Steven Spielberg

Die stylishe Komödie Catch Me If You Can basiert auf der Lebensgeschichte des jungen Hochstaplers und Scheckfälschers Frank W. Abagnale, der heute (welch Ironie!) als Berater in Sachen Betrug für Banken, Hotels und andere Unternehmen tätig ist. Leonardo DiCaprio verkörpert den Gauner; Tom Hanks gibt den FBI-Ermittler Carl Hanratty.

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In unserer Reihe an Filmen ist dieser gewiss der heiterste; ein Trauma trägt Hanratty vom wendungsreichen Katz-und-Maus-Spiel mit Abagnale vermutlich nicht davon. Das Drehbuch von Jeff Nathanson und die Interpretation von Hanks zeigen jedoch auf spannende Weise, wie die im Titel formulierte Aufforderung zur Lebensaufgabe von Hanratty wird und wie das antagonistische Duo im Laufe der Zeit eine ungewöhnliche Beziehung zueinander entwickelt. Ein schwierig zu lösender Fall – das kann also auch ein leichter Comedy-Stoff sein!

Andreas Köhnemann

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