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PosterArt: Blow Out

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Das Kino lebt nicht nur in der Projektion. Immer schon war die Werbung, waren die Filmplakate ein wichtiger Bestandteil der Filmkultur. Kino-Zeit widmet sich den gelungenen und weniger gelungen Kunstwerken. Dieses Mal: „Blow Out“ von Brian De Palma.

Meinungen
PosterArt_Blow Out
Blow Out

Was soll das eigentlich sein, ein gutes Filmplakat? Ist es eines, das besonders gut gefällt? Wohl eher nicht. Über den individuellen Geschmack lässt sich nicht gut streiten. Vielmehr – so scheint es uns – muss ein gutes Filmplakat bereits in sich selbst eine Geschichte erzählen oder den Kern eines Films in eine andere Form übersetzen. Artwork ist nicht einfach eine Anordnung von Informationen zu einem Film und es reicht auch nicht, die Hauptdarsteller aufzureihen, wie man es im Mission: Impossible-Franchise gerne macht. Allzu häufig verkommt der Aushang vor dem Kino des Vertrauens zu einer bloßen Werbetafel. Wir sagen: Eine Galerie muss es sein. Um sich diesem Thema anzunähern, greifen wir, etwas eklektisch, unsere Favoriten heraus und stellen sie vor: Dieses Mal schreibt Sebastian Seidler über Brian de Palmas „Blow Out“.

Der Schrei, ein Abgrund
Blow Out: Ein ewiger Schrei

(Achtung: Spoiler)

Zweifellos ist Blow Out einer der besten Filme im Werk von Brian De Palma. Für heutige Sehgewohnheiten dürfte der verspielte Thriller mit offensichtlich medienphilosophischen Themen zu langsam erzählt sein: Zumindest sollte man sich an den Rhythmus der 80er gewöhnen, damit der Suspense des Films sich zur Gänze entfalten kann. Erzählt wird die Geschichte des Tontechnikers Jack (John Travolta), der aus Zufall einen Mord mithört und anhand eines verräterischen Details auf seiner Aufnahme einem politischen Komplott auf die Spur kommt. Über diese kunstvolle Reflexion des Hörens und Sehens habe ich an anderer Stelle geschrieben. In diesem Text soll es um ein nicht unwesentliches Detail gehen: den Schrei.

© Viscount Associates

Ein solcher Schrei ist bereits auf einem der Plakatmotive zu sehen – selbstverständlich nicht zu hören. Das mag sich wie eine alberne Feststellung anhören, führt aber in seinem naiven Beharren in das große Thema des Films: Wie kann man mit den Ohren sehen? Was man sieht: Den jungen John Travolta, dessen Mund zu einem an Munch mahnenden Schrei aufgerissen ist, ja zu einem Schlund erstarrt ist, den das kontrastreiche Schwarzweiß aufsteigen lässt. Hier ist jemand verzweifelt, womöglich voller Angst und Wut. Es sind keine angenehmen Emotionen, die hier zum Ausdruck kommen. So viel steht fest. Und wer den Regisseur kennt, der weiß auch, dass Brian De Palma durchaus in die Abgründe der menschlichen Seele hinabsteigt.

Der Titel erzeugt zusammen mit der Tagline einen semantischen Raum, der neugierig macht und gleichzeitig beunruhigend ist. Blow Out bezieht sich natürlich auf den platzenden Reifen, der im Film zu dem fatalen Unfall führt. Dieses Platzen aber spielt auch über die Oberfläche dieses Motivs: Was platzt da aus dem Kopf der Hauptfigur. Dort wo der Mund ist, beginnt man eine Wunde zu sehen – den Schmerz zu lesen.

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Dann eben diese grandiose Tagline: Murder has a sound of its own. Jeder Mord hat einen ganz eigenen Klang. Verharrt man für einen Moment bei dieser nur scheinbar griffigen Formel der Aufmerksamkeitserregung, wird die Sache ziemlich kompliziert: Wann hat man es jemals gewagt, über die klangliche Dimension eines Mordes nachzudenken? Wie es klingt, wenn jemand erwürgt wird? Gegenfrage: Warum sollte man es tun? Eben. Brian De Palma aber wagt es und wird im Finale die letzten Atemzüge einer Filmfigur und eben diesen einen Schrei aufnehmen lassen, der dann aus dem Munde von Travolta stumm auf dem Plakat ertönt.

Jack ist weit weg, jedoch über Funk mit Sally (Nancy Allen) verbunden. Er ist gezwungen, den Mord anzuhören, der trotz der räumlichen Distanz ganz nah ist, ja den er im Ohr hat. Der letzte Laut, aufgenommen auf Band, wird zum traumatisch-akustischen Mahnmal, das durch alle Glieder fährt und den eigentlich selbstbewussten Mann vollständig auf Grund laufen lässt. Am Ende wird er Sallys Schrei für einen billigen Horrorfilm benutzen, einfach weitermachen. Doch dieser eigene Sound lässt sich nicht aus den Ohren vertreiben: Gibt es etwas, das insistierender ist als ein stummer Schrei, in dessen Öffnung wir ein Geräusch hineindenken?

Das Kinoplakat von Blow Out ist ein kleines Kunstwerk von finsterster, existenzieller Dunkelheit und atemberaubender, ästhetischer Schönheit.

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