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Specials

Pop-Persönlichkeiten im Dokumentarfilm

Madonna, Bowie oder Peaches – Stars der Bühne tragen oft schon so viel Inszenierung in sich, dass eine Filmkamera nur noch draufhalten muss. Manche Dokumentarfilme wagen aber auch, ihr Subjekt im filmischen Stil zu reflektieren. Eine Untersuchung anlässlich des Starts von „Teaches of Peaches“.

Meinungen
Peaches und Künstlerexistenzen im Dokumentarfilm

Ihre Bühnenshows atmen den Ethos des Punk und triefen vor Sex. Die in Kanada geborene und in Berlin lebende Peaches ist schwer zu fassen, arbeitet mit Genres ebenso spielerisch wie mit Gender. Wie übersetzt man so eine schillernde und antiformalistische Künstlerin in Film? Teaches of Peaches, der diese Woche in die Kinos kommt, hat sich der Aufgabe angenommen. Wir betrachten aus diesem Anlass weitere Dokumentarfilme, die große Pop-Künstler*innen einzufangen versuchen, und damit auch all die Selbstinszenierung und Persönlichkeit, die diese bereits vor die Kamera mitbringen.
 

Peaches: Peaches Does Herself (2012) und Teaches of Peaches (2023)

Für den Konzertfilm Peaches Does Herself schuf die Electroclash-Künstlerin Peaches aus dem Material von insgesamt zehn Auftritten im Berliner Off-Theater HAU eine Pop-Oper, bestehend aus Gesang, Rap und Tanz, Burlesque-Nummern, Horroreinlagen, Nebel- und Lichteffekten sowie extravaganten Kostümen und Requisiten. 20 Songs aus ihrem bisherigen Œuvre dienen dazu, in fantasievoll irrealisierter Weise die künstlerische Entwicklung der Musikerin zu schildern. Unter anderem schwebt ein überdimensionales, vaginaförmiges UFO mit einer älteren Striptänzerin als Insassin herab.

Der erotisch aufgeladenen Show ist ein akademischer Prolog vorangestellt. Ein Dozent (verkörpert vom österreichischen Schauspieler Armin Dallapiccola) hält auf einer leeren Bühne eine Rede, in der er all die klugen Dinge über Peaches sagt, die sich mit einem analytischen Blick erkennen lassen. Etwa wie sie mit der Umkehr von Geschlechterklischees arbeitet und wie sie sexualisierte Sprache zu Empowerment-Zwecken einsetzt. Der Vortrag wird jedoch jäh von einer Darbietung des Peaches-Songs Rock Show unterbrochen. Die Botschaft scheint hier zu sein, dass dem wilden Treiben zwar gewiss ein profundes Nachdenken über Genderfragen und Queerness vorausgegangen ist, der Spaß an der Sache dabei aber nicht vergessen werden sollte.

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Das dokumentarische Porträt Teaches of Peaches von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer begleitet die Protagonistin bei der Tournee zum 20-jährigen Jubiläum ihres Albums, das dem Film seinen Titel gibt und sich im Laufe der vergangenen zwei Dekaden als enorm einflussreich erwiesen hat.

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Das Werk liefert uns eine Reihe von Talking Heads. So kommen etwa bekannte Gesichter wie Chilly Gonzales, Leslie Feist, Shirley Manson und Peaches‘ Lebensgefährte Ellison aka Black Cracker zu Wort. Zudem vermittelt der Film den Teamspirit und die familiär wirkende Atmosphäre der Tournee; auch die Backup-Tänzer:innen und Techniker:innen werden interviewt.

Insgesamt bleibt Teaches of Peaches innerhalb des üblichen Rahmens eines dokumentarischen Porträts. Deutlich wird allerdings auch, dass die Künstlerin eine Person ist, die aus der gängigen (Film-)Form auszubrechen wagt — etwa wenn sie in einem Moment gegen eine aus dem Off gestellte Interviewfrage über den Kampf für das Recht auf Abtreibung Widerstand leistet, da sie deren Implikation für sexistisch hält. In Ausschnitten aus früheren VIVA-Zwei-Interviews wird überdies demonstriert, wie weit die Kanadierin mit ihren queerfeministischen Statements ihrer Zeit voraus war.

Andreas Köhnemann

David Bowie: Moonage Daydream (2022)

Wer ist und war eigentlich David Bowie? Das ist eine Frage, die man nur schwer beantworten kann. Selbst der Popstar wusste keine wirkliche Antwort darauf: „I re-invented my image so many times that I’m in denial that I was originally an overweight Korean woman.“ Wie also soll man sich solch einem Chamäleon filmisch annähern, wie seine zahlreichen Metamorphosen und Häutungen begreifen, wie in Bilder fassen, was er selbst immer wieder neu erzeugte?

Moonage Daydream (2022)  - Trailer (OmdtU), Copyright: Universal Pictures

Der US-amerikanische Filmemacher Brett Morgen sucht in seinem biografischen Essay Moonage Daydream keine Erklärungen für das Unerklärbare und Geheimnisvolle der Künstlerpersona David Bowie, sondern lässt die Bilder und Töne frei fließen. Zwar bewegt sich der Film mehr oder weniger an der Chronologie von Bowies Leben und Schaffen entlang, erlaubt sich aber ungeheure Freiheiten in Form wilder Zeitsprünge und experimenteller Exkurse, sodass ein Kaleidoskop verschiedenster Impressionen entsteht. Vielleicht aber ist genau das der richtige Weg, einem schillernden Enigma wie Bowie überhaupt gerecht zu werden.

Dies gilt umso mehr, da der Regisseur vor allem die Musik für sich selbst sprechen lässt und dabei gerade durch die Verwendung selten gehörter Klangexperimente an manchen Stellen perfekte Symbiosen zwischen den Tönen und Bildern entstehen, in die man sich hineinversenken kann, und sich in andere Welten wegträumen.

Joachim Kurz

Nick Cave: 20,000 Days on Earth

Womöglich waren ein paar Bier im Spiel, als mein Freund Philipp und ich in einer unserer typischen Diskussionen über Musikgeschichte schließlich bei Nick Cave gelandet sind. Die Feststellung, wir müssten uns bewusst sein, dass wir zeitgleich mit einem der größten Künstler aller Zeiten leben, hat mich zunächst etwas amüsiert. Doch im Lauf der Zeit hat mich dieser Gedanke nicht losgelassen: Nick Cave spielt fraglos in denselben Dimensionen wie David Bowie, teilt trotz der obligatorischen Anzugs-Uniform einen Hang zu Verwandlung, zur spirituellen Transformation.

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Nick Cave ist Punk – auf seine ganz eigene, hochkulturelle Weise. Hört man die jüngsten Alben, die seit dem tragischen Tod zweier Söhne von einer zweifelnden Verletzlichkeit durchzogen sind, die zart und dennoch gewagt sind, scheinen die wilden Anfänge im London der frühen 80er-Jahre sehr weit zurückzuliegen. Da sorgte der junge, drahtige Australier mit The Birthday Party und dem rohen Postpunk für Aufsehen. Das Morbide hat ihn dabei immer schon magisch angezogen. Ebenso die religiösen Motive: Erlösung und Schuld, Gewalt, Sex und Liebe. Das sind die Themen von Nick Cave, der sich selbst zu einem poetischen Gesamtkunstwerk stilisiert hat. Wer der echte Mensch dahinter ist? Es spielt keine Rolle. Cave ist der Schriftsteller, der dichtende Musiker, der bildende Künstler und vor allem ein Bühnenprediger, dem das Pathos wahrlich nicht fremd ist. 

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Daraus erklärt sich auch, warum es so viele Filme über Nick Cave gibt: Er ist einer der faszinierendsten Charaktere der Rockmusik, ein fleischgewordenes Labyrinth. Der beste der filmischen Versuche über den Sänger ist der experimentelle 20,000 Days on Earth. Jane Pollards und Iain Forsyth versuchen gar nicht die Kunstfigur zu durchstoßen – sie spielen mit ihr. Cave selbst darf sich inszenieren, sich einer Psychoanalyse unterziehen und sich auf kreative Weise selbst (ver)klären. 

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Alle Weggefährt*Innen, von Blixa Bargeld zu Kylie Minogue, spielen in dieser dokumentarischen Fiktion mit. Man könnte hier nun Lüge und Betrug wittern, schließlich wollen wir den Menschen hinter der Rolle sehen. Aber wollen wir das? Die Banalität hinter der Kunst ist nicht selten eine ernüchternde Obszönität, die der Illusion des Werkes schadet. Insofern ist 20,000 Days on Earth selbstverständlich ein Dokumentarfilm, der uns die Arbeit an der Rolle zeigt und damit zu  so etwas wie einer Poetologie des Nick Cave wird, in der gar noch der Tod des eigenen Kindes aufgeht und die Worte einen Trost entfalten. Ich möchte nicht, dass meine Held*Innen schrumpfen, indem wir ihre normalen Leben sehen, denen wir doch alle in den Künsten zu entfliehen hoffen. 

Sebastian Seidler

Madonna: Truth or Dare (1991)

Die Pitchfork-Autorin Emma Madden bezeichnete diesen Film 2020 als „moralisch streitbares Dokument der rich white girl fantasy. She’s a material girl in a material world – so viel wissen wir. Trotzdem ist Madonna: Truth or Dare irritierend – vermutlich, weil der Film wie ein Vorläufer des Reality-Fernsehens daherkommt. Die Kameras dürfen immer und überall sein und der Popstar agiert trotz ihrer Anwesenheit scheinbar ohne jeglichen Filter. Ist das der Mensch hinter der Rolle, die ernüchternde Obszönität, die Kollege Seidler beschreibt?

Klar, als Popstar ist man die Anwesenheit von Kameras gewohnt und Madonna war ohnehin immer bekannt für ihr loses Mundwerk, etwa einen berühmten Auftritt bei David Letterman, bei dem sie die Person am Zensurknopf zwang, einen neuen Piepsrekord aufzustellen. Neben gelungenen Provokationen, etwa als die Polizei in Toronto mit Verhaftung wegen öffentlicher Unanständigkeiten droht und Madonna sich daraufhin bei „Like A Virgin“ besonders beherzt in den Schritt fasst, tun sich hier aber auch Abgründe auf: „Als ich klein war, habe ich Mädchen wie dich verprügelt“, sagt sie einmal zu ihrer Make-up-Künstlerin Sharon Gault. Ein paar Tourstops und Filmszenen später kommt Gault zur Arbeit und berichtet, letzte Nacht unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden zu sein. Madonna lacht darüber.

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Truth or Dare ist ein Prototyp der Backstage-Doku, die Larger-than-life-Popstars nahbar und menschlich machen soll. Müdigkeit ist ein Motiv, das sich durch Madonnas Off-Kommentar zieht, der Druck, den es bedeutet, jeden Abend unterhalten zu müssen. Vor einer Show in New York sieht man, dass sie mitgenommen und abgelenkt ist. Hier ist einige Monate zuvor ihr Freund Keith Haring an AIDS gestorben. Auch in einem noch wortwörtlicheren Sinne soll das Publikum Madonna näher kommen: durch voyeuristische Einblicke in die Umkleide, ins Hotelzimmerbett. Der Film wurde auch unter dem Titel „Im Bett mit Madonna“ vertrieben. An diesen Ansätzen haben sich seither andere Filme orientiert, etwa Gaga: Five Foot Two, in dem auch Lady Gaga mal weinend, mal unbekleidet zu sehen ist.

Amüsantes hat der Film auch zu bieten, gerade für Filmfans: Man erfährt, dass Madonna Fan von Pedro Almodovar ist und einen Crush auf Antonio Banderas hat. Deshalb ist sie sehr aufgeregt, ihn bei einer von Almodovar ausgerichteten Party zu treffen – nur um festzustellen, dass er schon verheiratet ist. „Ich glaub, er ist doch nicht so ein guter Schauspieler“, sagt sie im Anschluss. Madonna: Truth or Dare ist ein ständiges Schwanken zwischen Amüsantem und Abgründigem und gibt somit einen komplex und authentischen wirkenden Einblick ins Berühmtsein und in die Erfüllung einer rich white girl fantasy inklusive ihrer Korruptionen – anders als viele heutige-Dokus über Musiker*innen, die eher Werbefilme sind.

Der Ansatz, einfach draufzuhalten und den Star den Film tragen zu lassen, geht hier auf – dadurch, dass die Fliege an der Wand geradezu invasiv ist und der Star vielschichtig und streitbar ist. Eine Stilentscheidung: Die Backstage-Szenen sind in Schwarzweiß gefilmt, die Ausschnitte aus Konzertauftritten in Farbe. Oft konterkariert das eine das andere. Nach der Erwähnung des Tods Keith Harings wird ausgerechnet die Performance von „Holiday“ gezeigt, dem Gute-Laune-Hit vom ersten Album, mit dem Madonna 1983 ihren Durchbruch feierte.

Der damalige Boyfriend Warren Beaty kommentiert als einziger einmal die Anwesenheit der Kameras: Warum ihre Teammitglieder und Mitmenschen wohl noch nicht angesprochen hätten, dass es merkwürdig sei, ununterbrochen gefilmt zu werden. „Ohne Kameras hätte sie wohl nichts zu sagen“, feixt er. „Wozu sprechen, wenn es off-camera ist? Wozu existieren?“ Die Beziehung hat nicht lange gehalten.

Mathis Raabe

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