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Couchperle: Cannes für die Couch bei MUBI und Arte

Ein Beitrag von Mathis Raabe, Christian Neffe

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Cannes_Mubi_Arte

Beim wichtigsten Filmkunst-Festival der Welt haben im Laufe seiner fast achtzigjährigen Geschichte viele Filme zum ersten Mal ein Publikum gesehen, die seither hoch geschätzt sind. Auch in den letzten Jahren löste die Vergabe der Goldenen Palme mehrfach kleine Beben aus, etwa die Auszeichnung für Bong Joon-hos Parasite 2019, der wenig später noch als erster fremdsprachiger Gewinner des höchsten Oscars Geschichte schreiben sollte, oder die überraschende Entscheidung der Jury für Julia Ducournaus feministischen Body-Horror-Film Titane im Jahr 2021.

Wer dieses Jahr das Gespräch bestimmen könnte, könnt ihr natürlich anhand unserer Kritiken vom Festival mitverfolgen. Weil ein Airbnb in der Stadt an der französischen Riviera teuer ist, wollen wir außerdem das Programm der Streamer und Mediatheken vorstellen, die Highlights vergangener Jahre präsentieren, damit auch auf der heimischen Couch ein bisschen Festival-Stimmung aufkommen kann. Mit der Arte-Mediathek kann man sogar umsonst Filmgeschichte genießen, bei MUBI wie gewohnt zum Abo-Preis.

Bei Arte: Drive My Car

Fast drei Stunden dauert Ryusuke Hamaguchis Drive My Car, und doch vergeht jede Minute davon wie im Flug. Was ziemlich gut mit dem Gefühl korrespondiert, das der im Mittelpunkt stehende Theaterregisseur (Hidetoshi Nishijima) empfindet, wenn er in seinem geliebten Wagen von einer ihm zugeteilten Chauffeurin gefahren wird. So wollen es nämlich die Regeln des Theaters, an dem er gerade ein Stück inszeniert und dabei – wie das nun mal so ist bei Film-im-Film-/Theater-im-Film-/Theater-im-Theater-Konstruktionen – die eigenen inneren Dämonen überwinden muss, nämlich den Tod seiner Ehefrau. Trotz aller Elegie ist Drive My Car ein warmherziger, berührender Film über Schuld und Sühne, Träume und Wünsche und den Weg zurück ins Leben nach einem tragischen Verlust.

Christian Neffe

Bei MUBI: Border

Tina hat ein ungewöhnliches Äußeres und verfügt über einen siebten Sinn: Sie kann Schuldgefühle oder Wut an Menschen riechen. Sie nutzt das bei ihrer Arbeit als Zollbeamtin, um auszuschnüffeln, wer etwas verheimlicht. Dass diese Vorgehen nicht unproblematisch ist, wird klar, als eine von ihr verdächtigte Person keine Schmuggelware verbirgt, sondern ein Geschlechtsorgan, das nicht dem von außen angenommenen Geschlecht entspricht. Und noch etwas: Diese Person hat mit Tina eine Narbe am Steißbein gemeinsam, und sieht ihr auch irgendwie ähnlich.

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Zustimmen und ansehen

Ali Abbasis Border ist vielschichtig: Neben einer Liebes- und Selbstfindungsgeschichte gibt es noch einen Crime-Plot, in dem Tina bei einer Ermittlung wegen Kindesmissbrauchs mithilft. Überhaupt sind Kinder, genauer gesagt Babys, mehrfach ein wichtiger Bedeutungsträger. Man kann viele Themen darin wiederfinden: von normabweichenden Geschlechtsidentitäten über Reproduktionsrechte bis hin zu Genozid.

Dabei ist der Film sicherlich auch streitbar: dass die Andersartigkeit, mit der er sich befassen will, mit Fantasy-Mitteln umgesetzt ist, die Figuren mal höchst zärtlich betrachtet werden, dann wieder bewusst abstoßend inszeniert sind – und manchmal beides zugleich, wie in der wunderbar irritierenden und doch berührenden Sexszene des Films. Aber das ist eine Qualität der Filme von Ali Abbasi: dass sie kompliziert und unangenehm sind, dass sie Diskussionsstoff bieten. Das qualifiziert ihn dann auch für das nicht minder vertrackte Drahtseilprojekt, das er dieses Jahr im Wettbewerb von Cannes vorstellen wird: The Apprentice, einen Film über den jungen Donald Trump.

Mathis Raabe

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