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Love is in the Air: Liebesfilme ohne Kitsch

Liebesfilme. Da denkt man gleich an die üblichen Komödien. Dabei kommt die Liebe in so vielen Filmen vor, und manchmal versteckt sie sich an ungewöhnlicher Stelle. Die Redaktion empfiehlt Filme, die sich mit der Liebe auf spezifische, erfrischend andere oder auch einfach nur besonders schöne Weise beschäftigen.

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Vertigo/HappyTogether/Dracula
Vertigo / Happy Together / Bram Stoker's Dracula

Der erste Kuss der Filmgeschichte stammt aus dem Jahr 1896, als das Medium also noch kein Jahr alt war. Die von William Heise gedrehte Einstellung löste beim Jahrmarktspublikum Begeisterung aus, rief aber auch die Ordnungshüter auf den Plan. „Absolut ekelhaft“, schreib ein zeitgenössischer Kritiker, die Polizei müsse eingreifen. Der erste Kuss war auch der erste Skandal der Filmgeschichte.

Heutzutage kommt das Motiv der Liebe in beinah jedem Film zumindest am Rande vor, selbst in Horrorfilmen und Action-Blockbustern haben Figuren existierende romantische Beziehungen oder wachsendes romantisches Interesse aneinander, weil dann mehr auf dem Spiel steht und weil sich die Zuschauenden damit identifizieren können. Schließlich ist fast jeder Mensch im Laufe des Lebens einmal verliebt oder in einer romantischen Beziehung, viele streben sogar danach. Dass es auch aromantische Menschen gibt, also solche, die wenig bis keine romantische Anziehung zu anderen Menschen verspüren, hat erst vor kurzer Zeit Einzug in den Diskurs gefunden.

Das Kino und auch andere Arten des Geschichtenerzählens propagieren also geradezu die Liebe, vor allem oft ähnliche Vorstellungen von Liebe und von den daraus resultierenden Beziehungen, und oft wird kritisiert, dass das ein negativer Einfluss sei: Zu heterosexuell, zu monogam, immer muss am Ende geheiratet werden und vor allem wird diese eine Person zu finden und sich für immer an sie zu binden, in den Geschichten oft allem anderen untergeordnet, das für ein glückliches Leben mindestens genauso wichtig sein kann.

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Was hilft dagegen? Natürlich Filme, die neue Ansätze wählen. Past Lives ist der Debütfilm der südkoreanischen Dramatikerin und Drehbuchautorin Celine Song. Sie legt ihren Fokus auf ein bestimmtes Motiv: „the one that got away“ – die Person, die man einfach nicht vergessen kann, das „Was wäre, wenn“, das einen nicht loslässt, obwohl man schon genau weiß, dass da Nostalgie und Verklärung im Spiel sind. Der Film ist seit Donnerstag im Kino. Zur Vorbereitung empfiehlt die Redaktion weitere Filme, die von der Liebe handeln, aber nicht auf die erwartbare Weise.

Vertigo von Alfred Hitchcock

Wenn mich Leute nach meinem liebsten Liebesfilm fragen, dann sind nicht wenige darüber erstaunt, dass ich Vertigo nenne. Ist der große Klassiker von Alfred Hitchcock denn nicht eher ein Thriller? Erzählt er nicht aus einer unerträglich männlichen Perspektive davon, dass sich Kim Novak für James Stewart in eine andere Frau verwandeln muss? In Vertigo den Male Gaze zu vermuten, zeugt nur vom inflationären Gebrauch dieses analytischen Begriffs, der eigentlich aufdecken soll, wann Frauen für eine allgemein verstandene Männlichkeit oder für das, was als Männlichkeit konstruiert wird, zugerichtet werden. Aus dem Dualismus kommt man in der Liebe aber niemals. Ebenso wenig lassen sich Momente der Verdinglichung in einer Beziehung vollständig vermeiden – weil wir uns von außen wahrnehmen, weil uns begreifen wollen. Zum Begreifen gehört immer die Stillstellung, bei der es natürlich nicht bleiben soll. Aus diesem Dilemma macht Hitchcock ein Geheimnis, eine schmerzende Frage: Wer ist eigentlich Carlotta/Madeleine/Judy, diese Dreiheit der Verführung, mit der Scottie erst in eine Falle und dann in einen Gespensterfilm gelockt wird.

Eine geisterhafte Erscheinung: Kim Novack in Vertigo. © Paramount

Die Frau muss sich hier verwandeln. Sie ist aber zumindest für eine gewisse Zeit gleichzeitig Subjekt und Objekt der Verführung. Im Kern geht es um eine Verwandlung, die beide Figuren im Sturz durch die Liebe durchmachen müssen. Sie werden von sich selbst fortgerissen. Der französische Philosoph Jacques Derrida hat in einem Interview über den Begriff der Liebe nachgedacht. Das Herz eines liebenden Menschen teile sich im Moment der Liebe in zwei Hälften: Jemanden lieben, aufgrund seiner einzigartigen Person; Etwas an dieser Person lieben, was sie auszeichnet (Sanftmut, Schönheit). Zwischen diesen beiden Polen wird man zerrieben, weil die Einzigartigkeit ja aus bestimmten Elementen besteht, die sich verändern können. Bleibt man so, wie man war, ist man ein lebendiger Toter. Verändert man sich zu sehr, verliert man womöglich die Liebe. 

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In Vertigo stellt sich die Frage, wer diese seltsame Person ist: Carlotta/Madeleine/Judy. Judy wird immer schon Madeleine/Carlotta gewesen sein. Oh wie kompliziert. Aber so sind die Menschen eben. Man verliebt sich nicht und dann bleibt der Zustand so erhalten. Will man ihn festhalten, tötet man alles. Dann stürzt die Liebe den Glockenturm hinab. Wir müssen der Person, die wir lieben (nehmen wir nur dieses Wort) eine Freiheit geben, sich zu verändern, immer wieder diese einzigartige Person zu werden. Am Ende ist das Arbeit und ein Ja-Sagen. Vertigo erzählt für mich diese Geschichte: Ich darf den anderen nicht fixieren.

„Vertigo“ ist bei gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar.

von Sebastian Seidler

Happy Together von Wong Kar-Wai

Wong Kar-Wai ist ein Romantiker, keine Frage. Vor allem, wenn man darunter im kulturgeschichtlichen Sinne auch etwas Tragisches, Sehnsüchtiges versteht. Dass Happy Together in meinem persönlichen Ranking seiner Filme höher platziert ist als bei anderen, liegt vielleicht daran, dass er der erste Kar-Wai-Film war, den ich gesehen habe, sicher aber auch daran, dass er das einzige explizit queere Werk in der Filmografie des Regisseurs ist, und sein bester Film, der nicht in Hongkong spielt.

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So wie er seine eigenen filmischen Tropen verkehrt, stellt Kar-Wai in Happy Together auch den Liebesfilm auf den Kopf: Die Sexszene gleich zu Beginn, das toxische On/Off der Beziehung der beiden Männer, alles fühlt sich geerdeter, körperlicher und echter an, als man es von ihm oder auch vom Liebeskino gewohnt ist. Die Romantik steckt in den Bildern von Argentinien. Die schlussendliche Trennung des Paars ist damit verbunden, dass Christopher Doyles Kamera tief in die Iguazú-Wasserfälle eintaucht. Die vergebliche Suche des Menschen nach Halt, konterkariert durch die beständige teilnahmslose Bewegung der Natur.

Sicherlich kein innovatives Symbolbild, aber am Ende eines Films, der so ohne Dringlichkeit eine quälende ständige Anziehung und Abstoßung zweier Menschen betrachtet hat, schafft es dieses Bild, die Trennung geradezu friedlich und versöhnlich zu zeichnen. Auch dass der Titel für diesen Film geradezu zynisch wirkt, weist nur auf diese scheinbar offensichtliche, aber in der Liebe doch oft so schwer zu fassende Erkenntnis hin: Wenn es einfach nicht klappt, lässt man es besser sein, bevor man daran krank wird.

„Happy Together“ ist bei gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar.

Mathis Raabe

Happy Accidents von Brad Anderson

Der Genre-Hybrid Zeitreise-RomCom ist gar nicht mal so selten wie man denken sollte: In Midnight in Paris, About Time, When We First Met und natürlich 30 über Nacht lernen die Figuren in klassischer Hero’s-Journey-Manier durchs Zeitreisen etwas über ihre Beziehung oder über die Liebe im Allgemeinen. Happy Accidents liefert die Erklärung, warum die Themen Zeit und Liebe so gut zusammenpassen: Die Wahrnehmung von Zeit ist durch Emotionen gefiltert. Filme bilden das ab. Manchmal scheint die Welt stillzustehen, manchmal blickt man wie in Zeitlupe jemandem nach. Schmerzhafte Momente ziehen sich hin wie Kaugummi, schöne vergehen wie im Flug.

"Happy Accidents von Brad Anderson"
© IFC Films

Der Plot des Films: Ruby Weaver (Marisa Tomei) ist frustriert vom Dating. Da trifft sie endlich einen Typen, mit dem es funkt (Vincent D’Onofrio). Seine einzige Macke: Er behauptet, aus der Zukunft zu kommen. Regisseur Brad Anderson findet hier eine unwahrscheinliche Mitte zwischen seinem romantisch veranlagten Frühwerk und den psychologischen Thrillern, für die er heute bekannt ist. Hinter einer dieser kauzigen New-York-Lovestorys, wie sie schon zuhauf erzählt wurden, versteckt sich ein Mysterium, an dem die Zuschauenden bis zum Ende rätseln dürfen, wie sie es um diese Zeit besonders gern im Kino taten. Ich kann das Genre der Rätsel- und Twist-Filme nicht einmal sonderlich gut leiden. Wenn nicht klar ist, ob dabei die Welt auf dem Spiel steht oder möglicherweise nur die Frage, ob Männer wirklich alle nicht zu gebrauchen sind, wird das Ganze aber plötzlich charmant.

Die Suche nach Hinweisen auf die Wahrheit wird mit dem Nachsinnen über die Liebe verschränkt. Worüber kann man hinwegsehen, wenn die Chemie stimmt? Ist er vielleicht psychisch krank? Ist es toxisch, eine psychisch kranke Person per Liebesbeziehung heilen zu wollen? (Ja.) Und was, wenn er wirklich aus der Zukunft kommt? Das Drehbuch ist einfallsreich – etwa die Szene, in der D’Onofrios Figur an Hand seines Zukunftswissens ganz beiläufig die Frage nach der Existenz Gottes beantwortet – und lässt wünschen, Brad Anderson würde vielleicht eines Tages wieder ins Komödienhandwerk zurückkehren.

Um „Happy Accidents“ zu sehen, muss man findig sein, beispielsweise eine gebrauchte DVD besorgen.

Mathis Raabe

Porträt einer jungen Frau in Flammen von Céline Sciamma

Die französische Filmemacherin Céline Sciamma hat mit Water Lilies (2007), Tomboy (2011) und Mädchenbande (2014) bereits drei wunderbare Werke geschaffen, die das Frankreich der Gegenwart facettenreich einfangen. Mit Porträt einer jungen Frau in Flammen wandte sie sich 2019 einem historischen Stoff zu – und vermied dabei sämtliche Klischees des Kostümfilms.

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Sciamma erzählt eine Emanzipations- und Liebesgeschichte mit zwei komplexen Protagonistinnen, die von Adèle Haenel und Noémie Merlant mit Hingabe gespielt werden. Es geht um Kunst, Befreiung und Intimität; damit einher gehen herrliche Landschaftsaufnahmen.

In den Händen einer anderen Person auf dem Regiestuhl und mit einer weniger engagierten Besetzung hätte daraus auch einfach ein gediegenes Stück Arthouse-Kino werden können. Hier entwickelt sich aber ein unglaublich intensiver, dringlicher und immer wieder überraschender Gefühlsrausch, der auf zeitlose Art und Weise die mal schöne, mal beängstigende Wucht erfasst, die die Liebe in uns auslösen kann.

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ist bei gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar und u.a. bei Joyn PLUS+ in der Flatrate enthalten.

von Andreas Köhnemann

Blade Runner 2049 von Denis Villeneuve

Ich halte die Romanze zwischen dem einsamen Theodore und der KI Samantha in Spike Jonzes Her noch immer für eine der schönsten filmischen Romanzen des 21. Jahrhunderts, allem voran, weil sie einen positiven Blick auf diese scheinbar unmögliche (und letztlich dann doch misslingende) Liebe zwischen Mensch und Maschine wirft. Noch einen Schritt weiter geht da jedoch Denis Villeneuves Blade Runner 2049 in der Beziehung zwischen K (Ryan Gosling) und Joi (Ana de Armas) – er ein gefühlskalter Replikant, sie eine körperlose künstliche Intelligenz, die ihn nur in Form einer Projektion begleiten kann.

Natürlich, Joi ist, um es mit den Worten von Paso Doble zu sagen, als Produkt eines Großkonzerns „voll auf Liebe programmiert“ – darauf, sich den Bedürfnissen, Wünschen des „Kunden“ anzupassen. Das muss auch K am Ende, in dieser so ikonischen Szene mit dem riesigen Hologramm, schmerzlich feststellen. Und trotzdem war diese Liebe doch echt – oder etwa nicht? Was macht Liebe denn überhaupt „echt“? Die richtigen Hormone? Warum dann nicht auch die richtigen Algorithmen? Das sind die faszinierenden Fragen, die Ks und Jois Beziehung aufwirft.

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Das gelingt jedoch erst dadurch, dass sie so authentisch wirkt. In den kleinen Gesten und Momenten, im gesamten Miteinander, in dieser fantastischen Regenszene. Diese Liebe zwischen zwei künstlichen Wesen fühlt sich echter an als so viele andere Romanzen, die uns Hollywood auftischt. Und das ist es doch schließlich, worauf es in der Liebe ankommt: aufs Gefühl. Umso mehr schmerzt ihr abruptes, grausames Ende.

„Blade Runner 2049“ ist bei den gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar.

von Christian Neffe

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