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Faszination Freilichtkino

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Filme unter freiem Himmel genießen: Was ist daran so besonders? Und was erzählt uns ein Filmabend unter Sternenhimmel über das Kino? Ein Loblied auf das Freilichtkino.

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OpenAirKino
Herrliche Aussichten: Freiluftkino Kreuzberg in Berlin

Die Temperaturen steigen, die Tage werden länger. Im Sommer ist es für viele Menschen eine völlig absurde Vorstellung, sich in das Dunkel eines Kinosaals zu setzen, während draußen doch gerade See und Park locken. Man will die Zeit lieber im Freien verbringen. Was also tun? Den Laden zusperren? Die Fensterläden der Geschichten verrammeln? Das kommt gar nicht infrage. Wenn das Publikum nicht zum Film kommt, dann muss der Film eben zum Publikum kommen. So lautet die Devise. Es dürfte wohl kaum einen Ort geben, in dem es kein Freilichtkino oder Open-Air-Kino gibt – zumindest als limitiertes Event.

„Evo Summer Cinema, FREE Outdoor Movie 2019 @ Second Beach“ by GoToVan is licensed under CC BY 2.0.

Auf den ersten Blick mag daran nicht viel Besonderes sein: Man schaut eben im Freien einen Film, ist doch egal. Nun leben wir aber in Zeiten, in denen das Kino als Ort des gemeinsamen Filmgenusses zunehmend verschwindet. Da sollte man sich also durchaus verwundern lassen, sich wundern und auch ein wenig mit dem Träumen anfangen.

Wieso funktioniert dieses Konzept so gut? Können wir daraus etwas über das klassische Kino ableiten?

Historisch gesehen, ist das Freilichtkino eine Rückwendung auf die Wandervorstellungen: Als es noch keine festen oder zu wenige Kinosäle gab, war der Filmvorführer ein Wanderer, vergleichbar mit dem Zirkus, der heute noch über die kleinen Dörfer tingelt (wenngleich auch diese Tradition – auch aus Tierschutzgründen – ausstirbt). Wie die Geschichten sich ausbreiten, so zogen auch die Bilder durch das Land: Es war etwas Besonderes, ein Ereignis. Das Medium Film war noch völlig neu. Erste Wanderkinos gab es bereits 1896. Die Freilichtkinos von heute sind sicherlich von ihren mobilen Schwestern zu unterscheiden, da sie eine völlig andere Funktion erfüllen. Eine Familienähnlichkeit besteht trotzdem, weil in beiden Fällen ein Mangel behoben bzw. ein Bedürfnis befriedigt wird. Mehr zum Wanderkino findet man in der Essayreihe der Kracauer-Stipendiatin Morticia Zschiesche beim Filmdienst

Fest steht, dass sich im Freien – stellen wir uns einen Stadtpark vor – das, was man als das Dispositiv Kino bezeichnet, verändert oder es zumindest in Bewegung gerät. Mit diesem Begriff ist der dunkle Raum gemeint, der Saal, der die Welt ausschließt, um das Tor zu einer anderen Welt aufzustoßen: Erst wenn uns der Apparat einspannt, der Ort in Beschlag nimmt, werden wir in einen Film hineingezogen, können wir uns verlieren. Zwar teilt man den Raum mit anderen. Dennoch ist man mehr oder weniger auf sich zurückgeworfen oder wird (beim Horrorfilm oder einer Komödie) von anderen mitgerissen.

La Grande Piazza in Locarno. © Locarno Film Festival, Luca Dieguez

Im Freilichtkino verändert sich das: Die Welt ist nicht ausgeschlossen. Vielmehr bildet sie den Hintergrund für eine Vorführung. Man hört die Vögel im Baum, das Rascheln eines Hasen im Gestrüpp. Die Geräusche verbinden sich mit der Welt auf der Leinwand. Wer keinen Platz ergattert hat und keinen Blick auf die Leinwand werfen kann, dem ist es zumindest möglich, einem Hörfilm zu lauschen. Wer schonmal auf dem Filmfestival in Locarno war, wird es vielleicht kennen: Dort auf der Piazza, dem Marktplatz, bauen sie jedes Jahr die größte Freiluftleinwand Europas auf. Nicht immer laufen dort auch die spannendsten Filme. Dennoch ist die Szenerie atemberaubend. Und wenn man von einer anderen Vorstellung zum Hotel läuft, durch die kleinen Gassen der Altstadt, dann ist der Film zu hören: gespenstisch und romantisch, als wandelte man durch seinen eigenen Film.

Ich habe dort den flirrend-schönen Piano Piano gesehen. Obwohl die Sonne schon lange untergegangen war, stand die Luft. Die Steine und Mauern haben die Wärme gespeichert und ganz Locarno war einer Sauna gleich. Diese Lolita-Alice-im-Wunderland-Geschichte über ein vom Abriss bedrohtes Wohnhaus, in dem sich die armen Seelen gegen das Unvermeidliche stemmen und die Jugendlichen mit den Hormonen kämpfen, entfaltete sich, flutete die Gassen mit Sehnsucht und Energie.   

Piano Piano © Rai Cinema/Briciolafilm

Kino ist mehr als ein Film. Mehr als ein Ort.

Kino, das ist viel mehr als nur Film und die Abspielstätte: Es ist eine Kultur der Gemeinschaft. Man teilt die Geschichte, die Bilder und die Emotionen. Im Freilichtkino ist dies völlig entgrenzt, so als würde man den Film ins Leben holen. Dabei gibt es auch sorgsam kuratierte Freilichtkinos, die besondere Orte mit ausgewählten, passenden Filmen bespielen. Die Filmstiftung NRW hat seit Jahren eine Freilichtkinoreihe mit dem Namen Filmschauplätze, deren Vorstellungen überall in Nordrhein-Westfalen stattfinden und auf besondere Weise die Architektur und die Geschichte der Orte reflektieren. Anderswo werden Filme auf Hauswände projiziert oder an verlassenen Orten aufgeführt. Besser kann man das Kino gar nicht auf seine Essenz herunterbrechen: Film bedeutet Leben. Die Geschichten erzählen sich zwischen uns und dabei ist es völlig egal, ob Bild- und Tonqualität der letzte Schrei sind.

Viel wichtiger ist es ohnehin, mit einer Decke im Gepäck, sich im Licht der Projektion einkuscheln zu können. Denn mitunter gibt es gar keine Stühle, auf die man sich setzen muss. Verteilt euch, wie es beliebt! Vielleicht müssen wir so über das Kino generell nachdenken: Es gilt, den Film als gelebte Kultur an Orte zu bringen, ihn wieder mit dem Alltag zu verschalten. Das reine Avengers-Eventkino wird womöglich nur ein Tod auf Raten sein. Kinobetreiber dieser Welt verbündet euch, mit Kneipen, Buchläden und öffentlichen Einrichtungen. Da könnte noch mehr gehen.    

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