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Oscars

Who the fuck is Oscar: Die Spielregeln der Academy Awards

Ein Beitrag von Mathis Raabe

Die Oscar-Nominierten und -Gewinner haben neben Zuschauer- und kritischem Erfolg viel mit Geld und der richtigen Kampagne zu tun. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen der Film-PR und ihrer Sektempfänge.

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Oscar
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Man muss der Oscar-Academy zugutehalten, dass sie in den letzten Jahren mehrfach Richtlinien für neue Einladungen verabschiedet hat, um vielfältigere Ergebnisse zu ermöglichen. Es wurden so viele neue Mitglieder eingeladen, dass sich die Größe des Abstimmungskörpers seit 2015 mehr als verdoppelt hat. Mutmaßlich wäre Everything Everywhere All At Once noch einige Jahre zuvor nicht so vielfach ausgezeichnet worden wie 2023. Trotzdem oder gerade deshalb lässt sich aus der jährlichen Preisverleihung wohl noch immer mehr über den Zeitgeist von Hollywood als Industrie ablesen denn über die besten Filme der letzten zwölf Monate. Und: Es lässt sich ablesen, welches Studio die beste oder kostspieligste PR-Kampagne gefahren hat.

Deshalb wollen wir eine Einführung liefern: Wer ist eigentlich diese mysteriöse Academy, und was hat, neben Zuschauer- und kritischem Erfolg, Einfluss auf die Nominierungen und Auszeichnungen?
 

Wer ist die Academy?

Mitglieder der Academy sind nach aktuellem Regelwerk Filmschaffende, die in der Vergangenheit nominiert waren, oder solche, die von mindestens zwei bestehenden Mitgliedern ihres Fachzweigs vorgeschlagen wurden. Über solche Vorschläge wird jährlich im Frühling abgestimmt. Die ernannten Academy-Mitglieder dürfen schließlich in ihren eigenen Fachkategorien nominieren. Das heißt: Wer Mitglied ist, weil er anno dazumal für visuelle Effekte nominiert war, nominiert auch heute Filme für ihre visuellen Effekte – mit Ausnahme der Kategorie Bester Film. Da dürfen alle nominieren, also auch zum Beispiel Dolly Parton, die 1980 einmal mit einem Song für einen Oscar nominiert war. Sie darf auch über den finalen Sieger abstimmen – in dieser Phase ist die Trennung nach Fach und Expertise aufgehoben.

So kommt es, dass aktuell knapp 10.000 Academy-Mitglieder über den renommiertesten Filmpreis der Welt abstimmen, darunter mutmaßlich jedes Jahr viele, die nicht jeden nominierten Film gesehen haben. Stattdessen spielen Vorlieben und Freundschaften, das Presseecho und auch Lobbyismus eine große Rolle. Eine Oscar-Auszeichnung ist nicht nur prestigeträchtig, sondern auch gute PR. Deshalb kann es sich für Studios lohnen, viel Geld in eine Oscar-Kampagne zu investieren.
 

Money talks

Ein Film ohne PR-Budget im Rücken habe schlicht keine Chance auf eine Goldstatue, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter internationaler Oscar-Kampagnen, mit dem Kino-Zeit gesprochen hat. Allein für die Bereitstellung des Films auf der Academy-eigenen Streaming-Plattform werden den Best-Picture-Nominierten 20.000 US-Dollar in Rechnung gestellt. Auch PR-Profis sind nicht günstig. Die schicken den Mitgliedern E-Mails – je Film ist eine pro Woche erlaubt – und planen Veranstaltungen. Letzteres ist besonders teuer. Schlagzeilen machte etwa 2019, dass Netflix’ Oscar-Werbekampagne – lies: Screenings mit Anwesenheit des Teams und anschließendem Sektempfang – zu Alfonso Cuaróns Roma mehr Geld kostete als die Filmproduktion selbst. Der Film konnte daraufhin drei Statuen von der Preisverleihung mitnehmen.

Filmstil aus „Roma“ / © Netflix

Gerade bei den Streamern habe er Kampagnen mit Umwegen beobachtet, sagt unser Experte, die dann besonders kostspielig seien. Im Gegensatz zu den Major-Studios, die meist genau wissen, auf welches Pferd sie setzen wollen, werde hier mitunter auch spät noch einmal umgeschwenkt.
 

Wer hat überhaupt eine Chance?

Ja, dieses Jahr sind (Ko-)Produktionen aus Frankreich, England und sogar Südkorea in der Kategorie Bester Film nominiert. The times they are a-changin‘. Traditionell konnten foreign films aber neben der Auszeichnung als Bester Fremdsprachiger Film vor allem auf die Kurz- und Dokumentarfilmpreise hoffen. Auf dem Weg dahin gibt es sogenannte „qualifizierende Festivals“, auf deren Sieger die Academy ein besonderes Augenmerk hat, sowie bestimmte vorherige Preisverleihungen. Auch Das Lehrerzimmer wäre wohl eher nicht auf den Stimmzetteln gelandet, könnte der Film nicht bereits Nominierungen bei den European Film Awards, den spanischen Goya Awards sowie seine Auszeichnungen beim Deutschen Filmpreis vorweisen. Ein US-Vertrieb sei absolut unverzichtbar, sagt unser Gesprächspartner. Und ein US-Produzent sehr hilfreich.

Unter dem Begriff „Ausführender Produzent“ wird nämlich in den USA vor allem während der Oscar-Saison etwas anderes verstanden als in Europa. Ein großer Name in den Credits kann Eindruck schinden. Der Hintergrund ist dann möglicherweise gute PR-Arbeit: Martin Scorsese wird mutmaßlich jedes Jahr zu vielen Screenings eingeladen, mit der Bitte, einem Film doch durch seine Unterschrift im Abspann ein Gütesiegel zu verleihen. Auch öffentlichkeitswirksame Gespräche können Eindruck schinden – auch das sind Veranstaltungen, die organisiert und bezahlt werden müssen. Bradley Cooper zum Beispiel saß in den letzten Monaten mit Guillermo del Toro, mit Netflix‘ Oscar-Experte Alfonso Cuarón und schließlich mit Steven Spielberg zusammen auf Bühnen und sprach über Maestro. Die haben mit dem Biopic an sich nichts zu tun. Aber die Gespräche mit den Regieveteranen lassen Coopers erst zweite Regiearbeit gleich größer wirken. Also waren die Veranstaltungen für Netflix gut investiertes Geld.

Cooper und Cuarón im Gespräch / © Netflix

Was wird getan gegen Lobbyismus?

Es gibt mehr und weniger effizientes Regelwerk, das Fairness herzustellen versucht. Offiziell dürfen Academy-Mitglieder nicht mit dem direkten Aufruf, für einen Film abzustimmen, kontaktiert werden. Geschenke sind streng verboten. Sogar für die Verwendung des Begriffs „Oscars“ oder der Formulierung „For Your Consideration“ in einer E-Mail gebe es Vorschriften, so unser Gesprächspartner. Aber es gibt eben Schlupflöcher: Academy-Mitglieder zu einem privaten Screening, gar Meet and Greet mit Cast und Crew einzuladen oder eben zu einer Party, ist erlaubt und wäre wohl auch schwer zu unterbinden – die Wege in Los Angeles sind kurz, und man kennt sich.

Aber auch international muss es Veranstaltungen geben. Allein die Einladung per E-Mail erzeugt wichtige Aufmerksamkeit – selbst wenn niemand erscheint. Einmal habe es in Paris eine Vorführung einer Oscar-nominierten Dokumentation gegeben, zu der kein einziger Gast erschien, so unser Gesprächspartner. Später habe die Dokumentation den Oscar gewonnen. Denn das Ziel war vor Beginn der Projektion bereits erreicht: dass die in Frankreich lebenden Academy-Mitglieder die Betreffzeile lesen und den Film im Hinterkopf abspeichern. Wenn man Oscar-Kampagnen auf eine Phrase herunterbreche, so unser Experte, dann ist das: Lärm erzeugen.

Wer wohl dieser Tage die lautesten E-Mails schickt und die besten Sektempfänge schmeißt? Sonntagnacht wird man es vermuten können.

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