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Wenn Freiheit zur Illusion wird: Der Überwachungsstaat im Film

Ein Beitrag von Markus Fiedler

Tausend Augen. Überall. Was in den 60er-Jahren noch als gruselige Dystopie in Kriminalfilmen diente, ist heute an manchen Orten der Welt längst Realität. Das zeigt auch „Total Trust“, der Dokumentarfilm der chinesischen Regisseurin Jialing Zhang. Anlässlich dieses Filmstarts wirft unser Autor Markus Fiedler einen Blick auf weitere filmische Aufarbeitungen des Überwachungsstaates.

Meinungen
Der Staatsfeind Nr. 1 / Das Leben der Anderen / 1984
Der Staatsfeind Nr. 1 / Das Leben der Anderen / 1984

Korrekt die Zähne geputzt, um dem Gesundheitssystem nicht zu schaden? Zu lange mit der Nachbarin gesprochen und dadurch wertvolle Arbeitszeit verschwendet? In China wird durch die allgegenwärtige Staatsmacht nicht nur überwacht, die Bürger werden auch umerzogen. Müssen Punkte sammeln, um ein besseres Leben zu haben – zur Not auch durch Denunziation der Nachbarn. Jialing Zhang dringt in Total Trust tief in den Alltag dreier chinesischer Frauen und deren Familien vor und zeigt, wie stark George Orwells Schreckensszenario eines totalen Überwachungsstaates bereits heute im Leben der Bürger Chinas verankert ist. Ein Alptraum, der Wirklichkeit geworden ist.

1984

Nichts liegt näher, als einen Streifzug durchs Kino der Überwachung mit der Verfilmung von George Orwells dystopischem Romanklassiker zu beginnen. Der im gleichnamigen Jahr entstandene, von Michael Radford inszenierte Film mit John Hurt in der Rolle des Winston Smith und Richard Burton in seiner letzten Rolle als vermeintlicher Rebell ist gewissermaßen der Endpunkt der Erzählung des Staates. Denn in diesem System ist es ihm gelungen, mit perfiden Methoden sogar die Gedanken der Bevölkerung zu überwachen, indem er ihnen durch gefälschte rebellische Botschaften eine Aktion entlockt – und dann unbarmherzig zuschlägt. Nach der Gehirnwäsche funktioniert der ehemalige Staatsfeind dann wieder ganz im Sinne der Obrigkeit – wo immer die sein mag.

© Senator Film

Wie schon in seinem anderen bekannten Werk Farm der Tiere hat Orwell auch in dieser Vision keinen Grund zum Optimismus und versagt Lesern – und Kinogängern – jegliche Hoffnung auf Besserung. Zu weit fortgeschritten, zu etabliert ist das System, das sich quasi selbst reinigt und jede andere Meinung im Keim erstickt – zum Wohle eines angeblichen Volkes, das es längst nicht mehr gibt. Radford inszeniert das Werk ansehnlich, kann aber wenig Akzente setzen, die nicht von Orwell stammen. Dennoch: Ein Schlag in die Magengrube für Leute, die sich mit dem Thema beschäftigen wollen.

Das fliegende Auge

Nur auf den ersten Blick harmloser, weil zeitlich früher in der Entwicklung von Überwachungsmethodik angesetzt, ist John Badhams Actionfilm von 1982. Hier geht es um einen Vietnam-Veteranen namens Murphy, gespielt von Roy Scheider, der als Testpilot für einen völlig neuartigen Hubschrauber ausgewählt wird. Schnell stellt er fest, dass Blue Thunder, so der Name der Maschine, nicht nur im Luftkampf neue Maßstäbe setzt, sondern auch ein fliegendes Überwachungsgerät darstellt. Und dieses wird auch bereits von skrupellosen Machtmenschen missbraucht. Zufällig belauscht Murphy den Plan, den Hubschrauber bei absichtlich ausgelösten Unruhen in einem Armenviertel einzusetzen, um seine Fähigkeiten zu demonstrieren und unerwünschte Bürger zu eliminieren. Als die Verschwörer ihn bemerken, wird er zum Gejagten seiner eigenen Maschinerie. 

Nur ein Jahr später sollte Badham mit Wargames einen weiteren Tech-Thriller drehen, der sich mit den Gefahren künstlicher Intelligenz auseinandersetzt. Offenbar war der Regisseur zu dieser Zeit an solchen brisanten Themen interessiert. Und auch wenn Das fliegende Auge seinen Schwerpunkt auf die Action-Elemente des Stoffes legt, so bleibt doch ein für die damalige Zeit sehr deutliches Bild eines Staates oder von Teilen des Staates, die alles und jeden mit einem Befehl vernichten könnten, nachdem sie es lange genug überwacht haben. Dass der Film hier ein Happy-End präsentiert, ist nur auf den ersten Blick tröstlich. Denn eine Maschine lässt sich ersetzen.

Der Staatsfeind Nr. 1

16 Jahre später lieferte Hollywood erneut einen Thriller, der sich mit neuen technischen Möglichkeiten und der daraus erwachsenen Gefahr für völlig harmlose Bürger beschäftigt. Actionspezialist Tony Scott schickt Superstar Will Smith auf eine Flucht, bei der er über lange Zeit überhaupt nicht weiß, warum er das Ziel dieser Jagd ist. Erneut wählen die Macher den Staat als Drahtzieher im Hintergrund. Weil ein Senator einer Verschärfung von Überwachungsgesetzen nicht zustimmen will, wird er von rechten Kräften innerhalb des Systems ermordet. Und der Beweis dafür landet durch einen dummen Zufall ausgerechnet bei Smiths Charakter.

Auch hier liegt der Fokus auf der gut konsumierbaren Action, schließlich will ein Star wie Will Smith bezahlt werden und der Film muss entsprechende Schauwerte bieten, um seine Gage wieder einzuspielen. Dennoch zeigt das clevere Drehbuch immer wieder, wie einfach es für die richtigen Geheimdienste im Land ist, Operationen auf eigenem Boden durchzuführen und unbescholtene Bürger innerhalb von Sekunden zu titelgebenden Staatsfeinden zu machen. Auch wenn hier ebenfalls ein Happy-End den Tag versüßt: Die Bilder von Satelliten, die einen Menschen auf den Zentimeter genau verfolgen können, bleiben haften – Unterhaltungsfilm oder nicht.

Das Leben der Anderen

DDR 1984: Stasi-Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) soll belastendes Material über den Theaterschriftsteller Dreymann (Sebastian Koch) sammeln. Der Freigeist steht schon länger unter Verdacht, nicht mehr an die Werte des Staates zu glauben. Was Wiesler nicht weiß: Tatsächlich ist ein Minister an Dreymanns Freundin interessiert und nutzt seine Machtposition aus, um ein Druckmittel gegen Dreymann zu bekommen und Christa (Martina Gedeck) von sich zu überzeugen. Doch je länger die Bespitzelung durch die Stasi dauert, desto mehr beginnt Wiesler, sich mit Dreymann zu solidarisieren, desto mehr wächst im sonst so nüchternen Offizier der Staatssicherheit das Bedürfnis nach Kunst. Ein Unglück kann Wiesler nicht verhindern, doch weiteres Unrecht will er nicht mehr zulassen. Bald droht ihm selbst Gefahr.

© Sony Picture

Unterhaltung oder nicht, die Frage stellt sich bei diesem Film nicht. Das Regiedebüt von Florian Henckel von Donnersmarck beschäftigt sich nicht mit fiktiven Bedrohungen einzelner durch den Staat, sondern mit der Realität vieler Deutscher bis zum Jahr 1989. Und vor allem mit der Frage, was diese Überwachung eines Unrechtsstaates mit den Beteiligten macht, den Bespitzelten wie den Stasi-Mitarbeitern. Wo Hollywood eher auf den Kampf Gut gegen Böse setzt, nutzt Henckel von Donnersmarck eine ungleich feinere Klinge und legt die Schäden offen, die diese Unmenschlichkeit und die willkürliche Ausübung von Kontrolle an der Seele anrichtet. Sebastian Koch und Ulrich Mühe geben beiden Seiten ein Gesicht und lassen das Publikum teilhaben an der ständigen Angst, mit freiheitlichen Gedanken erwischt zu werden und ins Gefängnis zu kommen. Aber auch an dem Problem, inmitten eines korrupten und zutiefst verabscheuungswürdigen Überwachungssystems ein anständiger Mensch zu sein.

Natürlich täte man dem Film Unrecht, würde man ihn ausschließlich auf das Thema Überwachung reduzieren, denn er hat mehr zu bieten als das. Eine komplexe Liebesgeschichte, ein Drama der jüngsten Geschichte, ja selbst eine Psychostudie bringt der Regisseur unter. Und doch sind all diese Elemente durch die Methoden des Stasi-Staats beeinflusst, ohne die es zu den meisten Situationen des Films gar nicht hätte kommen können. Das Leben der Anderen, der den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann, erschüttert – und macht Hoffnung mit der Botschaft, dass Anstand manchmal den Ausschlag geben kann zu einer besseren Welt.

Umso schlimmer, dass diese menschliche Komponente in Total Trust keine Erlösung verheißt, denn vieles im modernen China läuft bereits computergesteuert ab – da hat menschliche Moral keinen Platz mehr. Zudem ist die Realität immer schlimmer als jede noch so gut gemachte Fiktion, die Henckel von Donnersmarcks Film, so gut er ist, letztlich bleibt. Wer also wirklich wissen will, auf welchem Weg sich die Diktaturen dieser Welt bei der Überwachung ihrer Einwohner bereits befinden, der kommt um Total Trust nicht herum. 

Meinungen

xtraa · 14.10.2023

Danke für den Artikel, aber möchte darauf hinweisen, dass man sich auch hier mal wieder viel zu lange mit Orwell aufhält anstatt mit Huxley (Brave New World).

Denn anstatt plumper, leicht zu durchschauender Überwachung eines autoritären Regimes á la Orwell lassen sich die M;enschen mit dem Ausleben ihrer Begierden und Leidenschaften wie bei Huxley viel besser, da subtiler kontrollieren. Fällt eben nicht so auf, als wenn oben eine Gallionsfigur mit nem Sledgehammer und Feindbildpotenzial hockt. Huxley zeigt etwas viel gefährlicheres und Omnipräsentes. Also diese Verfilmung fehlt.