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(Über-)Leben im Nationalsozialismus

Ein Beitrag von Patrick Torma

Anlässlich des Kinostarts von „Der Passfälscher“ richten wir unser Schlaglicht auf Beiträge im umfangreichen Filmfundus zum Thema Nationalsozialismus, die das Leben und die Hoffnung, den Widerstand und das Unerschütterliche im Menschen in den Mittelpunkt stellen.

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Der_Passfälscher

Überleben im NS-Terror: Ein Akt, der für viele Verfolgte an Unmöglichkeit grenzte. Millionen wurden ermordet. Das Kino als Teil einer Erinnerungskultur hält das Gedenken an sie wach. Genauso wie es an jene erinnert, die diesem menschenverachtenden Regime trotzten und der systematischen Ausrottung versuchten zu entgehen. So wie Cioma Schönhaus. Beruhend auf wahren Begebenheiten, erzählt „Der Passfälscher“ die Geschichte eines jüdischen Grafikers, der die Gestapo narrte.

Eigentlich befand sich Samson „Cioma“ Schönhaus (Louis Hofmann, Dark) schon auf dem Weg ins Vernichtungslager Majdanek, doch seine Anstellung in einem Rüstungsbetrieb hat ihm nochmal einen Aufschub gewährt. Den Eltern war dieser nicht vergönnt. Also lebt der junge Mann allein in einer viel zu großen Berliner Wohnung, umgeben von den konfiszierten Möbeln der Todgeweihten.

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Eines Tages kommt der Anwalt Kaufmann (Marc Limpach, München – Im Angesicht des Krieges) auf ihn zu, da er um Ciomas eigentliche Begabung weiß: Als angelernter Grafiker soll er Kaufmann dabei helfen, Ausweispapiere zu fälschen, die anderen jüdischen Menschen die Flucht aus Nazi-Deutschland oder zumindest ein Untertauchen  ermöglichen. Angetrieben vom Trotz gegen den NS-Staat, findet Cioma alsbald Gefallen an der Kunst des Täuschens. Denn sie eröffnet ihm ungeahnte Privilegien, bringt ihn aber auch in gefährliche Situationen …

Für Regisseurin Maggie Peren ist es eine Rückkehr in das dunkelste Kapitel Deutschlands. Als Drehbuchautorin war sie an Dennis Gansels Napola – Elite für den Führer (2004) beteiligt: Der Film erschien in einer Kino-Hochphase deutscher Vergangenheitsbewältigung und handelt von einem Internatsschüler, der sich unter dem Eindruck des brutalen Drills in einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt gegen die Indoktrinierung einer unmenschlichen Ideologie auflehnt. Die Rebellion als Thema ist auch in Maggie Perens neuester Regiearbeit zugegen. Anders als der geläuterte Protagonist in Napola, ein 17-Jähriger, der es anfangs nicht besser weiß und seine „Eliteausbildung“ mit Feuereifer antritt, hat der Passfälscher Schönhaus allerdings keine andere Wahl als zu handeln, will er im Dritten Reich überleben.

Mimikry – und andere Überlebensstrategien

Perens Film ist das Porträt eines jüdischen Tricksters, der den nationalsozialistischen Fimmel für Brief und Siegel zu seinen Gunsten zu nutzen weiß und sich im Sog seiner Fälschungen etwa dazu hinreißen lässt, als fescher Marineoffizier das Tanzbein zu schwingen. Als ihn seine verdutzten wie besorgten Mitwisser fragen, was er da eigentlich treibe, ist seine Antwort dem Tierreich entlehnt: Mimikry. Jene Fähigkeit, die mitunter Schwebfliegen vor dem Gefressenwerden bewahrt, weil sie für wehrhafte Wespen gehalten werden.

Das klingt schelmenstückartiger als es ist. Die jüdische Herkunft zu verbergen, um dem Tod zu entgehen, war für viele Verfolgte ein naheliegender Entschluss, der jedoch, vor dem Hintergrund der erbarmungslosen Ausrottungsabsicht der Nazis sowie in einem Klima des Denunziantentums, geringe Erfolgsaussichten versprach. Schätzungen gehen davon aus, dass nur 10.000 bis 15.000 der untergetauchten Jüd:innen den Zweiten Weltkrieg in Deutschland überlebten.

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Vier exemplarischen „Erfolgsgeschichten“ widmete sich 2017 das deutsche Doku-Drama Die Unsichtbaren, das Spielfilmszenen und Interviews mit Zeitzeug:innen verwebt und auch ebenjenen Cioma Schönhaus zu Wort kommen lässt. Der Untertitel „Wir wollen leben“ spielt auf den existenziellen Überlebenswillen der Porträtierten an, schließt aber auch das Alltägliche ein. Der Berliner Ku’damm und seine Kinosäle werden in dem Episodenfilm zu Sehnsuchtsorten und Schaufenstern in eine halbwegs „normale“ Welt. Auch in Aimeé & Jaguar (1999) tauchen die Jüdin Felice Schragenheim (Maria Schrader) und ihre Freundinnen in der Gesellschaft unter; in dekadenten Etablissements, die Zerstreuung in der zerbombten Stadt versprechen. Außerdem pflegt sie einen süffisanten Sinn für Paroli: Um ihre Flucht zu finanzieren, lässt sie sich in erotischen Posen fotografieren, die ausgerechnet unter deutschen Soldaten an der Front für warme Gedanken sorgen. Als es so weit ist, verzichtet sie der Liebe zur nichtjüdischen Lilly (Juliane Köhler) wegen auf ihr Ticket ins Exil.

Die berühmteste Wette gegen jede Wahrscheinlichkeit löste wohl Salomon Perel ein. Dem aus Deutschland geflohenen Juden gelang es, sich bei seiner Ergreifung in Polen als Volksdeutscher auszugeben. Der „Lohn“: Zwei Dienstjahre in der Wehrmacht sowie eine Ausbildung in einem Internat der Hitlerjugend, wo Perel der Gehirnwäsche der Nazis ausgesetzt war. Einem größeren Publikum bekannt wurde die Biografie Hitlerjunge Salomon durch die gleichnamige Verfilmung der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland aus dem Jahr 1990. Inszenatorisch etwas sprunghaft, besticht der Film durch seine provokanten, fast schon schwarzhumorigen Untertöne und die glaubwürdig herausgearbeitete Zerrissenheit des Protagonisten (gespielt von Marco Hofschneider).

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Fiktiv auf die Spitze getrieben wird die Maskierung des Jüdischen in Zug des Lebens (1998). In der Tragikomödie von Radu Mihăileanu wirft sich ein ganzes Dorf den Wolfspelz über: Den sicheren Abtransport ins Konzentrationslager vor Augen, klaubt die Gemeinde eine ramponierte Lok zusammen, um die eigene „Deportation“ gen Palästina zu inszenieren. Auf der verheißungsvollen Fahrt kommt es zu schreiend komischen Situationen, wobei es dieser leichtfüßigen Ode an das Leben meisterhaft gelingt, niemals den Ernst der Lage aus den Augen zu verlieren. Auch ohne die traurige Schlusspointe ist klar: Das kann nur eine bittersüße Fantasie sein.  

Überleben als Provisorium

In der Realität endeten viele Geschichten in den Vernichtungslagern der Nazis, bis Film und Fernsehen diese Realität jedoch widerspiegelten, brauchte es seine Zeit. Während sich der deutsche Trümmerfilm vorrangig der Bürde des verlorenen Krieges stellte – eines der seltenen Beispiele, die das jüdische (Über-)Leben in den Blickpunkt nahmen, ist etwa Der Ruf von 1949 –, war es in den folgenden Jahrzehnten die DDR-Schmiede der DEFA, die der Bundesrepublik vorhielt, welcher Verantwortung sie sich gesamtgesellschaftlich entzog. Freilich aus ideologischer Überlegenheit heraus. Dennoch: Konrad Wolfs Sterne (1959) oder Frank Beyers Nackt unter Wölfen (1963) sind nicht nur deswegen erinnerungswürdig, weil sie als Frühwerke deutscher Vergangenheitsbewältigung gelten.

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Erst Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss (1978, u.a. mit Meryl Streep und James Woods) schärfte international das Bewusstsein für den Genozid am jüdischen Volk und brach die hierzulande vorherrschende Kultur des Verdrängens auf. Mehr noch: Der Mehrteiler fürs Fernsehen hat, wie auch Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993), unsere kollektive Vorstellung von der Shoa nachhaltig geprägt. Gleichzeitig besitzen beide US-Produktionen großen Anteil daran, dass es inzwischen eine Vielzahl von Filmen gibt, die den Holocaust bebildern, über das, was war und niemals mehr geschehen darf, aufklären und erinnern, als Mahnmal fungieren und Mitgefühl evozieren, aber auch melodramatisch oder effekthascherisch ausschlachten.

Im Setting eines Konzentrationslagers ist Überleben ein Provisorium. Extrembeispiele sind Die Grauzone (2001) von Tim Blake Nelson und der ungarische Beitrag Son of Saul (2015), die in drastischen Bildern das systematische Töten der Nazis zeigen und das heikle wie aussichtslose Feld jüdischer Kollaboration betreten. In der spanischen Netflix-Produktion Francisco Boix – Der Fotograf von Mauthausen (2018) nutzt der titelgebende Protagonist seine fotografischen Kenntnisse, um bei der Dokumentation des KZ-Alltags behilflich zu sein. Dabei geht es Boix nicht nur um die eigene Haut – seine Aufnahmen sollen der Nachwelt das wahre Ausmaß der Verbrechen bezeugen.

Der Erhalt von Menschlichkeit

„Was bleibt?“ – diese Frage ist vielen Filmen über den Holocaust als Teil der Erinnerungskultur inhärent. Ein wiederkehrendes, übergeordnetes Motiv ist die Bewahrung von Menschlichkeit im Angesicht totaler Entmenschlichung. In dieser Hinsicht war Frank Beyer erneut seiner Zeit voraus, als er 1974 Jurek Beckers Roman Jakob der Lügner verfilmte. Weil er Mischa vor einem Diebstahl und damit vor der Todesstrafe bewahren möchte, tischt Jakob seinem Freund auf, er besäße ein Radio und wisse daher, dass der Krieg schon bald zu Ende sei. Eine Notlüge, die im Warschauer Ghetto Kreise zieht und so muss sich Jakob immer neue Wasserstandsmeldungen einfallen lassen, um den Lebensmut, den er gesät hat, nicht eingehen zu lassen. Der Stoff wurde 1997 mit Robin Williams in der Hauptrolle ein zweites Mal verfilmt.

Szene aus Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. © Warner Bros.

Ähnlich gelagert, wenn auch mit deutlich komischeren Zügen versehen, ist Roberto Benignis Das Leben ist schön aus demselben Jahr. Darin spielt der Regisseur den jüdischen Italiener Guido, der mit seinem Sohn in ein Konzentrationslager deportiert wird. Um den Spross so gut wie möglich von der grausamen Realität abzuschirmen, erklärt der Vater den Aufenthalt zu einem Spiel mit absurden Regeln, bei dem es etwas zu gewinnen gibt: einen echten Panzer. Sich dem Unbegreiflichen durch Kinderaugen anzunähern, ist ein wirkungsvoller Kniff, der seitdem immer wieder gerne von Filmemacher:innen angewendet bzw. adaptiert wird. Etwa in Jojo Rabbit (2019): Taika Waititi lässt in seinem skurrilen Mix aus Coming-of-Age-Film und NS-Groteske einen begeisterten Nachwuchs-Nazi, einen imaginierten Führer und ein untergetauchtes, weil jüdisches Mädchen in einer Zweck-WG aufeinanderprallen. Oder in Literaturverfilmungen wie Der Junge im gestreiften Pyjama (2006), Die Bücherdiebin (2014), Eine Handvoll Murmeln (2017) und Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019).

Perspektivwechsel im Widerstand

Auch wenn viele der genannten Filme von mutigen bis zuletzt unerschütterlichen Menschen erzählen: Geht es um die jüdische Perspektive, rücken die Figuren früher oder später in die Opferrolle. Als Gegengewicht fällt einem Quentin Tarantinos ultimative Rachefantasie Inglourious Basterds (2009) geradezu auf die Füße. In nur fünf Kapiteln dreht der Regisseur Weltgeschichte um: Dort macht eine Gruppe jüdischer Haudegen unter der Führung von Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt) Jagd auf Nazi-Skalps und fackelt die Überlebende Shoshanna (Mélanie Laurent) die gesamte NS-Prominenz samt Gröfaz in einem schnuckeligen Pariser Kino ab.

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Doch jüdische Gegenwehr findet man längst nicht nur im Kontrafaktischen: Mit Defiance (2008) inszenierte Edward Zwick den Partisanenkampf der polnischen Bielski-Brüder als rauen Kriegs-Actioner. Paul Verhoevens Black Book (2006) ist von der Biografie einer niederländischen Widerstandskämpferin inspiriert: Esmée van Eeghen. In dem wendungsreichen Thriller, Verhoeven-typisch mit überzeichneter Gewalt und einer Portion Sleaziness angereichert, schließt sich eine ehemalige Sängerin (Carice van Houten) dem Untergrund an, um sich in einen SS-Mann (Sebastian Koch) zu verlieben, auf den sie eigentlich angesetzt war. Die israelisch-deutsche Koproduktion der Regiebrüder Doron und Yoav Paz Plan A – Was würdest Du tun (2021) setzt kurz nach dem Krieg ein und beleuchtet die Vergeltungsabsichten einer Gruppierung namens Nakam. Deren Mitglieder nahmen nicht nur die ausführenden Köpfe ins Visier, sondern planten – gemäß altem hebräischem Rechtssatz „Auge um Auge“ –, Millionen Deutsche über die Trinkwasserversorgung zu vergiften.

Plan A ist ein buchstäblich extremes Beispiel, wie dehnbar der Blick auf den Holocaust ausfallen kann. Derart bahnbrechend ist Der Passfälscher nicht. Im Spannungsfeld zwischen zivilem Ungehorsam und bloßer Lebensfreude agierend, nimmt der Film allerdings eine Perspektive ein, die insbesondere im deutschen Kino bislang eher unterbelichtet ist. Und tritt damit den Beweis an: Die NS-Vergangenheit ist noch lange nicht auserzählt.

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