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Denkanstoß: Michael Bay

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Michael Bay am Set von Transformers im Jahr 2006
Michael Bay am Set von Transformers im Jahr 2006

Okay, schon klar. Michael Bay ist nicht unbedingt der erste Filmemacher, der uns bei Kino-Zeit einfällt, wenn es um unsere Lieblingsregisseure geht. Wir werden vielleicht nicht direkt vor den Kinos kampieren, um die Ersten zu sein, wenn sein neuer Film Ambulance anläuft. In dem Actionthriller muss Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) die teure Behandlung seiner Frau bezahlen und wendet sich mit der Bitte um ein Darlehen an seinen Adoptivbruder. Doch statt ihm ein bisschen Geld zu leihen, zieht Danny (Jake Gyllenhaal) ihn mit in einen waghalsigen Bankraub hinein.

Wir könnten es uns an dieser Stelle einfach machen und sagen: Hey, allein der Trailer sagt uns alles, was wir über Ambulance wissen müssen. Er verspricht krasse Kontraste und eine hochgeschraubte Farbsättigung, epische Explosionen und Verfolgungsjagden im Minutentakt, eine hyperaktive, kippende, rotierende, kreiselnde Kamera, ein Dutzend verschiedener Bewegungen gleichzeitig in einer Einstellung, einfach zu viel von allem. Ein Ansatz, der Bays Karriere wie ein roter Faden durchzieht.

 

Von allem zu viel

Eine punktgenaue Analyse dieses Stil erschien vor einigen Jahren auf dem (leider nicht mehr aktiven) YouTube-Kanal Every Frame a Painting. Tony Zhou macht in dem knackigen 9-Minüter drei so wichtige Stilelemente des Regisseurs aus: schnelle Schnitte, große Bildkompositionen und dynamische Bewegungen, und das alles, um ein Gefühl von Monumentalität zu schaffen. Alles ist hier auf Maximum getrimmt.

Bays Kamera ist deshlab immer in Bewegung, ebenso wie der Hintergrund und wichtige Bildobjekte, sodass sich drei oder mehr gegensätzliche Bewegungen überlagern. Charaktere blicken auf Dinge außerhalb des Bildes — auch das schafft die Illusion von Größe. Beides kommt zusammen im charakteristischen Michael-Bay-Shot, bei dem sich die Kamera um eine sich erhebende Figur dreht. Auch wenn man auf einen stationären Punkt im Bild blicke, so Zhou, fühle diese Einstellung riesig an. Bay sei stets auf das Maximum aus — und damit Sklave seines eigenen Auges: In bedeutungsschweren Momenten bewege sich die Kamera genauso wie in banalen. Und das mache letztlich alles banal.

 

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A True American Auteur??

Auf der anderen Seite gibt es Leute, die halten Michael Bay für unterschätzt. Für einen Auteur sogar. In jedem Fall zu Unrecht verurteilt als der „schlechteste Regisseur aller Zeiten“. Und nachdem wir erst kürzlich einen anderen Text über Paul Thomas Anderson mit Grand American Auteur überschrieben haben, fragen wir uns: Spielt sich alles Relevante im US-amerikanischen Kino der Gegenwart nicht eigentlich genau zwischen diesen beiden Polen ab? PTA und Bayhem?

Fangen wir bei der Auteur-Theorie nach François Truffaut in seinem Aufsatz Eine gewisse Tendenz im französischen Film an. Darin macht sich Truffaut für Regisseure stark, die einen so starken Einfluss auf ihre Filme nehmen, dass sie ihren Stil entscheidend prägen. Regisseure, die ihre eigenen Drehbücher schreiben, aber auch solche im Studiosystem, die es in Abgrenzung zum reinen „Produzentenfilm“ dennoch schaffen eine eigene, wiedererkennbare Bildsprache zu entwickeln. Man denke an Hitchcock, an Fritz Lang oder Howard Hawks.

Nun ist Michael Bay kein Drehbuchautor (und man ist geneigt hinzuzufügen: Gott sei Dank!). Aber was er sehr wohl ist: sein eigener Produzent für die meisten seiner Filme. Und in dieser dualen Position ist es ihm durchaus gelungen, sich einen Wiedererkennungswert zu erarbeiten. Nicht umsonst gehört er zu den meist gehassten Regisseuren der Gegenwart. In diese Bresche springt auch Patrick H. Willems: Wenn schon kein Grand American Auteur, dann doch zumindest ein True American Auteur, meint der Betreiber des nach ihm benannten YouTube-Kanals. Und zeigt sich von Bay in einem einstündigen Zweiteiler mindestens fasziniert.

Willems habe bereits den Stil vieler Regisseur*innen für seine Videos imitiert — Bays aber sei der mit Abstand schwierigste. So abstoßend die Weltanschauung des Regisseurs und der Inhalt vieler seiner Filme auch seien, so wiedererkennbar sei sein von Beginn an vorhandener Stil des „Alles so teuer wie möglich erscheinen lassen“. Erst recht im Gegensatz zu anderen Blockbuster-Macher*innen. Den Regisseur Tarsem Singh, der mit Bay studierte, zitiert Willems mit:

When people say he sold out, I say Bullshit, because he’s true to himself. When you see a Michael Bay film, you might say it’s the biggest piece of shit, or the most brilliant and succuessful film, but you see him.

Und sei dies nicht genau das — das Vorhandensein einer ganz eigenen filmischen Vision, eines distinguierten Stils — das Markenzeichen eines Auteurs? Anders ausgedrückt: „There is no one in the world doing what Michael Bay does, especially in the scale hes doing it.“

 

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Die nüchterne Realität

Also: Wie ist Michael Bays Stil zu bewerten? Womöglich ja als Symptom, als Zeichen unserer Zeit. Das ist nicht mal kulturpessimistisch zu verstehen, sondern völlig nüchtern bezogen auf den Zustand des Medium Films. Mit der einsetzenden Digitalisierung hat der Film ein lange Zeit für ihn charakteristisches Merkmal eingebüßt: seine Indexikalität. Wir sind längst im Zeitalter der Post-Continuity angekommen — im Gegensatz zu den Qualitätsmerkmalen des Klassischen Kinos herrscht das pure Chaos.

Das muss nicht einmal etwas Schlechtes sein. Der Medienwissenschaftler Scott Nye vergleich Filme von Michael Bay 2011 in einem viel beachteten Blogpost sogar mit den Gemälden von Jackson Pollock. (Die Verwandlungssequenzen in Transformers? Genau!) Komplette Desorientierung, nichts, woran sich das Auge noch festhalten könnte. Stattdessen: Emotion, Konfusion, viszerale Reaktion.

Michael Bays Chaosprinzip also als Ausdruck eines Mediums in der Umbruchsphase; auf der Suche nach neuen, unserer Zeit angemessenen Ausdrucksweisen. Nicht zuletzt steckt darin auch ein gewisser Egalitarismus: Ob Mensch, Tier oder Pistole — in der realen Welt ist alles Materie. Und im digitalen Kino ist alles Pixel.

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