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Kommentar

Kunst wagen! Über den sogenannten Elevated Horror

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

A24 schickt mit „Talk to me“ einen Horrorfilm ins Rennen, den man gut und gerne elevated horror nennen kann. Warum dieses Genrelabel großer Quatsch ist und diese „andere“ Form von Horrorfilmen trotzdem ein Gewinn ist? Sebastian Seidler wagt den Versuch einer Antwort.

Meinungen
Horror
Halloween Ends / Talk to me / Hereditary

Es war mal eine Debatte… darin wurde über den Horrorfilm gestritten. Filme wie The Babadook oder It Follows gelten mitunter als die ersten Filme, die mit dem Label elevated horror belegt wurden. Machen wir eine Reihe auf: Von Robert EggersThe Witch über Hereditary von Ari Aster bis zu neueren Filmen wie Jordan Peeles Nope – es handelt sich um Filme, die anspruchsvollen Horror mit Köpfchen machen. Das zumindest suggeriert der Begriff. Und genau darüber gab und gibt es intensive Auseinandersetzung. Denn wenn diese Filme den anspruchsvollen Horrorfilm darstellen, muss der Rest also Schund sein. So auch die Schlußfolgerung von Rajko Burchardt, der sich in seinem Text „Gehobener Grusel“ nicht nur gegen den Begriff wehrt, sondern auch den besagten Filmen einen verstockten, snobistischen Umgang mit dem Horror vorwirft: Man wolle sich eben nicht mit dem Schmutz besudeln. Doch ganz so einfach ist es auch wieder nicht.

Der Begriff ist selbstverständlich Unsinn. Eine reine Marketingidee, um neue Zielgruppen für Horrorfilme zu gewinnen. Denn ohne eine Marke kommt man nicht mehr aus: Alles braucht einen Namen, damit man weiß, woran man ist. So gut die Filme von A24 auch sein mögen, so lässt sich doch ein bestimmter Stil, eine bestimmte Art Film daraus ableiten: Es ist klar, was da über die Leinwand laufen wird. Ähnlich funktioniert Netflix. Und so wie diese Namen einer Sehnsucht nach Orientierung nachkommen und scheinbar das Risiko von Enttäuschungen minimieren, so funktioniert auch der fragwürdige Sammelbegriff elevated horror.

It Follows von David Robert Mitchell © Weltkino

Rajko Burchardt hat in dieser Hinsicht also völlig recht: Diese Trennung zwischen anspruchsvollen Filmen und bloß blutiger Unterhaltung ist nicht so einfach zu ziehen. Romeros Die Nacht der lebenden Toten, Hoopers Texas Chainsaw Massacre oder Carpenters Halloween sind nicht von minderer Qualität und entfalten in ihren Körperaffekten ebenso einen tieferen Sinn. Jedoch operieren viele der Kritiker des Begriffs selbst aus einer Dichotomie heraus, gerieren sich als die Bewahrer eines wahren, reinen Horrorkinos, das schmutzig, blutig und transgressiv zu sein hat: gefilmt nach dem Reinheitsgebot des Splatter-Gore-Gesetzes, nachzulesen auf einer seit Jahren nicht zurückgegebenen VHS. Wenn Burchardt den Regisseur*innen Aster und Co. eine manierierte und elitäre Haltung vorwirft, die mit den Kellerkindern des Genres nichts zu tun haben will, unterstellt er eine bürgerlich-spießige Abneigung, die ins Moralische reicht und doch eher eine Behauptung bleiben muss.

Die Nacht der lebenden Toten von George A. Romero  © Splendid

Wenn, dann dürfte es fast andersherum sein. So transgressiv und provokativ sich der Horrorfilm im Spiel mit den Tabus auch geben mag, so sehr neigt er einem Konservativismus zu: Bitte schön die Regeln beachten, mehr vom Immergleichen. Die großen Werke des Genres dürften alle einen Anspruch haben, den man in der Massenproduktion jedoch schlichtweg nicht findet. Keines der generischen Machwerke im Halloween-Franchise reicht an Carpenters großes Meisterwerk heran. Die Figur Michael Myers lebt von einem grundlegenden Mysterium, das von Film zu Film verlorengehen muss. Jedes kleine Stück Erzählung entzaubert den Mann ohne Ausdruck: Er wird zu einem Stück Merchandise. Und am Ende ist der Maskenmann eben nur ein weiterer Maskenmann, der Teenager um die Ecke bringt: Zack, Kehle durch. Da fühlt man sich zwar zuhause, bekommt das, was man erwartet – große Kunst ist es aber nicht.

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Verständlich, dass auf eine derartige Kritik mit Verärgerung reagiert wird. Keiner mag Nestbeschmutzer, wenn es sich im gemachten Nest eben so schön anfühlt. Und ja, jeder soll und darf Spaß haben. Filme sind dazu da. Aber es gibt auch die andere Seite: Kino ist AUCH eine Kunstform, die sich weiterentwickeln will/muss/sollte. Was die Elevated-horror-Filme vereint: Sie sind hybride Formen, die mit den Genres viel freier umgehen und sich eher auf bestimmte Modi aus dem Horrorfilm beziehen, um andere Metaphern, Bilder und Einstellungen zu erfinden. Anders formuliert: Das, was man elevated horror nennt, ist eine andere Form des Erzählens, die es immer schon gab. Gewalt ist nicht nur ein Affekt, der auf der Leinwand einen Schauer über den Rücken schickt: Gewalt kann im Kino zu einem ästhetischen Zeichen werden, zu einer Metapher. 

Und seien wir doch mal ehrlich: Bei Argento regen sich die Horror-Puritaner auch nicht auf, dass die Morde in seinen Filmen beinahe zu Stillleben des Schreckens werden und sich in seinen besseren Filmen (alles nach Opera ist dann doch von eher fraglicher Qualität) ein Avantgardismus Bahn bricht, der bei Aster, Eggers oder Guadagnino dann plötzlich abgelehnt wird. Könnte es sein, dass Argento durch die Filmzensur heiliggesprochen wurde? 

Es ist zumindest naheliegend. Der Film und das Kino sind immer auch eine soziale Distinktion. Argento landete damals auf dem Index. Oh, man konnte sich so gefährlich fühlen, wenn man seine Finger an Profondo Rosso oder eben Suspiria bekam! Die Filmzensur hat viele Filme überhaupt erst zu jenen Meisterwerken gemacht, weil ein Begehren geschaffen wurde: Filme schauen gegen all die Spießer; die Feier des Undergrounds.

Der schmutzige, brutale Horrorfilm wurde zu einer Art Droge. Auch das ist ein Aspekt, der in Bezug auf die abnehmenden Bindungskräfte des Kinos diskutiert werden muss: Je zugänglicher das Medium Film wird, desto uninteressanter und austauschbarer scheint es zu werden. Mit einem Klick auf der Fernbedienung eröffnen sich Filmwelten, die uns vorgaukeln, alles zur Verfügung zu stellen. Warum sollte ich also ins Kino gehen; 90 Minuten vergehen so oder so. 

Suspiria von Luca Guadagnino © Koch

Die intellektuelleren Filme des elevated horror sind für ein anderes Publikum gemacht: Sie sollen dezidiert ein Arthouse-Publikum ansprechen. Wie dem auch sei, an der Qualität lässt sich nicht rütteln. Das beste Beispiel ist der von vielen verschmähte Suspiria von Luca Guadagnino. Wie der italienische Regisseur mit Motiven aus dem Horrorfilm, aus Argentos Suspiria arbeitet und dabei eine erschütternde, gesellschaftlich-historische Tiefenbohrung vornimmt, ist einzigartig. Die Schönheit der Tanzszenen, bei gleichzeitig ungemeiner Brutalität, verschränkt sich mit dem kompromisslosen Vorgehen des Autorenfilms: Guadagnino macht es seinem Publikum nicht leicht. Ähnliches gilt für Heredtitary oder einen Film wie Hatching: Man kann sich nicht in das bloße Geschehen fallen lassen, in den heimeligen Horror, auf dem sich die Massenware oftmals ausruht. Alles schreit ständig nach Deutung, jedes Bild will interpretiert werden. Bei einem einfachen Splatterfilm wie Terrifier liegt der Reiz im (pseudo-)provokativen Ausloten der Grenzen von Gewalt: Kann man sicher machen, ist aber auch ein wenig aus der Zeit gefallen.

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Adrian Gmelch hat sich in seinem Buch Art Horror mit dem Rückgriff auf den Kunstbegriff des Modeworts elevated horror entledigt. Vielmehr geht es um einen Gestaltungs- und Ausdruckswillen, der sich auf formal-ästhetischer und inhaltlicher Ebene festmachen lässt. Wenn man so darüber nachdenkt, kommt man aus der Sackgasse heraus, die uns letztlich nur in die unendliche Dichotomie führen würde: Verstehen wir Film als eine Kunstform, die ständig darum ringt, neue Ausdrucksformen zu finden, dann werden sich auch die Genregrenzen auflösen, und jede Provokation und jede Transgression wird sich selbst überholen. Statt darüber zu streiten, was richtiger Horror ist, sollten wir die Vielfalt akzeptieren und lieber über die Motive und filmhistorischen Dimensionen sprechen. Darauf zu beharren, dass nun wirklich jeder Blut-Gedärm-Film eine Qualität hat – das ist ziemlich pubertärer Unsinn. 

Meinungen

H.E. Pennypacker · 30.07.2023

Wo ist die Pointe? Wenn es ein Versuch sein sollte auf einer Metaebene selbst einen intellektuellen Anspruch bei dem geneigten Leser vorauszusetzen hat es zumindest für mich nicht funktioniert. Aster wird sich sicherlich nicht hingesetzt und gesagt haben: "Jetzt mache ich mal was für schlaue Leute".