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Kolumnen

Was macht eigentlich...?

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

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Kaum 24 Stunden nach dem Tod von Robin Williams in der vergangenen Woche hat es für Lauren Bacalls Abschied vom Leben gerade noch zu einem Bruchteil der allgemeinen RIP-Aufmerksamkeit gereicht. An ihrer Prominenz wird es wohl kaum gelegen haben können, ist sie doch als Gesicht des Film Noir und vielleicht smarteste aller Femme Fatales nicht nur personifizierte Filmgeschichte, sondern galt auch als eine der letzten lebenden Legenden des Goldenen Hollywoodzeitalters. 

Das erinnerte mich unschön an jene ahnungslosen „Kim wer?“-Kommentare während der zurückliegenden Oscarverleihung 2014, als tatsächlich die unvergessliche Kim Novak einen Preis anmoderierte. Ihr Rückzug aus dem Filmgeschäft bedeutete offenbar auch einen Schritt in die Unsichtbarkeit vormaliger Kinogrößen, allenfalls für ein boulevardeskes Entsetzen ob ihrer Schönheitsoperationen schien dieser überraschende Auftritt noch geeignet.

Nun beendete Kim Novak, anders als die bis zuletzt äußerst spielfreudige Lauren Bacall, ihre Hollywoodkarriere ganz bewusst 1991, als die Dreharbeiten zu Todestraum in einem persönlichen Fiasko endeten. Nach etlichen Querelen schnitt Regisseur Mike Figgis, dem Novak verzweifelte Hitchcock-Absichten unterstellte, einen Großteil ihrer Szenen aus dem Film heraus und degradierte sie von der eigentlichen Haupt- zur bloßen Nebendarstellerin. Weder profitierte sie von der feierlichen Neuentdeckung des einstmals verschmähten, aber heutigen Kanonklassikers Vertigo, noch erhielt sie seit den späten 70er Jahren würdevolle Filmangebote. Die Frage, was eigentlich Kim Novak mache, lässt sich zumindest bezüglich ihrer Aktivitäten vor der Kamera seit nunmehr über zwei Jahrzehnten nüchtern beantworten: nichts.

Natürlich ist das in der Filmgeschichte kein Einzelfall, und der despektierliche Umgang mit Hollywoodlegenden lässt sich auch nicht ohne Hinweis auf die Frauenfeindlichkeit des hiesigen Starsystems nachvollziehen. Die immer noch sehr agile Doris Day, wie Novak zuvorderst eine Erscheinung der 50er Jahre, verabschiedete sich 1968 vom Kinogeschäft, als die Einnahmen ihrer Produktionen allmählich zurückgingen. Es gehört wohl zum Mythos der Grandezza klassischer Filmstars, auf kommerzielle Misserfolge umgehend mit einem (vorzeitigen) Eintritt in den Ruhestand zu reagieren. Solcherlei Karrierekonsequenz zog niemand so eisern wie Greta Garbo, die trotz eigener Comebackbestrebungen über fast 50 Jahre hinweg keine einzige Rolle mehr annahm, nachdem sich ihr Film Die Frau mit den zwei Gesichtern 1941 als Kassenflop erwies.


Greta Garbo in A Woman of Affairs (Copyright:Warner Bros. Entertainment)

Doris Day, von der Presse mittlerweile „The World’s Oldest Virgin“ geschimpft, musste sich hingegen noch durch eine vertraglich erzwungene Fernsehserie quälen, ehe sie sich auch durch den Tod ihres Mannes und Managers endgültig zurückzog. Als mehrfach geehrte Tierschützerin und finanziell abgesicherte Hotelinhaberin scheint sie kein Interesse daran zu haben, nach fast 50 Jahren noch einmal auf die Leinwand zurückzukehren. 2011 veröffentlichte sie ihr erstes Studioalbum seit vier Dekaden, auf dem Cover strahlte sie schöner denn je. Wenngleich ihr Karriereverlauf deutlich im Kontext (und damit des Fluches) ihres eigenen (Sauberfrau-)Images gelesen werden muss (Kim Novak wiederum wusste die erduldeten Hitchcock-Rituale nie endgültig abzustreifen), ist es doch erstaunlich, dass zeitgenössische männliche Stars wie Gregory Peck, Robert Mitchum oder Rock Hudson in der Regel bis zu ihrem Tod vor der Kamera standen.

Auch Familiengründung kann zu Unsichtbarkeit führen. Jessica Harper, die Mitte der 70er Jahre durch Filme wie Phantom of the Paradise oder Suspiria zu einem beliebten Genrestar aufstieg (und später unter Woody Allen und Richard Benjamin arbeitete), zog sich nach ihrer Heirat mit dem Studiogiganten Thomas Rothman aus dem Kinogeschäft zurück. Ihre letzte Kinohauptrolle spielte Harper 1988, zwischenzeitlich schrieb sie Kinderbücher und produzierte Kinderlieder. Die seit 2003 mit Starfilmkomponist Danny Elfman liierte Bridget Fonda wiederum, eine der meistgefragten Schauspielerinnen der 90er Jahre, hing ihre Karriere mutmaßlich zugunsten häuslicher Verpflichtungen komplett an den Nagel. Und auch Phoebe Cates, neben Molly Ringwald eines der prägenden Gesichter des 80er-Jahre-Teenfilms, beendete ihre erfolgreiche Laufbahn nach der Geburt ihrer Kinder 1994. Heute leitet sie eine Mode-Boutique in der Madison Avenue.


Jessica Harper in Suspiria (Copyright:ELEA-Media)

Ein wenig komplizierter wird es allerdings, wenn vormalige Kinogrößen zwar auch weiterhin gut beschäftigt sind, aber kaum jemand davon Notiz zu nehmen scheint. Mit großer Wehmut erinnere ich mich an Kathleen Turner und ihre umwerfenden Hauptrollen als Peggy Sue, Barbara Rose oder V.I. Warshawski. Dass sich Turners Karriere ab Mitte der 90er Jahre auf kleinere Parts und schließlich auch reine Sprechrollen beschränkte, kann eigentlich nur über die Altersdiskriminierung in Hollywood nachvollzogen werden. Möge ihr mit dem kommenden Dumm und Dümmer 2 ein grandioses Comeback gelingen.

Diese Untiefen des Fernsehens auch. In denen etwa die einst vielbeschäftigte Mary Elizabeth Mastrantonio (Die Farbe des Geldes), die hinreißende Sean Young (Blade Runner) oder einst hoch gehandelte JoBeth Williams (Poltergeist) versunken sind. Ebenso wie Elizabeth Perkins, Lea Thompson und Rebecca De Mornay. Oder Oscargewinnerin Christine Lahti, die in Filmen wie Swing Shift, Housekeeping oder Sidney Lumets Flucht ins Ungewisse einige der ungewöhnlichsten Frauenrollen der 80er Jahre spielte, aber seit nunmehr 20 Jahren fast ausnahmslos fürs Fernsehen arbeitet (arbeiten muss?). Und was geschah eigentlich mit Isabelle Adjani, einer der erfolgreichsten Schauspielerinnen des modernen französischen Kinos, deren nach wie vor zahlreiche Kinofilme nunmehr beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden?


Isabelle Adjani in Possesion (Copyright: Alive — Vertrieb und Marketing)

Wer könnte aus dem Stand heraus die letzte nennenswerte Hauptrolle von Jamie Lee Curtis nennen? Müsste man da tatsächlich über zehn Jahre zurückgehen und an Freaky Friday denken? Die Kinokarriere der ehemaligen Scream Queen und zweifachen Golden-Globe-Gewinnerin begann 1978 mit Halloween 1 und endete offenbar 2002 mit einem unmöglichen Abgang in Halloween 8. Als Kinderbuchautorin erfolgreich, kämpfte Jamie Lee Curtis viele Jahre gegen ihre Alkohol- und Schmerzmittelsucht. Heute ist sie vorwiegend in Fernsehserien zu sehen, teilweise leiht sie Animationsfiguren ihre Stimme. Das Beste, was ihr jetzt noch passieren könnte, wäre eine Kinorückkehr in Tradition des „Grande Dame Guignol“: exploitative Psycho-biddy-Horrorfilme nach klassischem Muster, für die sich doch gerade innerhalb der allgemeinen postmodernen Verwurstung ein Platz finden lassen sollte. Wo sind sie bloß, die Erben von William Castle?

Noch wesentlich besser aber würde Samantha Eggar in eine solche Rolle passen. Sie war zuletzt 1999 in einem Kinofilm zu sehen (dem kümmerlichen Polanski-Remake Die Frau des Astronauten) und tritt seither ausschließlich im Fernsehen auf. Eggars Karriere erscheint diesbezüglich beinahe wie ein uneingelöstes Versprechen: Mit Filmen wie The Collector (1965) und Doctor Dolittle (1967) zum Star avanciert, wand sie sich nach einem letzten Höhenflug in David Cronenbergs Die Brut vorwiegend dubiosem Genrematerial zu, im übrigens allerbesten Sinne. Eine zugleich beißend bizarre wie angemessen altehrwürdige Hag-Horror-Rolle nach Joan-Crawford-Vorbild würde Samantha Eggar vielleicht auf denkbar schönste Art ins Kinobewusstsein zurückholen. Und sei es nur für eine glorreiche Abschiedsvorstellung.


Samantha Eggar in The Collector (Copyrigh: Sony Pictures Home Entertainment)

Mit dem Kino können diese Frauen doch längst noch nicht fertig sein.

(Rajko Burchardt ist Partiellstudent und Menschenfreund. Für Online- und Offline-Magazine schreibt er regelmäßig Filmtexte. Sein Antrieb ist die Liebe.)

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