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In Memoriam

George A. Romero: Mehr als Meister Zombie

Vor fünf Jahren ist mit George A. Romero einer der ganz großen Meister des Horrorfilms von uns gegangen. Was bedeutet sein Werk heute noch?

Meinungen
Romero

Außer Zombies nichts gewesen? Gerne wird George A. Romero auf seine Zombie-Filme reduziert. Doch der Father of Zombies hat auch ganz andere Filme gedreht, denen oftmals zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Was man zudem nicht vergessen darf: Dieser Mann hat nicht einfach nur Untote erfunden, die als mörderische Gestalten durch die Filme ziehen, er hat den Genrefilm immer auch als eine politische Kraft begriffen. Ein eklektischer Streifzug der Redaktion durch das Werk dieses aufregenden Regisseurs mit Zitaten von Freund_Innen als Wegweiser:

 

Die Nacht der lebenden Toten (1968) und Dawn of the Dead (1978)

Bei aller Aufmerksamkeit, die wir hier Romeros Filmen abseits des Zombie-Horrors widmen wollen: Ausblenden können wir seine Subgenre-prägenden, ja eigentlich stilbildenden Klassiker nicht. Namentlich sind das Die Nacht der lebenden Toten von 1968 und Dawn of the Dead von 1978 (gefolgt von vier weiteren Of-the-Dead-Filmen, auf die wir hier vor allem aus Platzgründen verzichten).

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Beide Filme mögen sich in Ansatz und Sujet ähneln: In beiden bricht eine Zombie-Epidemie aus, in beiden verschanzen sich einige Überlebende in einem mehr oder minder abgeriegelten Bereich (einmal in einem Landhaus, einmal in einer Mall), in beiden kommt es aufgrund dieser Nähe zu Konflikten zwischen ihnen, und in beiden enden einige von ihnen als Mahlzeit für die Untoten. Bis heute sind all das Grundkonstanten des Zombie-Horrors. Der große Unterschied zwischen beiden Werken (abseits des Einsatzes von Schwarzweiß im ersten und Farbe im zweiten Film): der Humor.

Während Die Nacht der lebenden Toten ein durchgehend ernster Streifen war, ließ Romero in Dawn of the Dead mehr Witz oder vielmehr: Spott einfließen. Geschuldet ist das den beiden hintergründigen Themen der Filme: Unter der Horror-Unterhaltungsoberfläche ist sein Erstling eine Offenlegung des US-amerikanischen Rassismus (mehr deutlich zu sehen im Finale), während Romero vor der Kaufhauskulisse den heimischen Konsumwahn ins Visier nimmt. Und da darf es durchaus ein wenig mehr Humor sein.

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Der bis heute anhaltende Kultstatus beider Filme ist auch nach einem halben Jahrhundert völlig verdient. Nicht nur aufgrund der erwähnten Genre-prägenden Qualitäten, sondern weil der Horror hier (zusätzlich zum Unterhaltungswert) als Mittel zur Offenlegung und Aushandlung größerer gesellschaftlicher Konfliktfelder dient. Im Grunde also das, was seit einigen Jahren mit dem Label Elevated Horror geadelt wird.

von Christian Neffe

>>> „George A. Romero war der nachhaltigste Modernisierer des Horrorgenres, indem er 1968 den amerikanischen Alltag mit der Rückkehr des Verdrängten konfrontierte. Seitdem hat er dieses gesellschaftskritische Konzept erfolgreich weiterentwickelt. In dieser Funktion kann er als der politischste der US-Genreregisseure bezeichnet werden.“

Prof. Marcus Stiglegger, Filmwissenschaftler

There’s Always Vanilla (1971)

George A. Romeros zweiter Spielfilm There’s Always Vanilla ist eine bissige Satire auf die amerikanische Gesellschaft der frühen 70er Jahre und ein oft übersehener Eintrag in der Filmografie des Regisseurs. Mit Judith Ridley aus Night of the Living Dead und Raymond Laine, der ebenfalls in Romeros nächstem Film Season of the Witch mitspielen sollte, ist There’s Always Vanilla ein einzigartiger Beitrag zum Werkkanon des Regisseurs. Auf seinen großen Horrorklassiker Die Nacht der lebenden Toten lässt er eine romantische Komödie folgen, die in ihrer Form und Ästhetik ganz anders ist. Diese Entscheidung traf Romero bewusst, wie er in einem Interview erzählt:

„Ich wollte nicht gleich wieder einen Horrorfilm machen, ich wollte einfach nicht in diese Schublade gesteckt werden. Letztendlich ist es dann doch so gekommen und ich liebe das Genre und bereue nichts davon, aber anfangs wollte ich es einfach nicht machen.“

Romero spricht weiter davon, dass There’s Always Vanilla als Film für ihn nie in Gänze funktioniert habe. Aus einzelnen Szenen und einem Drehbuch von seinem Freund Rudy Ricci entstand dieses Werk, das sehr an die Welle der New-Hollywood-Filme der 60er und 70er Jahre angelehnt ist. Typisch für diese Filme ist die gesellschaftskritische Grundhaltung, die sich in Geschichten abseits der typischen Konventionen bewegen: Außenseiter*innen werden zu Protagonisten und mit filmästhetischen Experimenten werden abgestandene Konventionen gebrochen. So auch in There’s Always Vanilla: Als der junge Mann Chris durch einen Zufall das Model Lynn kennenlernt, sind die beiden sofort Feuer und Flamme füreinander. Es entwickelt sich eine romantische Beziehung. Doch aufgrund ihrer gegensätzlichen Lebensauffassungen wird bald klar, dass die Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Psychedelic Rock mischt sich mit Gesprächen über Sex und Drogen. Das prüde Amerika scheint ganz weit weg.

There’s Always Vanilla wirft Fragen auf, die auch in anderen Filmen von Romero eine wichtige Rolle spielen. Die Ohnmacht der Menschheit, die in einer Welt des konsumorientierten Überflusses zugrunde geht, führt zu ersten Opfern. Kann eine Liebesbeziehung in einer solchen Gesellschaft überhaupt gedeihen und überleben? Und ist es überhaupt möglich ist, dass sich der Mensch aus sich selbst heraus verändert, um der Dominanz entmenschlichter sozialer Strukturen etwas entgegenzusetzen?

Romero denkt an die Ausgestoßenen, die Anderen dieser Gesellschaft und widmete ihnen seine Filme. There’s Always Vanilla bildet da keine Ausnahme.

Den Film gibt es vollständig auf Youtube:

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von Sophia Derda

>>> „Romeros Werk ist mit dem Gedanken vertraut, dass sein Kino den Menschen durch die Figur des Zombies deterritorialisiert, indem er diese als eine nicht geschlechtsspezifische Figur schafft, als fragende Entität, die seine bereits komplexe Darstellung der Frau herausfordert und in Frage stellt. Konfrontiert mit seiner Vorstellung von einer Welt mit anderen werden seine männlich gelesenen Charaktere zur Reflexion gebracht, solange sie noch an die gleichen Stereotypen der Vor-Zombie-Welt glauben. Romeros Bedeutung liegt darin, dass er sich nicht nur mit der Allegorie begnügt, sondern auch die Räume der kleinen Dissidenz zulässt, in denen die besten, sehr gut argumentierten Lesarten seiner Filme durch eine kleine, auf den ersten Blick bedeutungslose andere Sichtweise zum Kollabieren gebracht werden können.“

Giancarlo M. Sandoval, Redaktionsmitglied des feministischen Filmmagazins Filmlöwin.

The Crazies (1973)

In Lauf seiner Karriere musste Romero eigentlich immer mit sehr beschränkten Budgets arbeiten, was man seinen Filmen im Vergleich zu heutigen Standards auch ansieht. The Crazies ist da keine Ausnahme: Der Film sieht – so ehrlich muss man sein – billig aus. Aber von solchen Oberflächlichkeiten sollte man sich nicht aufhalten lassen. Eben diese Underdog-Mentalität macht das Genrekino dieser Zeit aus und Romero ist keine Ausnahme: Innerhalb dieser Beschränkungen sind großartige Filme entstanden, die mit einer ungemeinen Konzentration die eng gesteckten Grenzen verschoben haben.

The Crazies erzählt von einem Unglück. Ein Flugzeug ist abgestürzt. An Bord befand sich ein chemischer Kampfstoff, der die Menschen in rasende Bestien verwandelt. Das Militär riegelt die Kleinstadt sofort ab und glaubt, mit Gewalt und strenger Hand dieses Virus eindämmen zu können. Im Laufe des Films kommen große Zweifel auf, ob dieser Kampfstoff nicht eine noch größere Gefahr gezeugt hat. Die Befehlshaber wollen den Imageschaden eindämmen und vor allem verhindern, dass sich dieser Wahn ausbreitet. Dabei regiert ein Machtbewusstsein, was die Rettung gar verhindert.

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Romero selbst hat nicht in den höchsten Tönen von seinem Film gesprochen. Nach seinem Geschmack hat er die politische Message zu sehr in den Vordergrund gerückt. Mit größerem zeitlichen Abstand ist genau dieser schonungslose Blick auf staatlich-militärische Strukturen der große Trumpf des Films, der in Zeiten der Pandemie durchaus eine Warnung darstellt: Sobald einige Parteien aus einer solchen Krise als Gewinner herausgehen wollen, wird das Unglück sich weiter ausbreiten. Wie sich in dieser Kleinstadt die sozialen Bindungen zersetzen, weiß Romero in finstere Bilder zu übersetzt. Besonders bleibt jene Szene im Gedächtnis, als sich der Pastor vor lauter Verzweiflung vor seiner Kirche in Brand steckt. Eigentlich ist bereits an dieser Stelle klar, dass es mit jeder Hoffnung in diesem Film dahin ist. Romero ist unter den Horrorgroßmeistern eben der große Nihilist.

von Sebastian Seidler

>>> „Romeros Einfluss auf das Horrorgenre kann nicht überschätzt werden. Romero wird natürlich immer mit Zombies assoziiert werden, auf Grund seiner bahnbrechenden „Dead“-Trilogie. Es sind aber seine unbekannteren Filme, wie der wiederentdeckte Film „The Amusement Park“ von 1975, der Altersdiskriminierung thematisiert, und mein Lieblingsfilm, der unkonventionelle Vampirfilm „Martin“, in welchen seine Beispiellosigkeit und filmische Neugierde richtig zur Geltung kommen. Die Annahme liegt nahe, dass der „König der Zombies“ als Inspiration diente für weibliche Regisseur*innen wie Gloria Katz („Messias des Bösen“ mit Co-Regisseur William Huyck) und Carolina Hellsgård („Endzeit“), die selbst Zombie-Juwelen hervorgebracht haben. Vor ein paar Jahren hatten wir das Vergnügen, mit Romeros Tochter Tina Romero, die DJ und Regisseurin ist, auf einem Panel zu sitzen. Ihre Liebe für Horror war unbändig, also kann man* hoffen, dass die jüngere Romero auch bald die Horrorwelt bereichern wird.“

Eli Lewy, Co-Direktorin von Final Girls Berlin www.finalgirlsberlin.com 

Martin (1976)

Wenn Romero einen Vampirfilm dreht, dann natürlich nur so: Ganz schonungslos entzaubert er den Mythos, indem er seinen blutsaugenden Protagonisten nicht (wie bis dato üblich) als attraktives, übernatürliches Wesen mit Hypnosekraft und Fangzähnen zeigt – sondern als psychopathischen Menschen mit Spritze und Rasierklinge.

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Der Vampirismus scheint dem jungen Martin (John Amplas) nur dazu zu dienen, seiner psycho-sexuellen Störung eine romantisierende Form zu geben. Martin erinnert eher an Figuren wie Norman Bates aus Psycho (1960) oder Mark Lewis aus Peeping Tom (ebenfalls 1960) als an eine Vampir-Figur wie Dracula. Es werden indes immer wieder Schwarzweiß-Szenen einmontiert, in denen er als vampirische Gestalt wie in den alten Universal-Klassikern der 1930er Jahre zu sehen ist.

Gänzlich aufgelöst wird dabei nicht, ob es sich hier tatsächlich um Fantasien oder doch um Flashbacks handelt – entzaubernd ist das Bild dieses Mannes, der in einem trostlosen Vorort von Pennsylvania seinem Verlangen nach Blut mit den Mitteln eines Serienmörders nachkommt, hingegen so oder so. Martin ist ein tieftrauriger Blick auf die US-Suburbs der Post-Vietnamkrieg-Ära – ein Horrorfilm des Alltags, frei von sanftem Grusel.

von Andreas Köhnemann

>>>  „Romero hat die Untoten zum Sinnbild für gesellschaftliche Missstände deklariert und das Sub-Genre damit zu dem gemacht, was es heute ist.“

André Hecker, Devils & Demons — Der Horrorfilm-Podcast

Stark — The Dark Half

Romero und Stephen King waren ziemlich gut befreundet. Der Horrorautor hatte bereits sehr früh einen Cameo-Auftritt im schrägen Knightriders (1981), einer Rittergeschichte auf Motorrädern, die künstlerisch viel ernster zu nehmen ist, als es den Anschein hat. Für den Episodenfilm Creepshow (1982) hat der Schöpfer von Carrie, Es und Shining dann gar das Drehbuch geschrieben und ist auch erneut in einer Rolle zu sehen. Zu den besten King-Adaptionen gehört das Werk sicherlich nicht — wie so oft, wenn King selbst seine Finger im Spiel hat. Romero aber hatte immer Lust auf mehr King und vor allem auf die größeren Projekte. Es kam nur lange Zeit nicht dazu. Salem’s Lot wurde Tobe Hooper (Poltergeist) inszeniert und Friedhof der Kuscheltiere ging schließlich an Mary Lambert. 1993 aber klappte es mit der Adaption von The Dark Half, einem der persönlichsten Bücher von Stephen King.

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Stark- The Dark Half ist alles andere als ein perfekter Film. Vor allem handelt es sich weniger um einen Horrorfilm, als um das Psychogramm einer zerrissenen Seele. Hat man das im Hinterkopf und erwartet keinen nervenzerfetzenden Film, kann man sich durchaus auf die mitunter virtuose Inszenierung einlassen.

Der Schriftsteller Thad Beaumont (Timothy Hutton) hat einen Großteil seines Geldes unter dem Pseudonym George Stark mit schmutziger, brutaler und misogyner Schundliteratur verdient. Als ein treuer Leser die wahre Identität des Enfant Terrible aufdeckt, sagt sich Thad von seinem Alter Ego los. In einer theatralischen Inszenierung wird Stark symbolisch begraben. Jedoch wird damit ein Monster heraufbeschworen: Das Pseudonym will leben und mordet sich munter in die Existenz. 

Wie es sich für Stephen-King-Verfilmungen gehört, so ist auch Stark voller atmosphärischer Schreckensträume, in denen sich der psychische Zustand der Hauptfigur manifestiert. Als eine durch Genre-Elemente verdichtete Abhandlung über die Pein des Schreibens und das Eigenleben von Image und Kunstfigur funktioniert der Film in der Tat ziemlich gut. Auffällig ist auch die atmosphärische und thematische Ähnlichkeit von zwei anderen Filmen bekannter Regisseure: John Carpenters Die Mächte des Wahnsinns (1994), der ebenso von einem Schriftsteller handelt, und Brian De Palmas vollkommen unterschätzten Mein Bruder Kain (1992), der das Jekyll-Hyde-Motiv ebenso ausspielt. Alle drei Filme vereint eine traumwandlerische, psychotische Atmosphäre und eine Tendenz zur Metareflexion über das Schreiben und/oder Geschichtenerzählen.

von Sebastian Seidler

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