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Darling der Woche

"I died a thousand deaths": Anna May Wong

Ein Beitrag von Christian Neffe

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Anna May Wong
Anna May Wong

Wenn sie stirbt, sagte Anna May Wong einst dem Hollywood-Biographen Bob Thomas, solle ihre Grabinschrift lauten: „I died a thousand deaths.“ Denn das sei die Essenz ihrer Filmkarriere.

Die unverkennbare Melancholie, die in dieser Aussage mitschwingt, erklärt sich schon bei einem kurzen Blick auf das Leben von Anna May Wong. Die in Los Angeles geborene Schauspielerin chinesischer Eltern, die vor genau 60 Jahren verstarb, hatte zeitlebens mit ihrer Identität zu hadern. Sie war der erste Hollywood-Star mit asiatischen Wurzeln, spielte zahlreiche Rollen als verführerische Exotin aus Fernost mit, begeisterte das Publikum mit ihrem Können, ihren eleganten Bewegungen, ihren stilvollen Kostümen. Und wurde doch immer wieder auf stereotype Klischees reduziert: Nebenrollen für den mutmaßlich exotischen Flair, entweder die schüchterne, von einem Weißen verschmähte Geliebte — oder die hinterhältige Mörderin. China Doll und Dragon Lady. Und fast immer ereilte sie am Ende der Tod. 

Wongs Karriere begann bereits als eine solche China Doll — eine fremdländische Geliebte, unterwürfig gegenüber einem weißen Mann, in den sie sich kopflos verliebt, dann jedoch verschmäht und verlassen wird. The Toll of the Sea (1922), ihre erste größere Produktion, brachte ihr die Rolle der „Lotusblume“ ein. Sie rettet einem Amerikaner (Kenneth Harlan) das Leben, verfällt ihm und trägt sein Kind aus. Doch er verlässt sie — und kehrt Jahre später mit seiner Ehefrau (Beatrice Bentley) zurück Lotusblume übergibt ihr das Kind, bittet sie, es mit nach Amerika zu nehmen. Die Scham und die Trauer sind zu groß. Am Ende stürzt sich Lotusblume ins Meer und nimmt sich so das Leben. Es folgten ähnlich angelegte Figuren in Shame (1921), A Trip to China Town (1926) oder Die letzten Tage von San Francisco (1927).

 

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Beatrice Bentley und Anna May Wong in „Toll of the Sea“ (c) Public Domain

Der Rassismus — auch anti-chinesischer — war tief in Hollywood verwurzelt. Die Arbeitsbedingungen für nicht-weiße Schauspieler*innen verschlechterten sich zunehmend, und so reiste Wong von 1928 bis 1930 nach Europa. Dort erfreute sich vor allem in Deutschland großer Popularität, wirkte unter anderem in drei Filmen von Regisseur Richard Eichberg mit: Schmutziges Geld (1928), Großstadtschmetterling (1929) und Hai-Tang: Der Weg zur Schande (1930), in denen sie mehr als nur die China Doll sein durfte. Zurück in den USA brachte ihr der neue internationale Ruhm einen langfristigen Vertrag mit Paramount ein. Doch abermals erhielt sie fast ausschließlich Rollen, die rassistisch geprägte Stereotypen entsprachen. Entweder dem der China Doll oder dem der Dragon Lady, einer Art fernöstlicher femme fatale, versiert im Umgang mit Waffen und voller Heimtücke. Auch in diesen Rollen verlor sie unzählige Male ihr filmisches Leben.

Ein wesentlicher neuer Faktor dieses Otherings — der Stilisierung des „Anderen“, des Exotischen, das bewundert werden, aber nie wirklich dazu gehören durfte — war auch der neue Hays Production Code. Der untersagte unter anderem Liebesbeziehungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarben. Stattdessen wurde chinesische Hauptfiguren vielfach mit weißen Darsteller*innen besetzt, die sich dann einer langwierigen Make-Up-Prozedur unterzogen. Yellowfacing als Äquivalent zum Blackfacing.

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Anna May Wong (c) Carl Van Vechten [Public domain]

Auch wenn sie dem entgegenwirken wollte, konnte sich Wong dieser Stereotypisierung nicht entziehen. Daughter of the Dragon (1931), in dem sie die Tochter des schurkischen Dr. Fu Manchu verkörperte, warnte vor jeder Liebe, die Rassengrenzen überschreitet. In Eine Studie in Scharlachrot (1933) spielte Wong eine kriminelle Witwe, in Tiger Bay und Java Head (beide 1934) fremdländische Objekte des Begehrens, in Limehouse Blues (ebenfalls 1934) erneut die China Doll. Eine rühmliche Ausnahme markierte Josef von Sternbergs Shangai-Express (1932), in dem sich Wong ein Abteil mit Marlene Dietrich teilte und durch einen Racheakt am Schurken des Films zur heimlichen Heldin avancierte.

Die Rolle der Leading Lady — an der Seite eines weißen Mannes — wurde Wong jedoch immer wieder verwehrt. Der Hays Code untersagte, dass sie ihren Partner küsste, ethnische „Durchmischung“ war ein Tabu. Die Großproduktion Die gute Erde (1937) markierte schließlich die wohl größte Enttäuschung in der Karriere der damals 32-Jährigen. Als für die chinesisch-stämmige Hauptrolle Paul Muni gecastet wurde, kam Wong für die Rolle seiner Ehefrau O-Lan Lung nicht mehr in Frage. Luise Rainer erhielt stattdessen den Vertrag (und später einen Oscar dafür), woraufhin Wong aus der 3-Millionen-Dollar-Produktion ausstieg, anstatt eine Nebenfigur zu spielen. Nur einmal, da war es ihr in Hollywood gestattet, den Helden des Films küssen: in Java Head. Der blieb bis zuletzt ihr Lieblingsfilm.

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Wongs Reputation nahm im Zuge des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges und des Zweiten Weltkriegs zu (das Ansehen von Chinesen wuchs unter der US-Bevölkerung) und auch ihre Rollen fielen bisweilen differenzierter aus. Im Propagandafilm Lady from Chungking (1942) spielte sie eine ihrer seltenen Hauptrollen, eine chinesische Adelige, die einen Aufstand gegen die japanischen Besatzer organisiert. Das Ende des Krieges und das Wiedererstarken des anti-chinesischen Rassismus rissen jedoch eine siebenjährige Lücke in ihre Filmografie. Erst 1949 wurde sie wieder besetzt, in einer Nebenrolle in Arthur Lubins Impact. Es folgten nur noch wenige Auftritte in Filmen und Serien, bis Wong 1961 — mit gerade einmal 56 Jahren - starb.

Wong litt zeitweise an schweren Depression und ihren späteren Jahren an einer Alkoholsucht. Doch sie versuchte immer wieder, das Ansehen von Sinoamerikanern zu verbessern, fügte vielen ihrer Auftritten kleine Elemente bei, die mit den von ihr verkörperten Stereotypen brechen sollten. Etwa in Piccadilly (1929), in dem sie eigentlich die verführerische Dragon Lady spielte, dabei jedoch das Haar wie eine chinesische Landarbeiterin nach hinten aufgesteckt trug. Wongs Leinwandpräsenz war immer größer und wirkmächtiger als die von ihr verkörperten Stereotype; durch ihre Ausstrahlung und ihr Talent verschwand sie nie gänzlich dahinter. In einer größeren Betrachtung bewirkte das vergleichsweise wenig — zumindest zu Wongs Lebzeiten. Erst um die Jahrtausendwende wurde sie von der Öffentlichkeit wiederentdeckt: in der bildenden Kunst, im Theater (China Doll – The Imagined Life of an American Actress, Uraufführung 1997), in der Literatur und im Dokumentarfilm. Elaine Mae Woo zeichnete in Frosted Yellow Willows (2005) ein ausführliches Porträt der Schauspielerin, das jedem ans Herz gelegt sein.

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