Ich heiße Ki

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Happy-Go-Lucky

Ki (Roma Gasiorowska) ist eine Abkürzung. Ki heißt eigentlich Kinga. Aber die Abkürzung ist das Mittel ihrer Wahl. Alles in ihrem Leben belegt die junge alleinerziehende Mutter mit Kürzeln. Ihren kleinen Sohn Piotr nennt sie nur Pio, außerdem braucht sie mal wieder einen Jo (steht für Job), denn ständig fehlt es an Geld. Nun ist in der polnischen Sprache der Trend zur Verkleinerung, zur Abkürzung und Verniedlichung keine Sache der Jugend. Alle machen es. Doch Ki ist dahingehend geradezu exzessiv. Als wären das kleine Zaubersprüche, mit denen sie ihren Alltag verzaubern kann. Denn Kis Welt ist bunt, grell, voller gespielter Leichtigkeit und Lockerheit.
Sie düst regelrecht durch ihren Alltag. Und wir mit ihr. Der Tag beginnt zu Hause. Irgendein Typ schleicht sich aus dem Schlafzimmer, sieht wie Ki gerade ihren kleinen Sohn füttert. Es ist nicht ganz klar, ob sie ihm letzte Nacht überhaupt gesagt hat, dass sie ein Kind hat. Sein Gesicht spricht eher vom Gegenteil. Dann rennt sie los zur Kunstakademie, wo sie als Modell ein bisschen was verdient. Jemand besorgt ihr einen Job als Go-Go-Tänzerin, doch sie merkt schnell, dass das nichts für sie ist und düst weiter.

Der polnische Regisseur Leszek Dawid hat in Ich heiße Ki eine dieser unvergesslichen Frauenfiguren geschaffen, die einem von der ersten Minute an auf die Nerven gehen, denen man aber dann doch irgendwie gerne folgt, um zu sehen, was sie als nächstes anstellen. Darin erinnert Ki an Mike Leighs Poppy aus Happy-Go-Lucky, deren sanftes hippiehaftes Wesen immer sehr irritierte. In Dawids Film mischt sich noch eine recht polnische Sichtweise, die man einem deutschen Publikum vielleicht etwas näher bringen sollte: Denn der Film greift das Bild der „polnischen Mutter“ an; die heilige, aufopfernde, gute Seele, die ihr eigenes Leben immer in den Dienst der Familie stellt. Ki könnte nicht weiter von diesem Idealbild entfernt sein. Allerdings ist ihre Leichtsinnigkeit kein Wert an sich. Sie bringt durch ihr Verhalten häufiger ihren Sohn in Bedrängnis, verleugnet ihn und wirkt einfach überfordert.

Es ist diese zwiespältig angelegte Hauptfigur, die Dawids Debütfilm so spannend macht. Natürlich hilft es sehr, dass mit Roma Gasirowska eine junge Schauspielerin gefunden wurde, die diese Figur mit einer beeindruckend schillernden Energie anreichert. Der Film urteilt nicht über Ki. Das ist seine große faire Geste. Er sieht sich nicht als Mahnung. Er kann Ki auch keine Alternative anbieten, die muss sie schon selber finden. Es ist daher sehr einleuchtend, dass die möglichen Rettungsleinen immer dann erscheinen, wenn Ki, der Großstadtsingle, auf Männer trifft. Da ist der Vater ihres Sohnes, ihr schweigender Mitbewohner oder der verliebte Beamte; sie alle kreisen um Ki, reichen ihr manchmal die Hand, wollen helfen, sie wachrütteln. Das ist nicht immer frei von Eigennutz. Keine Sorge: Die Männer sind hier keine Heiligen. Ganz im Gegenteil. Es ist nur so, dass die hier porträtierte männliche Realitätsbezogenheit mit Kis Verspieltheit besonders stark kollidiert und ihre einzigartige Weltsicht besonders deutlich aufdeckt.

Ki ist kompromisslos. Wie häufig bei solch agilen Filmfiguren zeigen sich bald erste Kratzer auf dem Panzer der Sorglosigkeit. Dann erlaubt uns Leszek Dawid einen Einblick in die Widersprüchlichkeit einer jungen Frau, die irgendwann beschlossen hat, sich von niemandem mehr unterkriegen zu lassen. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass diese selbstbewusste Kriegserklärung kein Ergebnis einer modernen Lebenseinstellung ist, sondern aus einer großen emotionalen Kränkung resultiert. Ob das nun fortschrittlich ist oder nicht, muss dann jeder selbst entscheiden. Allerdings wird man Ki so schnell nicht vergessen. Für einen Debütfilm ist das beileibe kein schlechtes Ergebnis.

Ich heiße Ki

Ki (Roma Gasiorowska) ist eine Abkürzung. Ki heißt eigentlich Kinga. Aber die Abkürzung ist das Mittel ihrer Wahl. Alles in ihrem Leben belegt die junge alleinerziehende Mutter mit Kürzeln. Ihren kleinen Sohn Piotr nennt sie nur Pio, außerdem braucht sie mal wieder einen Jo (steht für Job), denn ständig fehlt es an Geld. Nun ist in der polnischen Sprache der Trend zur Verkleinerung, zur Abkürzung und Verniedlichung keine Sache der Jugend.
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Meinungen

Johannes · 29.11.2015

Nur als kleine Anmerkung: der junge Mann in der ersten Szene des Films ist der Vater des Jungen.