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In diesem zauberhaften Puppentrickfilm erzählt Alain Ughetto das von etlichen Schicksalsschlägen gebeutelte Leben seines Großvaters nach.

No Dogs or Italians Allowed (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Handarbeit

Es gibt Animationsfilme, die brauchen nur wenige Minuten, um mit ihrem liebevollen, vor Details nur so strotzenden Stil zu verzaubern. Tomm Moores „Wolfwalkers“ (2020) zum Beispiel, oder Hayao Miyazakis „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001). Auch „No Dogs or Italians allowed“, der Eröffnungsfilm des DOK Leipzig 2022, gehört dazu. Wobei es einige Augenblicke dauert, bis überhaupt ersichtlich wird, dass es sich um einen (Puppen-)Trickfilm handelt.

Denn No Dogs or Italians allowed beginnt mit Realaufnahmen einer Werkstatt, in der Regisseur Alain Ughetto allerhand Rohmaterialien verklebt, verschraubt und anderweitig bearbeitet, um daraus die Kulisse für die Nacherzählung seiner Familiengeschichte zu basteln. Die beginnt um 1900 im italienischen Bergdörfchen Ughettera, als Zeitzeugin fungiert Ughettos Großmutter Cesira. Sie starb bereits in den 60ern, wird jedoch als Puppe reanimiert und erweist sich als äußerst auskunftsfreudig.

Zwischen Cesira und dem Regisseur kommt es zum Dialog über Sitten, Bräuche und das alltägliche Leben in Ughettera – und schließlich fällt das Gespräch auf Ughettos Großvater Luigi. Ein strammer Kerl mit markantem Schnauzbart, ein eifriger Arbeiter, den Cesira während seiner Beteiligung am Bau eines Eisenbahntunnels kennen- und lieben lernt. Sieben Kinder werden sie in den darauffolgenden Jahren in die Welt setzen, die ihren Vater jedoch immer wieder über längere Zeit nicht sehen. Sei es, weil er fürs Geldverdienen nach Frankreich fährt oder weil er in zwei Kriegen kämpft. Zunächst in Libyen, später im Ersten Weltkrieg. In beiden verliert Luigi jeweils einen Bruder.

Auch daheim gibt es Verluste: Menschen sterben durch den permanenten Hunger, durch Krankheit, durch Unfälle. Als der Faschismus aufkommt, fliehen Luigi, Cesira und ihre Kinder nach Frankreich, kaufen sich ein Haus, scheinen Frieden gefunden zu haben – bis der nächste Krieg ausbricht. Wo vorher die Radler der Tour de France entlangrasten, rollen nun Panzer.

Der Tragik des Stoffes steht die zuckersüße Stop-Motion-Animation – die etwa der von Tim Burtons Corpse Bride ähnelt, minus der morbiden Elemente – scheinbar als Antithese gegenüber, und doch geht diese Mischung hervorragend auf. Ughettos Großvater war zeit seines Lebens Handwerker, baute Tunnel, Häuser, Mauern, Staudämme, und nun erweist ihm sein Enkel die Ehre, indem er einen Film inszeniert, bei dem die handwerkliche Ebene die auffälligste ist. Nur eben in klein.

Da werden Kürbisse zu Häusern, aus Broccoli werden Bäume, Mauern werden statt mit Backsteinen aus Zuckerwürfeln hochgezogen; den Rest machen Ton, Pappmaché, Wellpappe und weitere handelsübliche Bastelmaterialien aus, die der Optik des Films eine ungeheure Plastizität, Struktur und Haptik im liebenswerten Miniaturstil verleihen. Die Hand des Regisseurs interveniert auch gern mal selbst, etwa um eine Kartoffel von einem Ende des Landes nach Ughettera zu tragen oder seinem fünfjährigen Vater ein Spielzeug zu reichen.

Immer wieder, auch dank vieler eingestreuter verbaler und physischer Gags, bringt No Dogs or Italians allowed sein Publikum zum Schmunzeln oder Lachen, nur um es ihm kurz darauf ob der nächsten Tragödie im Hals stecken zu lassen. Und doch ist die allgemeine Atmosphäre dieses zauberhaften Films eine voller Lockerheit und Lebensfreude. Denn, das wird hier mehr als deutlich, nur dank selbiger bewältigten auch Luigi und Cesira all die Schwierigkeiten, die ihnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entgegenschlugen.

No Dogs or Italians Allowed (2022)

Luigi Ughetto und seine Brüder lassen ihr Dorf Ughettera, das Land der Ughettos in ihrer Heimat Piemont, hinter sich, um „La Merica“ zu entdecken, dieses fabelhafte Land, in dem die Dollars auf den Bäumen wachsen. Anstelle von Amerika wird Luigi sein Bündel in der Provence aufstellen. Seine Geschichte ist die von Hunderttausenden von Italienern, die ihre Heimat verlassen haben, um sich in Frankreich, der Schweiz, Belgien und überall sonst niederzulassen.

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