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Die Rückkehr eines fast verlorenen Films: Rapid Eye Movies zeigt im Rahmen ihrer „Zeitlos“-Reihe Kan Mukais „Naomi“. In einer ungewöhnlichen Mischung aus Thriller und Erotikfilm trifft ein gescheiterter Boxer auf eine Frau, die das exakte Echo seiner letzten Geliebten ist. Eine düstere Erzählung von Tätern, Opfern und Vergebung.

Naomi (1966)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Tieftraurige Täter

„Der Boxkampf“, schreibt die Autorin Joyce Carol Oates „spiegelt die kollektive menschliche Aggressivität, diesen sich durch die Geschichte ziehenden Wahnsinn, der ohne Ende ist […].“ In ihrem Buch Über Boxen präsentiert sie den Sport als vorzivilisatorische Gegenwelt, als antikes Blutritual, gleichzeitig aber auch als eleganten Dialog. Ihre Sprache wird dabei oft leidenschaftlich, sinnlich sogar, denn der Körpertanz im Ring wächst zur „Mimikry einer erotischen Spielart“.

Hier nähert sie sich der Welt von Kan Mukais Naomi an. Der Film des japanischen Erotik-Pioniers setzt Boxkampf und Sexualität in eins. Bett und Ring verschmelzen zur männlichen Kampfzone, in der Verlorene mit ihren Körpern die eigene Existenz rechtfertigen. Es ist ein trauriger, verzweifelter Film über die dumme Gewalt von Männern, die glauben, nicht mehr gebraucht zu werden.

Der eine sieht aus, als könnte er Steine zerkauen, weil ihm das Leben nie etwas anderes vorgesetzt hat. Boxer Hizuki Eriguchi (Shûsaku Mutô) hat schon lange nicht mehr gewonnen. Nach einer weiteren Niederlage sitzt er an irgendeinem Bahnsteig, trotz später Stunde mit Sonnenbrille. Eine torkelnde Nervensäge fragt: „Was machst du da? Wartest du auf Schnee?“. Dann: „Hey, bist du tot?“ Er antwortet nicht – vielleicht auch, weil weder Zustimmung noch Verneinung seinen Zustand genau treffen. Das Leben war nicht gut zu ihm, und er ist bereit, es aufzugeben. Dann kommt eine Frau daher, gibt ihm Feuer und bekommt dafür eine Zigarette. Sie sagt ein paar Sätze zu ihm, die nur eines besonders macht: Er hat sie schon einmal genauso gehört. Wort für Wort.

Denn diese Frau namens Naomi (Kaoru Miya) ist ein Echo. Die Wiedergängerin einer Dame namens Kaori (Chikako Natsumi), mit der Hizuki früher zusammen war. Die ihn geliebt hat, bis er nicht mehr gut genug war, weder im Ring noch im Bett. Die ihn dann verspottet hat. Bis drohend im Raum stand, was Margaret Atwood beschrieben hat: „Männer haben Angst, dass Frauen über sie lachen könnten. Frauen haben Angst, dass Männer sie töten könnten.“

Wenn Bett und Ring eins werden, warten im Ring Geliebte und im Bett Feinde. Und Gegner sind dem Boxer, so schreibt es Oates, stets „Doppelgänger mit verkehrten Vorzeichen“. Man denkt bei diesem Film vielleicht an Vertigo und Wie ein wilder Stier. An Menschen, die zum Ebenbild eines anderen werden. An die Gewalt, die zwischen Menschen passiert, die einander angeblich lieben.

So entfaltet sich dann also zwei wenig glückliche Annäherungen parallel. Es wird zwischen zwei Zeitebenen gewechselt, die Beziehungen zu Naomi und Kaori werden zum Vergleich übereinandergelegt. In Flashbacks wird die Vergangenheit des Boxers beleuchtet, doch es wäre ungenau zu sagen: Er erinnert sich. Vielmehr wird die Vergangenheit seiner habhaft, ersetzt gewalttätig den Augenblick durch alte Bilder. Gedankensplitter mit scharfen Kanten. Wir lernen den oft in sich gekehrten Hizuki ein wenig kennen. Seine Leistungen als Boxer und Liebhaber hingen schon immer voneinander ab. Einmal stand er vor dem großen Durchbruch, doch dann hat Kaori ihn betrogen, ausgerechnet mit seinem Gegner. Er verliert, weil er den Nebenbuhler im Ring um jeden Preis vernichten will, und dabei nicht mehr an Deckung denkt.

Hier greift der Film zur Doppelbelichtung und lässt die Frau geisterhaft über dem Kampf schweben. Bilder und Sphären verschmelzen. Hizuki verliert, aber noch härter treffen ihn später, nackt zwischen Laken, die Worte von Kaori: „Jetzt bist du auch noch als Mann K.O.“

Der Film findet traurig, was die Männer begehren. Traurig, welche Träume man ihnen gegeben hat. Traurig, welchen Idealen sie nachjagen. Vieles in diesem Film ist grausam, manches grausam und kompliziert. Denn es geht auch um Masochismus, um Kaoris Wunsch, geschlagen zu werden, um die düstere Erotik der Gewalt. Um die Fragen, wo Einverständnis beginnt und endet, und wie sehr wir alte menschliche Instinkte einhegen können. Oder um die Nachkriegsfrage: Ist „Zivilisation“ nicht eine nette Geschichte, die wir uns selbst erzählen? Als der Film Ende der Sechziger erstmals in Deutschland erschien, wurde er unter dem Titel Unersättliche Triebe gezeigt.

Das Triebhafte erobert in Naomi alles. Selbst die Bilder gehen an die Schatten des Unbewussten verloren. Schwärze überall, irgendwie also auch ein Film noir. Die sichtbare Welt wirkt wie ein Rest, wie die letzte Scholle einer schmelzenden Eisfläche. Dem Boxer ist wenig Spielraum geblieben. Ein paar ärmliche Straßenzüge, der in dunklem Nichts schwimmende Ring, eine Bar, ein Bett. Ein minimalistischer Film. Reduziert, weit über das Wesentliche hinaus. Die Leinwand als Sackgasse, überall Enge.

Die Kamera schwingt sich dennoch durch diese Raumreste, als wären sie Ballsäle und Kathedralen. Ausladende, schnelle Schwenks und Fahrten verwandeln Orte. Oft kippt das Bild, stellt sich sogar auf den Kopf, die Kamera rotiert um Objekte. Hektische Klaustrophobie. Das Ergebnis ist manchmal Kunst und manchmal bemühter Kunstwillen. Stil, der seinen Gegenstand verpasst oder ein wenig einfältig wirkt. Wie eine Übung. Eine Straße wird zuerst in Schieflage gefilmt, dann rückt Naomi etwas ins Lot und dieselbe Einstellung zeigt sich unverfälscht.

Das sind nicht ganz der Wahnsinn und die Drastik manch anderer pinku eiga-Regisseure. Nicht der anarchische Geist von Kōji Wakamatsu, nicht die gnadenlose Transgression eines Hisayasu Satō. Eher zwischen universellem Schmerz aufflackernde Sanftheit. Ein Film, der sich klein macht; wie ein Zusammengekauerter, dem der Kopf zwischen die Knie sinkt. Wenig hier ist formschön und perfekt; wenn man diesen Film liebt, dann auch wegen seiner Schäbigkeit. Es gibt viele Geschichten von traurigen Tätern, die seltsam triumphal aufspielen. Die Agonie feierlich inszenieren, als würde sich noch das Scheitern in einer Arena vor vollen Rängen abspielen. Dieser Film hingegen sieht den Todeskampf, die „kollektive menschliche Aggressivität“, den „Wahnsinn, der ohne Ende ist“ – und kann sich den Jubel verkneifen. Die Täter weinen, ohne Applaus.

Naomi (1966)

Nach einer Begegnung mit einer Prostituierten erinnert sich ein ehemaliger Boxchampion an sein früheres Leben.  

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