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Sport ist im Prinzip eine schöne Sache, wären die großen Wettbewerbe nicht so frauenfeindlich und ignorant gegenüber queeren Menschen. In ihrem manifest-artigen Essayfilm zeichnet Julia Fuhr Mann die Geschichte der Diskriminierung nach. Und schreibt die Historie dabei lustvoll um.

Life Is Not a Competition, But I'm Winning (2023)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Sie läuft wie ein Mann – na und?

Leistungssport überwindet Grenzen – nur nicht die zwischen den Geschlechtern. Erst wurden Frauen gar nicht zu den Olympischen Spielen zugelassen, dann wurden sie belächelt und auch heute noch auf versteckte Weise diskriminiert, etwa im Frauenfußball. Noch übler erging und ergeht es homosexuellen Menschen und solchen, die nicht ins binäre Schema männlich/weiblich passen. Filmemacherin Julia Fuhr Mann findet sich damit nicht ab. In ihrem doku-fiktionalen Essayfilm rollt sie nicht nur die Geschichte non-binärer Leistungssportlerinnen auf, sondern schreibt die Historie lustvoll und verspielt um, mit sehenswerten filmischen Einfällen und einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein.

Schwitzende Körper, schwellende Muskeln, getaucht in warmes orangefarbenes Licht, unterlegt mit euphorisierender Musik: Schon zu Beginn ist klar, dass es hier nicht gegen Sport und Leistung als solcher geht. Sondern gegen die Herrschaft von weißen Männern, die sich bei Olympia und Weltmeisterschaften selbst feiern und nur zögerlich andere Identitäten zulassen. So etwa bei der Olympiade 1928 in Amsterdam, bei der erstmals Frauen starten durften und es gleich zum Eklat kam.

Nur weil beim 800-Meter-Lauf eine Frau im Zieleinlauf stürzte, sahen sich Kritiker in der Ansicht bestätigt, dass der weibliche Körper zu schwach für solche Distanzen sei. Die Disziplin wurde daraufhin verboten, für ganze 32 Jahre. Siegerin war übrigens Lina Radke, die die erste Goldmedaille überhaupt für die deutschen Leichtathleten holte. Doch ihr Triumph ging in dem Trubel völlig unter, es gab nicht einmal eine Siegerehrung.

Das ruft eine Gruppe von queeren Sportler:innen auf den Plan, die sich schon zuvor in das historische Archivmaterial hineingeschmuggelt hatten oder besser gesagt: dort hineingeschnitten wurden. Sie spulen den Zieleinlauf zurück, unterlegen ihn mit einem adäquaten Kommentar und stellen die Treppchen für die drei Besten bereit, unterlegt mit dem fingierten Sprechchor des Publikums: „Wie war das jetzt?“.

Ähnlich engagiert erinnert der Film an die polnisch-amerikanische Athletin Stella Walsh, die 1932 Olympiasiegerin im 100-Meter-Lauf wurde. „Sie rennt wie ein Mann“, hieß es damals wegen ihres hocheffizienten Laufstils. Bei ihrem tragischen Tod viele Jahre später gab es eine Obduktion, bei der man feststellte, dass sie intersexuell war und keine Gebärmutter hatte.

In der Folge wurden ihr die Titel aberkannt und ihre Erfolge gerieten in Vergessenheit. Auch heute besteht die Diskriminierung fort, etwa die der Transfrau und Marathonläuferin Amanda Reiter, der man den Sieg bei den bayerischen Meisterschaften durch einen Trick aberkennen wollte. Noch dramatischer ist das Schicksal von 800-Meer-Läuferin Annet Negesa, die man in ihrer Heimat Uganda zu einer hormonverändernden Operation zwang, weil ihr Körper zu viel Testosteron produzierte. Oder die Geschichte von Olympiasiegerin und Weltmeisterin Caster Semenya (ebenfalls 800 Meter), die Testosteron-senkende Medikamente nehmen musste, um überhaupt starten zu dürfen. Über ihren Kampf gegen diskriminierende Regeln hat sie kürzlich das Buch The Race to Be Myself veröffentlicht.

Es werden noch weitere genderpolitische Themen angesprochen in diesem komplexen und zugleich eingängigen Filmdebüt, das vor allem durch seine kraftvolle und experimentierfreudige Bildsprache besticht. Immer neue visuelle Mittel werden aufgeboten, mit dem Ziel, keine Opfergeschichte zu erzählen, sondern queere Sportler als Akteure zu feiern, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Sie schreiben nicht nur die Vergangenheit um, sondern imaginieren eine Zukunft, in der alle Identitäten und alle Arten von Körperlichkeit sich das Recht auf ihr jeweiliges So-Sein nehmen. Im Fokus steht dabei eine Welt, die nicht auf Ausgrenzung und Konkurrenz beruht, sondern auf einer kollektiven Freude am gemeinsamen Sporttreiben, hier repräsentiert durch das Laufen. Keine verbissenen Mienen zeigen die Bilder, sondern ein federleichtes Abstoßen bis hin zum Schweben.

Es ist klar, dass ein solcher Film eines einordnenden Kommentars bedarf, um die verschiedenen Ebenen zusammenzubinden. Und es ist ebenso nachzuvollziehen, dass dieser Essay wie eine Art Manifest daherkommen muss, das queeren Sportlern eine Plattform gibt. Trotz der eindeutigen genderpolitischen Stoßrichtung überlässt der Film auch ein paar wichtige Fragen dem Publikum und der gesellschaftlichen Debatte. Etwa, wie man den Wunsch nach Gewinnenwollen auch in einem nicht-konkurrenzorientierten Sporttreiben unterbringen könnte. Oder wie man faire Wettbewerbsbedingungen schafft, ohne trans- oder intersexuelle Menschen zu diskriminieren. Einfache Antworten gibt der Film hier nicht, und das ist gut so.

Life Is Not a Competition, But I'm Winning (2023)

Kaum ein Bereich der Gesellschaft ist noch so strikt nach Geschlechtern getrennt wie die Welt des Sports. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Athlet*innen, sondern prägt auch maßgeblich das Geschlechterbild von Millionen Sportfans. In „Life is Not a Competition, but I’m winning“ begleiten wir Amanda Reiter, eine trans Marathonläuferin aus der bayerischen Provinz sowie Annet Negesa, eine 800-Meter-Läuferin aus Uganda. Beide sind mit den beengenden Geschlechtervorstellungen der Sportwelt konfrontiert und versuchen auf ihre jeweils eigene Weise, sich daraus zu befreien. (Quelle: First Step Awards)

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