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Trotz verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Regisseur und seinem Darsteller*innenensemble und deren Dopplung im Film ist Philippe Garrels „Le grand chariot“ keine Familienaufstellung, sondern ein bitter-komischer Film über die Leben und den Tod.

Le Grand Chariot (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Familienangelegenheiten

Wenn Applaus das Brot des Schauspielers ist, dann ist es im Fall der Familie vor allem das Kinderlachen, das sie mit ihren Puppentheaterstücken erzeugen. Selbst allerdings hat die Familie, bestehend aus dem Patron als Anführer der Truppe (Aurélien Recoing), seiner drei Kinder Louis (Louis Garrel), Martha (Esther Garrel) und Lena (Lena Garrel) sowie der wunderlich werdenden Großmutter (Francine Bergé) wenig zu lachen. So sehr sie sich auch bemühen, die gute Laune zu behalten. In Zeiten eines Überangebots an Kinderunterhaltung wirkt ihr Puppentheater „Le grand chariot“ ebenso aus der Zeit gefallen wie die Theaterstücke, die sie aufführen.

Es ist vor allem die scheinbar unermessliche Energie des Vaters, mit der die Kinder bei der Stange gehalten werden. Doch als er einen Schwächeanfall erleidet und kurz darauf verstirbt, sind die Kinder an der Reihe, den großen Wagen wieder zurück auf die Erfolgsspur zu bringen, was sich mit der Zeit als zunehmend aussichtsloses Unterfangen erweist. Zuerst verlässt Louis den Familienbetrieb, weil er ein Angebot als richtiger Schauspieler hat. Dann wird Pieter, der zwar nicht zur Familie, aber sehr wohl zur Truppe gehört (was letzten Endes einem Wahlverwandtschaftsverhältnis ziemlich nahe kommt), das Ensemble verlassen, um sich seiner (erfolglosen) Karriere als Maler zu widmen.

Hinzu kommen zudem Trennungen, die wiederum zu anderen Beziehungen führen, Schwangerschaften und Geburten, Nervenzusammenbrüche, Krisen und Trennung. Zum Schluss gibt es noch ein gewaltiges Gewitter, das die Kulissen des Puppentheaters zu Kleinholz macht. Ein ganzer Reigen von Schicksalsschlägen, die Philippe Garrel charmant beiläufig vor dem Publikum aufblättert, Lachen und Weinen liegen hier stets nah beieinander.

Dass dabei ausgerechnet das Begräbnis des Vaters zu einem der komischsten Momente des Films gerät, bei der die Großmutter kurzerhand hinter einen Grabstein pinkelt und Pieter viel zu spät im Laufschritt gerade noch das Ende der kleinen Zeremonie mitbekommt, verdeutlicht, wie sehr Philipp Garrel in seinem neuen Film mit den Emotionen spielt, das Ernste lustig und das Heitere im Grunde zutiefst melancholisch in Szene setzt. Später wird es bei einer weiteren Beerdigung – nämlich jener der Großmutter – ebenfalls zu einer Pointe kommen, die es in sich hat. Weil die charmante alte Dame überzeugte Kommunistin war, die jegliche Form der Religion verabscheute, lässt es sich Louis nicht nehmen, ins offene Grab zu springen und eigenhändig das hölzerne Kreuz vom Sargdeckel der Verblichenen abzumontieren.

Ebenfalls typisch für Garrel: Die Männer, hier insbesondere Pieter, der eine Zeitlang fast wie die eigentliche Hauptfigur des Films erscheint, sind nicht gerade Musterknaben ihrer Gattung. Sie sind strauchelnde Kerle, deren Egomanie die Frauen und vor allem sich selbst in den Wahnsinn treibt, wenn vor lauter verletzter Künstlersensibilität die eigenen Bilder in einer U-Bahn-Station einer wütenden Messerattacke ihres Schöpfers zum Opfer fallen.

Natürlich drängt sich (viel zu offensichtlich) der Verdacht auf, dass Philipp Garrel mit der Volte, die Kinder des Puppenspielerpatron mit seinen eigenen Kindern zu besetzen, er womöglich auch die eigene Kunst und deren Verhältnis zur eigenen Familie sowie über Kreativität, Alter und Tod zu reflektieren versucht. Gleichwohl aber dürfte der Befund in diesem Fall viel beruhigender ausfallen als bei den Protagonist*innen seines Films: Im Gegensatz zum Puppentheater zeigt sich das Kino gerade in Frankreich nicht als untergehende, sondern höchst lebendige Kunstform und die dynastische Nachfolge scheint im Falle der Garrels ebenfalls geregelt zu sein. Schließlich ist Louis Garrel im Gegensatz zu seiner Figur im Film mittlerweile nicht mehr nur vor, sondern auch hinter der Kamera tätig.

 

Le Grand Chariot (2023)

Drei Geschwister, ein Vater und eine Großmutter führen ein fahrendes Puppentheater. Als der Vater während einer Aufführung stirbt, versuchen die verbleibenden Familienmitglieder, sein Erbe am Leben zu erhalten.

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