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In der Welt, wie sie gerade ist, schwirrt ein Traum, wie sie sein könnte – ein steiniger Weg. Petra Hoffmann strickt aus ihren eigenen Aufnahmen der Revolution in Nicaragua eine Warngeschichte des Idealismus. 

Ein Traum von Revolution (2024)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Der Status Quo und sein ewiges Bestehen

„Natürlich waren wir Idealisten.“ Augen voller Nostalgie. Regisseurin Petra Hoffmann erzählt in ihrem Dokumentarfilm über die Sandinistische Revolution in Nicaragua 1979, die den damaligen Diktator Anastasio Somoza ablöste. Ihr Film legt dabei den Fokus auf die Lebenswege der Protestierenden, Helfenden und Künstler*innen (sogenannte Brigadist*innen), die (wie sie selbst) aus aller Welt nach Nicaragua anreisten. Einst die Lösung, dann Spiegelbild des Problems: Auch unter dem Revolutionär Daniel Ortega kippen die Verhältnisse im Land. Alte Bilder von Hoffmann vor Ort zeigen, dass der Film kein Form-, sondern ein Herzensprojekt ist. Und das nicht erst seit gestern, sondern Jahrzehnten. Anstelle von Traum heißt es dann leider doch immer wieder: Lüge oder Enttäuschung der Revolution. Hinter den Bildern spürt man die unsichtbare Hand des Status Quo, die jegliche Aversion vom Bekannten zu verhindern vermag. 

Ein Traum von Revolution besteht überwiegend aus Archivmaterial, einigen Talking Heads sowie Hoffmanns eigenen Aufnahmen aus der Zeit. Auf der Suche nach Kontextualisierung stößt man auf eine Barrage aus Videoschnipseln, die zwar ausgezeichnet die eingefrorene Zeit abbilden, doch auch immer wieder zur Flut werden. Der Film erwartet viel von seinem Publikum. Vielleicht zu viel. Ohne Vorwissen schwimmt man zwischen immer detaillierter werdenden historischen Nuancen – teils geht man unter. Allerdings leistet sich der zuständige Verleih Drop-Out Cinema, der neben subversiv-obskuren Horrorfilmen unter der Sektion #PolitKino auch formidable Filme mit Politikbezug sammelt, eine angebrachte Einordnung. Die Erwartungshaltung dürfte so bereits maßgeblich signalisiert sein. 

Hoffmann geht es zwar darum, die konkreten Abläufe in Nicaragua zu bebildern, der Film öffnet jedoch eine Warngeschichte im Allgemeinen. Es lohnt sich, Parallelen zu anderen Variationen der Aufbruchstimmung zu ziehen. 
Der Film Oasis (2024) des MAFI-Kollektivs (Felipe Morgado, Tamara Uribe) ist ein Porträt des gescheiterten Referendums in Chile 2019-2022. Dort gab es die einmalige Gelegenheit, nach wochenlangen Protesten über eine neue Verfassung abzustimmen. Doch aufgrund medialer Propaganda stimmten die Chilen*innen schlussendlich gegen ihre neue Grundordnung. Das Kollektiv arbeitet dabei voller widersprüchlicher Bilder. So wie The Zone Of Interest (2023) eine Idylle vor dem KZ zeigt, so zeigt Oasis in dokumentarischen Bildern Strände vor Industrie, Proteste vor Frieden, eine Wodkaflasche im Parlament. Absurditäten, die in Hoffmanns Film per Stimme aus dem Off erklärt werden müssen, sind in Oasis in Bildsprache verpackt.

Schlussendlich haben die Filme das Einschleichen des Status Quo gemein. Wie eine verschleppte Erkältung, die man nicht loswird, kehrt dieser immer wieder zurück und zeckt sich ein. In Chile versuchten die Rechten anschließend ebenfalls eine Mehrheit für ihre Verfassung zu gewinnen, doch auch diese wurde abgelehnt, in Nicaragua kehrt selbst unter dem Revolutionär Ortega ein autoritäres Regime zurück. Eine unendliche Pattsituation, die ständig Richtung „So, wie es immer war“ zieht. 

Die Präposition des Protestes ist Musik und Kunst. Genau wie der Film eine lange Geschichte besitzt, Proteste einzufangen, ist Musik die Sprache des Dagegenseins. „Trauer durch Kunst in etwas Konkretes verwandeln“ nennt es Ein Traum von Revolution. Hoffmanns Film findet immer wieder die richtigen Töne, um emotional zu bewegen, ohne plakativ zu sein. Doch eine Gefahr besteht: Hymnen für Krieg oder Frieden kann man dann doch nicht voneinander unterscheiden, wenn man die Worte nicht versteht. Die Mengen auf den Straßen machen eins klar: Wir leben in postheroischen Zeiten, in denen es keinen singulären Helden braucht, um Massen zu bewegen. „Ein Held, der nicht stirbt, ist ein unzuverlässiger Held. Nur tote Helden sind echte Helden“, sagte Filmemacher Jean-Pierre Melville; man ergänze noch Bertolt Brecht mit seinen Worten: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat! Unglücklich, das Land, das Helden nötig hat.“ Und man versteht die widersprüchlichen Zahnräder, die während einer Revolution in unterschiedliche Richtungen drehen. Der Film schafft es leider nicht, diese Komplexitäten einzufangen, mehr als sie anzudeuten. So hat man es auf der einen Hand mit einem Film zu tun, der Vorwissen voraussetzt, und auf der anderen Hand viele Ideen nicht zu Ende führt. 

Petra Hoffmanns Film ist eloquent und präsentiert angemessenen Tadel für die nordamerikanische Kriegstreiberei in Nicaragua. Das Scheitern der Revolution beschreibt sie selbst am besten: „Die Träume von einer sozial gerechteren Gesellschaft sind an der knallharten Wirklichkeit zerschellt. Im Gegensatz zu den allermeisten Menschen, auf die wir unsere Utopien projiziert haben, können wir unser Hab und Gut zusammenpacken und uns aus der Geschichte herausbewegen.“ Hoffmanns Rückkehr in die Geschichte ist ihr Film: Ein Traum von Revolution

Ein Traum von Revolution (2024)

Als vor knapp 45 Jahren die Revolution in Nicaragua siegt, beginnt die Welt zu träumen. Eine junge Generation übernimmt die Regierung in einem Land großer Utopien. Allein aus Westdeutschland kommen 15.000 „BrigadistInnen“ zum Wiederaufbau des ausgebluteten Landes: Liberale, Grüne, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Linke und Kirchenvertreter ernten Kaffee und Baumwolle, bauen Schulen, Kindergärten und Krankenstationen. Keine Bewegung hat so viele Menschen mobilisiert. Was ist aus den Wünschen und Träumen der Revolutionäre und ihrer Unterstützer geworden?

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