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Mit „15 Jahre“ setzt Chris Kraus sein Werk „Vier Minuten“ fort – und lässt erneut Hannah Herzsprung als zornerfüllte Frau brillieren.

15 Jahre (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Vergebung und Verschwendung

Anfang 2007 kam das Drama „Vier Minuten“ von Chris Kraus nach einigen Festivaleinsätzen im Jahr zuvor in die deutschen Kinos – und wurde zu einem großen Erfolg bei Kritik und Publikum. Der 1981 geborenen Hannah Herzsprung gelang darin an der Seite der Leinwandveteranin Monica Bleibtreu der Durchbruch; inzwischen zählt sie selbst längst zur A-Liga des deutschen Films.

Etwas mehr als anderthalb Dekaden später kehren Kraus und Herzsprung in 15 Jahre zu der damals 20-jährigen Protagonistin Jenny von Loeben zurück. Diese wurde einst wegen eines Mordes verurteilt, den ihr Freund begangen hatte. Unter den schlechten Haftbedingungen verlor die junge Frau ihr Kind bei der Geburt. Die Teilnahme an einem Musikwettbewerb brachte ihr im Vorgängerfilm einen kurzen Moment der Befreiung. In der Fortsetzung können wir nun beobachten, wie Jenny nach ihrer Entlassung wieder im Alltag Fuß zu fassen versucht.

Schnell müssen wir dabei erkennen: Die Wunden von früher sind keineswegs verheilt. Der flüchtige emotionale Höhepunkt, den Jenny bei ihrem rebellischen und überraschend triumphalen Klavierspiel im Rahmen des Wettbewerbs erlebte, blieb eine Ausnahme in einem Dasein voller Verbitterung und Wut.

Jenny ist Teil einer religiösen Therapie-Wohngruppe und arbeitet als Reinigungskraft. Als sie ihrem Job im Gebäude des Konservatoriums nachgeht, in dem sie vor langer Zeit Schülerin war und als Wunderkind gefeiert wurde, trifft sie dort ihren ehemaligen Kommilitonen Harry (Christian Friedel), der ihr Talent stets zutiefst bewunderte. Ähnlich wie einst die von Bleibtreu verkörperte Lehrerin, will jetzt auch Harry Jenny dazu bewegen, ihre musikalischen Fähigkeiten öffentlich zu demonstrieren. Gemeinsam mit dem syrischen Geflüchteten Omar (Hassan Akkouch), der ein begnadeter Sänger ist, soll sie bei einer TV-Castingshow mitmachen, um das Preisgeld zu gewinnen. Als Jenny erfährt, dass ihr mittlerweile berühmter Ex-Freund (Albrecht Schuch) in der Jury sitzt, will sie Rache für vergangenes Unrecht üben.

In der Gestaltung der obskuren Fernsehsendung, die Jenny und Omar als „Raumpflegerin und Kriegsopfer“ sensationslüstern vorführt, wirkt 15 Jahre ein bisschen plakativ und obendrein überholt, da die große Zeit von Shows wie Popstars, Deutschland sucht den Superstar oder Das Supertalent eher vorüber scheint. Die Stärke des Films liegt indes vor allem in der fulminanten Darstellung des Zorns und der Zerstörung in Verbindung mit seiner ambivalenten Hauptfigur, die Herzsprung abermals mit Wucht und Verve interpretiert. Verschwende dich lautet der Titel des Songs, den Jenny und Omar für ihren Auftritt als Duo komponieren und schreiben – und diese totale Hingabe ist auch Herzsprung in jeder Szene deutlich anzumerken. Ebenso einnehmend sind das empathische Spiel von Hassan Akkouch und die Musik von Annette Focks und Max Prosa.

Das Werk enthält einige ungewöhnliche Momente – etwa wenn Jenny zu Beginn bei ihrer Reinigungsarbeit am Flughafen einen Löwen befreit und diese Aktion samt Polizeieinsatz zu einem Medienspektakel wird. Nicht zuletzt handelt 15 Jahre zudem von dem Versuch der Vergebung beziehungsweise der Hoffnung darauf. Albrecht Schuch wird dabei in der Rolle des Ex-Freundes, der Jenny damals im Stich und für seine Sünden büßen ließ, eine weitere Möglichkeit gegeben, eine komplexe, mit schwerer Schuld beladene Figur mit Leben zu füllen. Der Film ist, wie schon Vier Minuten, beeindruckendes Schauspielkino, das vor menschlichen Abgründen niemals zurückschreckt.

15 Jahre (2023)

In ihrer Jugend war die Pianistin Jenny ein musikalisches Wunderkind, doch das Leben meinte es nicht gut mit ihr. Nach 15 Jahren Haft wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hat, ist von ihrem Talent nur Wut und Erinnerung geblieben. Als sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis im christlichen Glauben Halt sucht, erfährt sie, dass ihre Jugendliebe, einst verantwortlich für ihr Martyrium, unter dem Künstlernamen Gimmiemore ein international gefeierter Star geworden ist. Das überwältigende Bedürfnis nach Rache gefährdet ihre fragile Übereinkunft mit Gott und ihre Beziehung zu einem syrischen Musiker, der Jenny ehrliche Zuwendung und Vertrauen entgegenbringt. In einer zynischen TV-Talent-Show provoziert sie die Wiederbegegnung mit ihrem einstigen Peiniger und Geliebten und es kommt zu einem intimen Duell auf Leben und Tod.

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