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Streaming-Tipp des Tages: Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

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Filmstill zu Do Not Expect Too Much from the End of the World (2023) von Radu Jude
Do Not Expect Too Much from the End of the World (2023) von Radu Jude

Der neue Film von Radu Jude ist schon jetzt mein Film des Jahres. So klug, so politisch und so verdammt lustig. In einer besseren Welt würde dieser Film in den Kinos laufen und diskutiert werden – hoch und runter. Die Zukunft des Films? Innovation? Schaut euch Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt an und lasst euch vom Einfallsreichtum und dem präzise-sezierenden Blick des rumänischen Filmemachers begeistern: Hier habt ihr euren Film zur Gegenwart – da kann Oppenheimer noch so viele Bomben abwerfen.

Angela (Ilinca Manolache) ist völlig überarbeitet: Schlaf ist ihre Sehnsucht. Aber sie muss Geld verdienen. Als Produktionsassistentin muss sie sich durch den quälend-dichten Verkehr von Bukarest quälen, um Menschen für einen Werbefilm über Arbeitssicherheit zu casten. Auftraggeber ist eine weltweit operierende Firma aus Österreich, die ihr Image aufpolieren will. Gesucht werden Opfer von Arbeitsunfällen, die sich gut für die Agenda der Firma einspannen lassen. Dabei ist es hauptsächlich das Geld, das sie locken soll. Angela wandert durch die Welt der Ärmsten, die längst vom Strom des Kapitals abgekoppelt sind.

Neben diesem narrativen Strang flechtet Jude einen alten rumänischen Film aus den Achtzigern ein: Angela merge mai departe (1981) von Lucian Bratu. Dieser handelt von einer Taxifahrerin, die sich selbstbewusst in einer Welt der Männer behauptet. Zwei Frauen fahren also durch diese Stadt, in unterschiedlichen Zeiten – mitunter auf denselben Straßen, die sich so sehr verändert haben. In seiner medialen Komposition wird Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt beinahe zu einer soziologischen Dokumentation über den Wandel des Raumes und die Stellung der Frau in einer Gesellschaft, die so sehr vom Machotum geprägt ist.

Ach ja – und dann gibt es noch das sexistische, völlig zugespitzte Alter-Ego von Angela: mithilfe eines Filters versteckt sie sich mehr schlecht als recht hinter einem prolligen Männergesicht und postet Reels auf Instagram. Immer wieder brechen obszön-sexistische Tiraden in den Film ein, die einen bizarren Witz entfalten und doch von erschreckender Drastik sind. Da wird ein zähflüssiger Chauvinismus ausgekippt, ein digitaler Spiegel aufgezogen, in dem sich toxische Männlichkeit in ihrer Überhöhung bricht – es ist die Wirklichkeit, die hier zurückbrüllt.  

Ebenfalls mit dabei: Uwe Boll in seiner besten Rolle als … Uwe Boll. Lasst euch vom experimentellen Charakter des Films nicht abschrecken. Steigt ein und folgt Angelas Odyssee.

Jetzt bei Mubi im Stream.

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