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Biker Dreams

Jeff Nichols’ „The Bikeriders“ erzählt mit großer Genauigkeit von der (in diesem Fall sehr männlichen) Sehnsucht nach Freiheit auf der Straße. Biker und Rocker, Mods und Popper – welche Filme spielen noch innerhalb dieser Countercultures?  

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Biker Dreams
„Easy Rider“ meets „The Bikeriders“

Basierend auf dem gleichnamigen Fotobuch von Danny Lyon erzählt Regisseur Jeff Nichols in „The Bikeriders“ von den Anfangsjahren der Bikergangs, als die Gegenkultur noch nicht vom organisierten Verbrechen durchzogen war. Im Grunde schlossen sich gelangweilte Ehemänner und rebellische Jugendliche zusammen, um ihre Version vom American Dream zu leben. Aus heutiger Sicht ist das natürlich unglaublich konservativ, gerade was die Geschlechterrollen angeht. Der Coolness und dem Rock’n’Roll kann man sich dennoch nicht völlig entziehen – egal, wie man nun zu Motorrädern steht. Daher stellen wir im Folgenden unsere liebsten Bikerfilme vor.    

Das Messer am Ufer (1986)

Auf den ersten Blick hat der düstere Coming-Of-Age-Thriller River’s Edge/Das Messer am Ufer nichts mit Easy Rider oder The Bikeriders zu tun. Der Film handelt nicht von einem Lebensgefühl oder einer männerbündlerischen Idee von Freiheit. Stattdessen durchziehen Tod und Elend seine Bilder. Tim Hunter erzählt in verstörend kargen, beinahe emotional amputierten Bildern von den Auswirkungen eines Mordes auf eine Gruppe Jugendlicher. Dunkler Heavy Metal dominiert den Soundtrack. Keine Spur von Rock’n’Roll. Der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Der Tank der Maschinen ist leer. Und auch der letzte Joint der Hippies ist aufgeraucht.

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Was aber immer noch da ist? Jene spießbürgerliche Kultur, gegen die man anrannte, ansoff und rebellierte. Zwischen der neuen, desillusionierten Jugend und dem Establishment finden sich die verwesenden Spuren der guten alten Zeit. Nicht von ungefähr wird Feck, ein neurotischer Ex-Biker und Drogendealer, von Dennis Hopper gespielt – Easy Rider lässt als fernes Echo die Motorräder aufheulen. Man kann River’s Edge als den Endpunkt des Amerikanischen Traums begreifen, als den Schmutz und Schutt nach der Party. Kein angenehmer Film. Aber ungemein wichtig.

Sebastian Seidler

Rocker (1972)

Gut möglich, dass Jeff Nichols noch nie von Klaus Lemke gehört hat. Der vor zwei Jahren verstorbene Filmemacher hat allerdings wie kein anderer erkannt, dass das hiesige Äquivalent zum Highway, das (west-)deutsche Setting für Sleaze, Leder und destruktive Männlichkeiten, der Kiez ist. So wie Ende der Sechzigerjahre ganze Gangs rebellischer Heranwachsendenfiguren unter Motorengeheul in die US-Autokinos einfuhren, so folgten auch auf Lemkes Rocker noch eine Reihe weiterer Milieufilme.

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Rocker war ein Fernsehfilm und dürfte gerade dort mit seiner rauen Ehrlichkeit 1972 neue Maßstäbe gesetzt haben. Wie bei fast allen seinen Filmen arbeitete Lemke mit selbst in Kneipen aufgegabelten Laiendarstellenden und kaum Budget. Der Regisseur hatte viel an Eigensinnigkeit mit seinen Figuren gemeinsam: Das Subventionssystem, und Fernsehproduzenten, die mitreden wollen, konnte er nicht leiden, und Schauspieler*innen auch nicht: „Sinnlos und prätentiös“, sagte er 2005 mal in einem Interview mit Rebecca Casati und Alexander Gorkow. „Ich interessiere mich nicht für Schauspieler. Ich brauche richtige Menschen. Menschen mit Geschichten.“

Heute wird Rocker aufgrund seines kernigen Slangs oft mit viel Gelächter geguckt. Besonders kultig ist etwa die Szene, in der Biker Gerd und der 15-jährige Mark pöbelnd in eine Fernfahrerkneipe einfallen: „Schenk ein, das Ding!“ Eigentlich sind diese von richtigen Menschen mitgebrachten Geschichten aber tragisch: Am Anfang wird Gerd aus dem Knast entlassen und von seinen Motorradfreunden in Freiheit erwartet. Am Ende rückt wieder die Polizei an. Dazwischen liegen Eifersuchtsprobleme, Prügeleien und ein Mord. In einer Szene hängt ein Poster von Marlon Brando in Der Wilde an der Wand, der selben Darstellung, die auch Tom Hardys Figur in The Bikeriders inspiriert.

Mathis Raabe

​Akira (1988)

Im Laufe der zwei Stunde des dystopischen Anime-Klassikers Akira passiert viel. Sehr viel sogar. Und trotzdem hat sich das ikonische rote Bike von Protagonist Kaneda zum Titelmotiv und im Grunde sogar Synonym für diesen Film entwickelt. Dabei kommt es eigentlich nur einen Bruchteil der Zeit vor: Kaneda zieht mit ihm und weiteren Mitgliedern seiner jugendlichen Motorrad-Gang zu Beginn durch die Straßen von Neo-Tokio, stiftet ein wenig Unheil, und im Grunde war’s das.

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Akira ist also wahrlich kein Film über irgendeine Art Biker-Milieu — und dennoch steckt jede Menge Kraft und Symbolismus in den wenigen Bildern dieser Gang. Wie in den US-amerikanischen Vorbildern verkörpern sie den Drang nach Freiheit, Selbstverwirklichung und Rebellion, nur eben nicht vor einer 60er-Jahre-US-Kulisse, sondern in einer dystopischen Zukunft. Ob nun konservatives Spießbürgertum oder übermächtige Zukunftskonzerne: Die repressiven Machtstrukturen bleiben im Kern immer gleich, werden das eine Mal von überholten Werten, das andere Mal vom Kapital angetrieben. Genauso gleich bleibt auch der Wille, sich dagegen aufzulehnen. Das Motorrad scheint – zumindest eine Zeit lang – ein universelles Symbol dafür gewesen zu sein.

Christian Neffe

Rodeo von Lola Quivoron

Und es geht doch — auch wenn die vorherigen Filme samt und sonders männerdominiert sind. Abgesehen von Exploitation-Krachern wie Sisters in Leather aus dem Jahre 1969 von Zoltan G. Spencer, in dem eine lesbische Biker Gang einen braven Ehemann erpresst, und dem Klassiker des ziellos-dekorativen Herumfahrens Nackt unter Leder (La Motocyclette / The Girl on a Motorcycle; 1969, Regie: Jack Cardiff) mit Marianne Faithful in der Hauptrolle spielen Frauen in Filmen über Biker keine wesentlichen Rollen, sondern sind allenfalls entweder schmückendes Beiwerk oder Opfer marodierender Gangs. Wie man dies beispielsweise auch in George Millers Mad Max (1979) sehen kann. 

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Lola Quivorons Spielfilmdebüt Rodeo, das 2022 seine Premiere in Cannes feierte, ist da anders: Im Mittelpunkt steht Julia (Julie Ledru), eine junge Frau, die sich ganz frei und wild und selbstbewusst bei illegalen und gefährlichen Motorradstunts, den sogenannten „Rodeos“, mit den Kerlen misst. Eine Outlaw-Heldin, die bei fingierten Verkaufsgesprächen einfach die Maschinen klaut und davonfährt, eine Getriebene, die nur auf dem Motorrad so richtig glücklich ist und die schließlich, befeuert von einer unstillbaren Todessucht, ein großes Opfer bringt.

Rodeo (2022) von Lola Quivoron — Trailer (deutsch)

Im Gegensatz zu vielen anderen Biker*innen-Filmen ist Rodeo ein Werk, das von seiner Rätselhaftigkeit, seiner Uneindeutigkeit lebt, das vieles im Schwebezustand lässt und gerade deswegen vielschichtiger erscheint als fast jeder andere Film über Männer (und Frauen) auf zwei Rädern.

Joachim Kurz

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