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Ein bestialischer Mord, der Bayern im Jahr 1932 erschüttert, wird zum Menetekel des heraufziehenden Nationalsozialismus, der sich aus Rückständigkeit und Ressentiments speist. Daniel Alvarenga zeichnet mit „Hundswut“ einen freilich fiktiven historischen Fall nach, der nicht so recht den Anschluss an die Gegenwart findet.

Hundswut (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Homo homini lupus

Abseits der Großstadt München (die „Hauptstadt der Bewegung“ — gemeint ist die nationalsozialistische) ist die Welt noch in Ordnung — auch im Jahre 1932, in dem Daniel Alvarenga seinen düsteren Heimatkrimi angesiedelt hat. Von den Verwerfungen und politischen Veränderungen, die mit den Händen zu greifen sind, will man hier nichts wissen, die Uhren gehen langsamer, das Land beansprucht für sich, seine eigenen Gesetzmäßigkeiten zu haben. Man(n) regelt hier ganz gern die Dinge unter sich. „Bevor i dene wos meld und dann oan vo dene Nazis im Dorf hob, regel i’s liaber selber.“ Nur ist das nicht unbedingt besser.

Die Angelegenheit, die hier geregelt werden muss, ist eine grausige und trägt kaum dazu bei, den sozialen Frieden im Ort auf absehbare Zeit fortbestehen zu lassen: Vier Kinder aus dem Dorf sind übel zugerichtet tot aufgefunden worden, und die Suche nach dem Verantwortlichen treibt seltsame Blüten: Nachdem zuerst ein Wolf als mutmaßlicher Täter ausgemacht worden ist, verbreitet die Dorfälteste das Gerücht, kein herkömmlicher Wolf, sondern ein Werwolf, der tagsüber in normaler Menschengestalt umherwandelt, sei der Übeltäter. Und als weitere Todesfälle passieren, ist mit dem misstrauisch beäugten Einsiedler Joseph für die Dorfhonoratioren schnell der ideale Verdächtige ausgemacht, der nach dem Tod von Frau und Sohn depressiv und zurückgezogen gemeinsam mit seiner Tochter Mitzi im Wald lebt. 

Um dem Sündenbock der weltlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen — denn das riefe externe Autoritäten auf den Plan -, besinnt sich der Pfarrer Hias Lechner auf die 1487 erschienene Textsammlung, die es unter dem Namen Der Hexenhammer (lat. Malleus Maleficarum) während der Inquisition zu trauriger Berühmtheit brachte. Und der sorgt schließlich in einer Art religiösem Wahn innerhalb der Dorfgemeinschaft dafür, dass das vermeintlich Böse seiner „gerechten“ Strafe zugeführt werden kann. 

Daniel Alvarengas Film steht am ehesten in der Tradition moderner Heimatfilme und jener Krimiliteratur, die ihre Faszination aus dem Lokalkolorit einerseits und historischem Anspruch andererseits bezieht — Tannöd lässt grüßen. Wobei es sich in diesem Fall mit der Wechselbeziehung zwischen Buch und Film anders verhält. Der Regisseur und Drehbuchautor Alvarenga verfasste zuerst das Drehbuch und realisierte den Film, bevor dann gewissermaßen in Zweitverwertung der Roman zum Film entstand.

Dass dem Film kein realer, sondern ein fiktiver Fall zugrundeliegt, erweist sich dann auch ein Knackpunkt der Geschichte, der es doch insgesamt an Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit mangelt. Dass sich in den 1930er Jahre kirchliche wie weltliche Autoritäten allen Ernstes auf einen Prozess einlassen, dessen Grundlage selbst in der katholischen Kirche niemals unumstritten war und dessen fatale Wirkmächtigkeit mehrere Jahrhunderte zurückliegt, erscheint bei allem Wissen um erzkatholisch-patriarchale Strukturen in ländlichen Regionen dann doch ein wenig zu viel der Spekulation — zumal die Charaktere und deren Agieren schlussendlich doch sehr mit dem sprichwörtlichen Holzhammer zusammengezimmert sind. Und zuletzt ist auch die Botschaft, die sich dadurch vermittelt, zumindest etwas ambivalent geraten: Dem Grauen und Wüten der aufziehenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wird hier ein mindestens ebenso repressives ideologisches System entgegengesetzt, und so sei die Frage erlaubt, ob das eine nicht das andere zumindest ansatzweise relativiert.

Von solchen Ungereimtheiten einmal abgesehen ist es doch erstaunlich, wen Alvarenga alles vor dem Kamera versammelt hat: Christian Tramitz (Bullyparade, Der Schuh des Manitu, (T)Raumschiff Surprise) und die aus zahlreichen Fernsehfilmen bekannte Christine Neubauer sowie den gleichermaßen vor allem durch TV-Filme bekannten Heio von Stetten hätte man hier ebenso wenig vermutet wie Konstantin Wecker, der neben einer Rolle als Altpfarrer auch noch die Musik zum Film geschrieben und eingespielt hat. Vielleicht liegt es ja daran, dass der Film insgesamt trotz aller Drastik insgesamt die Anmutung einer reinen Fernsehproduktion hat. Selten befreien sich die Bilder aus der Enge der Szenerie, öffnen sich und gewinnen an Tiefe und Weite. Das mag einerseits gut zur Darstellung der provinziellen Enge des Dorflebens in der bayrischen Provinz passen, andererseits zeigt sich in Filmen wie jenen von Marcus H. Rosenmüller, dass Kinotauglichkeit und Stoffe mit klarer regionaler Zuordnung durchaus keine unüberwindbaren Antipoden sind.

Hundswut (2024)

In einem kleinen Dorf in Bayern im Jahre 1932 werden vier Jugendliche bestialisch ermordet. Um die Dor_ ewohner zu beruhigen, schiebt der Gemeinderat die Tat einem tollwütigen Wolf zu. Nachdem die Gerüchte lauter werden, der Mörder müsse ein Mensch oder gar ein Werwolf sein, wird Joseph Köhler, der als Einsiedler verschrien ist und mit seiner Tochter Mitzi allein am Waldrand lebt, als Täter verhaftet.Da er sich weigert, die Taten zu gestehen, schlägt die Stimmung im Gemeinderat immer mehr um, bis die Männer auch vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken. Die Frauen des Dorfes unternehmen einen letzten verzweifelten Versuch, gegen den Wahn, der die eigentlich vernünftigen Dorfbewohner erfasst hat, vorzugehen.

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Meinungen

Alois Röhrmoser · 14.03.2024

Ich habe gestern den Film angeschaut, in Passau.
Mir hat er sehr gut gefallen, Dialekt, gerade und ehrlich gespielt. Der Film hat mich verstärkt zum Nachdenken gebracht, über die Rolle des Einzelnen und die Roller der Mehrheit. Was kann passieren, wenn sich die Mehrheit in etwas hineinmanövriert, dringend einen Schuldigen braucht und wie dann aus normalen guten Menschen eine unbeherrschbare und eine unbekehrbare und eine nicht mehr zurück könnende Welle wird. Das ist der Mainstream. Und was passiert, wenn man aus irgendeinen Grund dann ins Visier der Masse kommt.

Max Riedl · 26.03.2024

Wie immer liegt es letztendlich im Auge des Betrachters, was und wie man es sieht. Wenn man bedenkt, das der Film 2 Stunden dauert und nur ein offenes Ende anbietet, ist es halt vertane Zeit. Da er im Low-Budget Level gedreht wurde, ist es unvermeidbar, das er teilweise ins Kammerspiel abrutscht. Man sieht und spürt förmlich das Bemühen der (top) Schauspieler, Atmosphäre ins Spiel zu bringen. Da der Film angeblich im tiefsten Niederbayern spielt, ist die Aussprache bzw. der Dialekt sehr fehlerhaft. Dialoge wie z.b. " hab keinen bock drauf" hat 1930 nix verloren. Im grossen und ganzen schade, da wär mehr Potenzial drin gewesen.

TeeWee · 12.04.2024

Nun ja, Herr Riedl. Ein offenes Ende hat nichts mit einer Filmlänge zu tun. Film (und Kunst generell) sollte überhaupt zum Nachdenken anregen und die meisten Filmgucker sind verblendet von KEINEN offenen, sondern starren Enden. Oder finden Sie Nachdenken über Gesehenes vertane Zeit? Das wäre sehr bedauerlich. Und vielleicht wollte der Film eine kammerspielartige Weise beinhalten. Das ist kein grds. Manko (auch GOTT DES GEMETZELS ist ein Kammerspiel, noch dazu mit offenen Ende). Zu guter Letzt, was man in den 1930er Jahren gesagt hat und was der Film zeigt bzw. man hört, sind zwei Paar Schuhe. Es ist ja eine dramaturgische Aufbereitung und keine Dokumentation.
Aber wie Sie schon richtig vermuten, es liegt im Auge und Ohr des Kinogängers, daher sollte jeden diesen Film anschauen.

Max Riedl · 18.04.2024

Oh mein Gott, Gott des G. Ist ja eher eine rabenschwarze Komödie und von Haus aus als Kammerspiel angelegt.