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Eva Trobisch porträtiert in ihrem verstörend unaufgeregten Drama den Alltag einer Palliativpflegerin. Wo ist Platz für die Gefühle?

Ivo (2024)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Arbeit am Übergang

Eva Trobisch rüttelt an einem weiteren Tabuthema. Nachdem ihr Langfilmdebüt „Alles ist gut“ die Frage nach einer Form der Normalität nach einer Vergewaltigung stellte, handelt das Nachfolgeprojekt vom großen Abschied, dem unausweichlichen Ende. Ivo wagt es, dem Sterben seine Sensation und Plötzlichkeit, das Besondere zu rauben, nach dem viele Filme so hitzig suchen. Stattdessen legt sich Trobischs Drama mit bleierner Schwere über einen, weil es sein Publikum damit konfrontiert, wie es sich anfühlen muss, wenn der Tod zum ganz normalen Alltag und Beruf gehört.

Minna Wündrich spielt dabei eine Frau im Schutzpanzer. Wenig scheint sie aus der Ruhe bringen zu können. Nur vereinzelt brechen Frust und verdrängte Traurigkeit aus ihr heraus, die sie sonst unter ihrer professionellen Fassade verbirgt. Etwa, als sie den Befehlston und die Schikane ihres Patienten gegenüber dessen Frau nicht länger erträgt. Nur: Die Beleidigte stellt sich auf die Seite des Täters. Zwischen der emanzipierten Ivo und den konservativen Rollenmustern einiger Beziehungen und Familien, die sie besucht, tun sich Welten auf.

Ivo ist Palliativpflegerin, die von Haus zu Haus zieht, um diejenigen, die es sich leisten können, in ihren letzten Tagen, Wochen und Monaten zu begleiten. Sie prüft die Körper, misst Vitalwerte in Phasen des Übergangs, in denen der Tod noch nicht eingetreten ist, aber von einem Leben nur bedingt die Rede sein kann. Beim Team-Meeting mit ihren Kollegen ist das Dahinscheiden nur eine Ansammlung von Arbeitsaufträgen und Namen. Eine ganze Liste wird dort verlesen, wer die letzte Woche alles nicht überlebt hat.

Verstörend ist Trobischs Film, weil er solche Szenen in eine irritierende Gewöhnlichkeit und Gleichförmigkeit überführt. Gerade hat man noch über das Sterben und schwere Erkrankungen gesprochen. Kurz darauf feiert das Kollegium bei einem Geburtstagsempfang. Dann geht es wieder zurück an die Arbeit. Für Trauer bleibt im Grunde keine Zeit. Ivo hat sich daran gewöhnt, mit dem bezeugten Verlust umzugehen, wenngleich dieses dicht erzählte Drama immer wieder nach winzigen Brüchen sucht, die Minna Wündrich mit ihrem kontrollierten, feinfühligen Spiel auf packende Weise nach außen projiziert.

Brenzlig wird es für Ivo, als die Pflegerin mit dem drohenden Tod ihrer Freundin Solveigh (Pia Hierzegger) konfrontiert wird, mit deren Partner sie obendrein eine Affäre hat. Ihr Vorgesetzter warnt sie noch, Freunde und Verwandte als Patienten anzunehmen. Doch auch in diesem Konflikt umschifft Eva Trobisch große melodramatische Gesten oder ausgeschlachtete Emotionen. Streitigkeiten und Gefühlsausbrüche flackern meist nur in Auszügen auf oder werden hinter verschlossenen oder vorgeschobenen Türen und Fenstern ausgetragen. Immer wieder lässt die Regisseurin ihre Figuren an den Rand des Kontrollverlustes treten, um dann über klug gesetzte Leerstellen ihre Rückkehr in den gewohnten Lauf der Dinge zu zeigen.

Nützt ja nichts! Die Trauer wird vom Vergehen der Zeit davongerissen, auch wenn die Welt zunächst stillzustehen scheint. Die emotionale Last, die Ivo nur zaghaft aus den Charakteren zutage fördert, hat sich derweil von Beginn an in die Ästhetik des Films eingeschrieben. Ihre grobkörnigen, bleichen Bilder lassen Farben selten strahlen und die Dunkelheit umso drückender erscheinen.

Wenn in dieser Trübnis beispielsweise das Thema Sterbehilfe berührt wird, gekoppelt an Ivos Verantwortung, dann werden gewisse Fäden vielleicht ein wenig zu schnell durchtrennt. Zumal der Film in solchen Momenten die Eindringlichkeit eines formal noch radikaleren Projekts wie Jessica Krummachers Zum Tod meiner Mutter vermissen lässt, an das Ivo bisweilen erinnert. Trobisch setzt jedoch ohnehin andere Schwerpunkte und wählt bewusst das Ausfransende ihrer Beobachtungen und Themen. Seien es familiäre Probleme, Partnersuche oder Konflikte im Job: Die Herausforderung im Privaten und Geschäftlichen, mit denen die Hauptfigur auf sich allein gestellt ist, sind so angehäuft, überlagert und subtil miteinander verflochten, dass es Kopfzerbrechen bereitet, an welchem Krisenherd zuerst gearbeitet werden sollte.

Man hat kaum Zeit beim Sehen, sich irgendwo festzuhalten, länger zu verweilen, da mit jeder Minute Schicht um Schicht neu aufgetragen wird. Indem Trobisch auf ein unaufgeregtes, unsentimentales Dokumentieren eines Alltags und seiner Routinen setzt, versprüht Ivo durchaus etwas Sprödes, abgebrüht Observierendes. Gerade sein unvermitteltes, offenes Ende will man zunächst kaum glauben. Doch der Film fordert sein Publikum damit angemessen heraus. Seine von Höhepunkten und Spannungskurven befreite Form verlangt, genauer hinzusehen, auf die kleinen Nuancen und Andeutungen als Diskursangebot zu achten. Sie münden in nichts Geringerem als der Furcht vor dem Autonomieverlust und den eigenen Gefühlen in einer Gesellschaft, die ihre Einzelkämpfer zu Disziplin, Kalkulation und Fassung erzieht. 

Gesehen auf der Berlinale 2024.

 

 

 

 

Ivo (2024)

Ivo arbeitet als ambulante Palliativpflegerin. Täglich fährt sie zu Familien, Eheleuten und Alleinstehenden. In kleine Wohnungen und in große Häuser. In immer verschiedenes Leben und Sterben. In immer verschiedenen Umgang mit der Zeit, die bleibt. Zu Hause hat sich ihre pubertierende Tochter längst selbstständig gemacht. Von früh bis spät ist Ivo in ihrem alten Skoda unterwegs, den sie zu ihrem persönlichen Lebensraum gemacht hat. Hier nimmt sie ihre Mahlzeiten zu sich, arbeitet, singt, flucht und träumt sie. Eine ihrer Patientinnen, Solveigh, ist zu einer engen Freundin geworden. Auch zu Solveighs Mann Franz hat Ivo eine Beziehung geknüpft. Tag für Tag arbeiten sie bei der Pflege von Solveigh zusammen. Und sie schlafen miteinander. Solveighs Kräfte schwinden, bald ist sie bei den einfachsten Verrichtungen auf Unterstützung angewiesen. Die letzte Entscheidung will sie alleine treffen. Ivo soll ihr beim Sterben helfen. (Quelle: Berlinale)

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