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Eine Patchworkfamilie verliert sich in einem Hotel in den Alpen in einem Strudel aus Wahnsinn und Tod, hinter der eine fremdartige Spezies und deren menschliche Beschützer stecken.

Cuckoo (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dunkle Schatten im Paradies

Eine Patchwork-Familie auf dem Weg ins vermeintliche Paradies: Die 17-jährige Gretchen (Hunter Schafer) befindet sich mit ihrem leiblichen Vater Luis (Marton Coskas), dessen neuer Frau und der kleinen stummen Halbschwester Alma (Mila Lieu) auf dem Weg in die Alpen, wo für sie alle ein neuer Lebensabschnitt beginnen soll. Hier wollen die Eltern eine Ferienanlage umbauen — und Gretchen, die bisher bei ihrer gerade erst verstorbenen Mutter in den USA lebte, näher an die Familie heranführen.

 

Doch bereits der Name der Anlage „Resort Alpenschatten“ lässt bereits erahnen, dass dieses Paradies keines ist, dass ein dunkler Schatten über der bayrischen Idylle liegt. Was ist mit den Frauen, die sich ständig überall übergeben müssen ohne äußeren Anlass? Und warum ist der schwerreiche Besitzer der Anlage Herr König (Dan Stevens) so überaus besorgt, dass Gretchen nach Einbruch der Dunkelheit noch alleine unterwegs sein könnte? Was bedeuten die grellen Schreie, die alle Menschen zu hypnotisieren scheinen und die merkwürdige loops auslösen, in denen sich die gerade zurückliegenden Geschehnisse stets aufs Neue wiederholen? Und zuletzt: Wer ist die Frau im Trenchcoat mit den unheimlichen rotglühenden Augen, von der die Schreie auszugehen scheinen? Fragen über Fragen, die den Film immer mehr eskalieren lassen.

Es ist eine merkwürdige Zwischenwelt, die Tilman Singer in Cuckoo entwirft: Das hinreißende Resort stammt ebenso wie die Autos, die die Menschen hier mit größter Selbstverständlichkeit fahren, aus den 1960er und 1970er Jahren, statt Mobiltelefonen klingeln hier noch altmodisch-schwere Fernsprechapparate, die Klamotten wirken ebenfalls völlig aus der Zeit gefallen und an einer Stelle erklingt ein Schlager aus der Hochzeit des Italopop, der gerade in seiner unbeschwerten Fröhlichkeit als harscher Kontrast zum Geschehen auf der Leinwand als überaus passend erscheint.

Überhaupt Italien: Tilman Singers Film verweist immer wieder auf das Subgenre des Giallo, manche Sequenzen sind von so leuchtender Strahlkraft und exaltiertem Stilwillen, dass es eine helle Freude ist und man überdeutlich sieht, welch Begeisterung und visuelle Begabung dieser noch junge Regisseur, der hier gerade erst seinen zweiten Langfilm präsentiert, zu bieten hat.

Das  fröhliche Fabulieren, das sich immer wieder fast satirische Beobachtungen erlaubt, und der wilde Exzess, der vor allem am Ende des Films völlig freidreht, sind nicht das Problem dieses wilden Ritts, der neben den italienischen Vorbildern durchaus auch an Horror-Experimente wie Andrzej Żuławskis Possession erinnert, ohne die Vorbilder plump nachzuahmen.

Schwierig ist vielmehr die schiere Überfülle an Ideen, die vielen losen Fäden und Enden, die der Film aufgreift und wieder fallenlässt und dabei etliche spannende Subplots auf Kosten der nächsten Überraschung ins Leere laufen lässt. Allein die Geschichte der beiden einander fremden Schwestern, die sich im Laufe der Geschichte annähern müssen und bei diesem schwierigen Prozess zudem wegen Almas Unfähigkeit (oder ist es Unwillen?) zu sprechen neue Wege der Kommunikation für sich finden müssen, hätte sicherlich einiges an Potenzial zur Spannungserzeugung gehabt.

Doch so recht mag sich die surreale Welt, die der Film entwirft, nicht zu einem organischen Ganzen zusammenfügen, haken die zahlreichen Ideen und passen nicht richtig ineinander, sind selbst die Gesetzmäßigkeiten und Wirkzusammenhänge der alternativen Realität, die Cuckoo entfaltet, nicht sonderlich plausibel, und selbst innerhalb ihrer eigenen Logik recht verworren. Aber auch das ist ja durchaus ein Charakteristikum, das sich auch bei vielen Gialli wiederfindet.

Dennoch: Mit Cuckoo und dessen Vorgänger Luz zeigt sich eine neue wilde und kühne Frische im deutschen Genrekino, von der man sich noch einiges erwarten darf. Das Talent ist ohne jeden Zweifel vorhanden.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Cuckoo (2024)

Gretchen reist mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in die deutschen Alpen. In dem Ferienort stößt sie auf dunkle Geheimnisse. Sie hört seltsame Geräusche und wird von beängstigenden Visionen geplagt, in denen sie von einer Frau verfolgt wird. Gretchen wird in eine Verschwörung hineingezogen. Darin geht es um die bizarren Experimente des Eigentümers des Resorts, deren Vorgeschichte Generationen zurückreicht … (Quelle: Berlinale)

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