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In Christopher Dolls Buchverfilmung „Eine Million Minuten“ lassen sich Tom Schilling und Karoline Herfurth als Ehepaar mit zwei Kindern auf ein knapp zweijähriges Experiment ein.

Eine Million Minuten (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Keine Hastig!“

Mit seinen 2016 veröffentlichten Memoiren Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden landete der ehemalige UN-Mitarbeiter Wolf Küper einen Bestseller. Er erzählt darin, wie er mit seiner Frau und den gemeinsamen zwei Kindern eine 694-tägige Weltreise antrat, um (auf Wunsch der kleinen Tochter) für die titelgebende Anzahl von Minuten nur noch Zeit „für die ganz schönen Sachen“ zu haben. Der bis dato vor allem als Produzent aktive Christopher Doll hat das Werk nun mit vier weiteren Drehbuchautor:innen für die Leinwand adaptiert und mit seiner Ehefrau Karoline Herfurth und Tom Schilling in den Hauptrollen in Szene gesetzt.

Die literarische Vorlage wird vom Verlag als „ein Märchen aus dem Deutschland der Gegenwart“ beschrieben – und muss sich, ebenso wie der Film, den Einwand gefallen lassen, dass die geschilderten Erfahrungen nur aus einer privilegierten Position heraus möglich sind. Wolf, der als Biodiversitätsforscher bei der UN arbeitet, und Vera, die halbtags als Bauingenieurin im Homeoffice tätig ist und die Haushalts- und Care-Arbeit für die fünfjährige Nina (Pola Friedrichs) und den einjährigen Simon (Piet Levi Busch) übernommen hat, kündigen nach ausgiebiger Entrümpelung ihre Berliner Wohnung und greifen auf ihr Erspartes zurück, um sich mehrmonatige Trips nach Thailand und Island leisten zu können. Der Plan des Paares ist es, dass beide von unterwegs aus online in Schichten abwechselnd arbeiten – und so genug Zeit bleibt, um sich insbesondere Nina widmen zu können, die laut diverser Ärzt:innen eine Entwicklungs- und Bewegungsstörung zu haben scheint.

Dass Eine Million Minuten nicht zum realitätsfernen Projekt einer mit Privilegien ausgestatteten Familie wird, ist in erster Linie dem einfühlsamen Spiel von Herfurth und Schilling zu verdanken. Der Film beginnt in medias res, weshalb das Duo etliche berufliche und private Konflikte in erklärenden Dialogen unterbringen muss. Es gelingt den beiden dabei, die mentalen Verfassungen und die Standpunkte ihrer Figuren glaubhaft zu vermitteln. So wird deutlich, dass Wolf seinen Einsatz für den Klimaschutz sehr ernst nimmt (und die Zeit mit seiner Familie nicht einfach einem egozentrischen Karrierestreben opfert); aber auch Veras Frustration darüber, ihre Ziele im Beruf ganz selbstverständlich den Anliegen ihres Mannes unterordnen zu müssen, ist absolut nachvollziehbar. Über allem schwebt zudem die Sorge um Nina.

Der Versuch, eine angemessene Work-Life-Balance zu erreichen, und das Hadern mit Rollenmustern wird nicht unbedingt im sozialrealistischen Stil gezeigt; in einigen Momenten schafft es das Werk jedoch, überzeugende Beobachtungen einzufangen. Dies fängt bereits bei den Reaktionen auf das Vorhaben der Küpers an: Wolfs Chefin Claudia (Anneke Kim Sarnau) hält die Sache für eine „Scheißidee“, und auch Wolfs Vater Werner (Joachim Król) ist äußerst skeptisch. Wenn die Familie in Thailand angekommen ist, werden dort zwar durchaus pittoreske (teilweise klischeehafte) Kulissen erfasst; rasch müssen Wolf, Vera und Nina indes erkennen, dass ein Ortswechsel nicht automatisch sämtliche Stressfaktoren vergessen lässt.

Eine Million Minuten spricht wichtige Themen an – von der Angst, das Leben zu verpassen, über das Gefühl, vom Gegenüber kaum wahrgenommen zu werden, bis hin zum Erwartungsdruck, der etwa durch die Eltern, das Arbeitsumfeld oder die eigenen Vorstellungen entsteht. Im Endeffekt will der Film erbauliche Unterhaltung bieten; eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Lebens- und Arbeitsmodellen zu erwarten, wäre hier der falsche Ansatz. Als Geschichte über eine Familie, die ihr persönliches Glück sucht, vermag die Bestseller-Adaption zu funktionieren, allein schon deshalb, weil es Spaß macht, Herfurth und Schilling bei der emotionalen Interaktion zuzuschauen.

 

Eine Million Minuten (2024)

Eigentlich weiß es jeder: die wirklich wichtigen Dinge stehen auf den blöden To-Do-Listen nicht drauf. Aber warum eigentlich nicht? – Von außen betrachtet führen Vera und Wolf Küper mit ihren beiden Kindern Nina und deren einjährigen Bruder Simon ein Traumleben: eine schöne Wohnung in Berlin, er macht als Biodiversitätsforscher Karriere bei der UN, sie hat neben Haushalt und Kindern noch einen Job als Bau-Ingenieurin mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Doch bei genauerem Hinsehen sieht es ganz anders aus: die Ehe kriselt und beide sind, wie die meisten Paare, in dem unglücklichen Dilemma beim Jonglieren des Alltages das Gefühl zu haben, dem Leben vorn und hinten nicht mehr gerecht zu werden. Als bei Nina eine Entwicklungsverzögerung diagnostiziert wird, ist Wolf und Vera klar, dass sich spätestens nun etwas grundlegend ändern muss. Eines Abends beim Zubettgehen sagt Nina auf einmal: „Ach, Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz schönen Sachen, weißt du?“ 

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Meinungen

Test · 11.03.2024
TEST Kommentar
Krall · 06.02.2024

EINE MILLION MINUTEN ist der besten Deutschen Film den ich im Kino gesehen habe. Danke