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Mit einem federleichten und doch packenden Drama nach einer wahren Geschichte verabschiedet sich der 90-jährige Michael Caine in den Ruhestand.

In voller Blüte (2023)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Ein Abschied auf dem Höhepunkt

Vor unglaublichen 73 Jahren drehte Michael Caine mit „Morning Departure“ seinen ersten Film – auch wenn er noch nicht im Abspann erwähnt wurde. Nun tritt er ab und macht dabei dem deutschen Titel des Films alle Ehre: „In voller Blüte“ beschreibt sehr gut, dass Caines schauspielerische Fähigkeiten nie nachgelassen haben. Dennoch empfand Caine diesen Film, für den er ausnahmslos gute Kritiken bekam, als würdigen Abgang von der großen Bühne. Der britische Weltstar ist nun offiziell Rentner – sein Werk wird bleiben. Und tatsächlich hat sich der 90-Jährige eine starke Rolle ausgesucht, um sich von seinen Fans zu verabschieden.

Eine wahre Geschichte: 2014 möchte der 89-jährige Bernard „Bernie“ Jordan als Veteran der britischen Armee gern an den Feierlichkeiten zum 70. Jubiläum des D-Day, des Startschusses der Befreiung Europas von den Nazis, teilnehmen. Doch das Seniorenheim, im dem er gemeinsam mit seiner gebrechlichen Frau Irene (Glenda Jackson) lebt, hat ihn nicht rechtzeitig angemeldet, es gibt keine freien Plätze mehr. Ermutigt durch seine Frau macht sich Bernie dennoch auf den Weg nach Frankreich: Er schleicht sich früh morgens aus dem Haus und fährt mit dem Bus nach Dover. Auf der Fähre nach Calais lernt er mit Arthur (John Standing) nicht nur einen weiteren Veteranen kennen, sondern auch einen Freund in der Not. Denn Arthur hat nicht nur eine Eintrittskarte übrig, sondern auch ein Bett. Für Bernie wird seine Reise zu einem bittersüßen Trip in die Vergangenheit. Zuhause wird der rüstige Rentner durch seine Flucht derweil bald zum Medienereignis. Er selbst bekommt allerdings gar nicht mit, dass die englischen Zeitungen ihn als großen Ausbrecher aus dem Heim feiern.

Bernie ist ein liebenswerter und freundlicher älterer Herr, der wegen seiner großen und langjährigen Liebe Irene mit ins Heim zog, obwohl er eigentlich noch allein zurechtkäme. Diese stete Freundlichkeit und Zurückhaltung des Charakters braucht einen großen Schauspieler, der dennoch Nuancen darin setzen und so dem Publikum tatsächliches Gefühlsleben offenbaren kann. Und Michael Caine ist ein solcher Schauspieler, weshalb In voller Blüte auch so beeindruckend anzusehen ist. Ein flüchtiger Blick, eine etwas schnellere Kopfbewegung – mehr braucht Caine nicht, um Bernie auf der Leinwand lebendig werden zu lassen. Hier zeigt sich seine immense Erfahrung, die sich mit Glenda Jackson, zweifache Oscar-Gewinnerin in den Siebzigerjahren und eine Ikone des britischen Films, sogar verdoppelt. Denn auch die im Sommer verstorbene Jackson zeigt hier nochmal ihr Können auf einem Niveau, das dem Publikum den emotionalen Zugang zu den Figuren sehr leicht macht.

Zwar kann Regisseur Oliver Parker gelegentliche Anflüge von Kitsch nicht gänzlich vermeiden, wenn etwa in Rückblenden das junge Paar bei Sonnenaufgang die Liebe entdeckt. Weil die wahre Geschichte von Bernie das Geschehen beherrscht, sind solche Momente aber sehr selten. Meist geht es doch um die Erinnerungen an den Krieg und die Menschen, die Bernie damals kannte oder kennenlernte. Und dort hat In voller Blüte auch seine stärksten Momente. Wenn Bernie und Arthur etwa in einem französischen Bistro auf eine Gruppe deutscher Veteranen treffen. Oder der 89-Jährige auf einem Friedhof voller britischer Soldaten in einem Satz alles zusammenfasst, was wichtig ist. Mehr braucht es nicht, um die klare Botschaft des Films zu vermitteln. 

Die vielleicht spannendste Aussage des Films ist aber nicht die, dass der Krieg eine furchtbare Sache ist, ganz so flach verabschiedet sich ein Michael Caine nicht von seinem Publikum. Parkers Film, in dessen Zentrum Caine steht, zeigt stattdessen in vielen kleinen Momente auf, dass Geschichte aus Geschichten besteht, denn jeder der Veteranen hat seine eigene Story, seine eigenen Erinnerungen und seine eigenen Dämonen, die er entweder befriedet hat oder noch immer bekämpft. Abgeschlossen hat aber keiner mit der Vergangenheit, deshalb sind so viele an den Strand in der Normandie gekommen. Nicht jeder wird sein Ziel erreichen. Parker gelingt es, die durchaus gewichtige Botschaft seines Film so leicht zu transportieren, dass In voller Blüte dennoch ein Film bleibt, der zwar Melancholie aufweist, aber keine Bitterkeit oder Trübsinn verbreitet. Und er zeigt, welch starke Geschichten das Leben schreibt, denn das Wissen darum, dass es Bernies Abenteuer wirklich gegeben hat, verstärkt die emotionale Anteilnahme an seinem Schicksal deutlich.

Es ist ein würdiger Abgang für Michael Caine, der die Gunst der euphorischen Kritiken nutzte und In voller Blüte als Vermächtnis wählte. Wer sich diesen Film im Kino ansieht, wird feststellen, dass es eine gute Wahl war.

In voller Blüte (2023)

Im Sommer 2014 sorgte Bernard Jordan (Michael Caine) unverhofft weltweit für Schlagzeilen. Er verließ auf eigene Faust sein Pflegeheim, um sich mit anderen Veteranen an einem Strand in der Normandie zu treffen und ihrer gefallenen Kameraden am 70. Jahrestag der Landung der Alliierten zu gedenken…

Es war ein Abenteuer, das die Fantasie von Menschen in aller Welt beflügelte. Bernie verkörpert den eigensinnigen Geist und Tatendrang einer Generation, die im Verschwinden begriffen ist. Aber das ist natürlich nicht die ganze Geschichte. Es ist die inspirierende Erzählung eines Veteranen, der sich gegen Ende seines Lebens mit seinem bestehenden Kriegstrauma arrangieren muss. Und es ist die Geschichte der 60 Jahre währenden Liebe zu seiner Ehefrau Rene (Glenda Jackson).

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