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Mit „Delia’s Gone“ liefert Robert Budreau eine Mischung aus charakterbasiertem Drama, Krimi und Thriller, die vor allem als Schauspielkino beeindruckt.

Delia’s Gone (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Vom Suchen (und Finden) der Wahrheit

Nachdem sich der kanadische Drehbuchautor und Regisseur Robert Budreau, Jahrgang 1974, zweimal – im Biopic „Born to Be Blue“ (2015) und im Kriminaldrama „Die Stockholm Story – Geliebte Geisel“ (2018) – mit wahren Begebenheiten befasst hat, hat er für seinen dritten Langfilm „Delia’s Gone“ die Kurzgeschichte „Caged Bird Sing“ von Michael Hamblin adaptiert. Was seine Werke, unabhängig vom Thema, verbindet, ist die gute Zusammenarbeit mit seinem Ensemble. Während Budreau bisher etwa Ethan Hawke und Noomi Rapace zu eindrücklichen Leistungen brachte, ist es hier das Quartett Stephan James („Beale Street“), Marisa Tomei, Paul Walter Hauser („Der Fall Richard Jewell“) und Travis Fimmel, das in jeder Szene mit starkem Spiel zu überzeugen vermag.

Delia’s Gone ist ein Film, der ganz von seinen Figuren und deren Interpretationen lebt. Wir lernen zunächst das Geschwisterpaar Louis (James) und Delia (Genelle Williams) kennen, das sich tief im ländlichen Ohio durchzuschlagen versucht. Seit Louis in der Kindheit bei einem Unfall im Fluss ein schweres Gehirntrauma davongetragen hat, ist er auf Delias Hilfe angewiesen. Doch nun muss seine Schwester die Stadt verlassen. Louis ist wütend, er betrinkt sich, während Delia unterwegs ist – und am nächsten Morgen liegt Delia tot auf dem Boden des gemeinsamen Hauses. Sheriff Francine Cole (Tomei) und Deputy Bo Walton (Hauser) eilen herbei; schon bald darauf wird Louis zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

An dieser Stelle kommt es zu einem mehrjährigen Zeitsprung. Louis ist inzwischen in einer Nervenheilanstalt untergebracht und erhält eines Tages Besuch von Francines Bruder Stacker (Fimmel), der sich nach eigener Aussage zu Gott bekannt hat. Als Stacker andeutet, dass mehr hinter dem Tod von Delia steckt, hat Louis nur noch ein Ziel: Er will die Wahrheit herausfinden.

Der Film wird im weiteren Verlauf nicht zu einem Rache- und Vergeltungsreißer, sondern bleibt in erster Linie ein Charakterdrama mit Krimi-, Thriller-, Neo-Western- und Roadmovie-Elementen. Während der Score von David Braid zuweilen etwas zu sehr auf Genrekonventionen setzt, erzeugen die Bilder des Kameramanns Steve Cosens eine stimmige Atmosphäre in karger Landschaft. Stephan James spielt Louis mit dem nötigen Feingefühl, zwischen Introversion und plötzlichen emotionalen Eruptionen. Ebenso verleiht Travis Fimmel seiner Figur zahlreiche Nuancen: Der Wandel, den Stacker durchlaufen hat, vom orientierungslosen Alkoholiker zum streng Gläubigen, wird nur angerissen – und doch ist hier ein gelebtes Leben mit etlichen Tiefschlägen zu spüren. In 90 Minuten eröffnet Delia’s Gone einen Kosmos, von dem wir ahnen, dass er zahllose Abgründe hat.

Die größte Sensation des Films sind indes Marisa Tomei und Paul Walter Hauser. Ungleiche Cop-Duos mit einem komplizierten Verhältnis zueinander sind in der Kino- und Serienwelt wahrlich keine Seltenheit. Die Dynamik zwischen Francine und Bo ist dennoch bemerkenswert. Treten die beiden anfangs als Sheriff und Deputy auf, sind die Zuständigkeiten nach dem Zeitsprung anders verteilt: Nun ist Bo Sheriff der Stadt, während Francine bei der Bundespolizei ist, sich aber trotzdem weiterhin in den Fall einmischt. Dies führt nicht nur zu erwartbaren Wortgefechten, sondern sorgt immer wieder für Irritationen, die eher zwischen den Zeilen stattfinden. Hauser, der vor allem durch seinen prägnanten Nebenpart in I, Tonya (2017) zum Charakterdarsteller avancierte, und die großartige, bis heute (trotz Oscar-Sieg im Jahre 1993 und zwei weiteren Nominierungen) sträflich unterschätzte Marisa Tomei entwickeln eine eigentümliche Chemie, die bis zuletzt ein Faszinosum ist.

Der Crime-Plot kommt in Delia’s Gone zu einem runden Abschluss – und zugleich lässt der Film keinen Zweifel daran, dass überall in dieser Welt Ecken und Kanten bleiben, die sich nicht einfach glätten, sich niemals beheben lassen.

Delia’s Gone (2022)

Als ein Mann mit einer geistigen Behinderung des Mordes an seiner Schwester beschuldigt wird, begibt er sich auf eine Reise, um seinen Namen reinzuwaschen und herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist.

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