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Drei Frauen mit kurdischen Wurzeln, aus verschiedenen Generationen, sprechen über Themen wie Heimat und Identität. Sie leben alle in Berlin und haben einen eigenen Blick auf die politischen Entwicklungen in der Türkei. Serpil Turhan lässt sie in ihrem Film zu Wort kommen.

Köy (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Drei Kurdinnen in Berlin

Die kurdischstämmige Berliner Regisseurin Serpil Turhan geht in ihrem Dokumentarfilm dem Konzept Heimat nach. Indem sie den Gedanken, Wünschen und Realitäten ihrer drei Protagonistinnen folgt, wird es für sie möglich, Erkenntnisse über ihr eigenes Leben zu finden. Auch wenn Turhan also nicht direkt im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, ist es auch ihre Geschichte, die hier erzählt wird. Zudem ist eine der Frauen, die im Film vorkommen, ihre Großmutter „Neno“, die zwar ein ganz anderes Leben geführt hat als Turhan selbst, aber dennoch einen entscheidenen Einfluss auf das der Regisseurin gehabt hat.

Entstanden ist der Film als Kondensat der Gespräche, die Turhan über drei Jahre hinweg mit drei Frauen verschiedener Generationen geführt hat. Jede von ihnen hat einen anderen Blick auf Kurdistan und lebt ihre Kultur auf andere Weise. Mit den politischen Entwicklungen in der Türkei setzen sich alle auseinander, jede von ihnen finden einen eigenen Umgang damit. Während Neno sagt, dass sie sich als Kurdin, aber auch gleichzeitig als Türkin sieht, engagiert sich Hêvîn aktiv für politische Aufklärung und Saniye wünscht sich, vor Ort der kurdischen Gemeinschaft beizustehen.

Neno ist, wie bereits erwähnt, die Großmutter der Regisseurin. Diese ältere, sehr intelligente Frau beeindruckt einen am meisten von allen Protagonistinnen. Man erkennt an ihrer ruhigen, besonnen Art, dass sie ein bewegtes, schwieriges Leben gehabt haben muss. Ein wenig davon erfahrt man im Laufe des Films auch. Neno hat elf Kinder geboren, das erste kam, als sie 16 Jahre alt war. Drei Jahre zuvor wurde sie an ihren Mann verheiratet. In den 1970er Jahren kam dieser als Gastarbeiter nach Deutschland und im Anschluss auch der Rest der Familie. In Nenos Augen glaubt man, ein Feuer zu sehen, das ihrem Kampfgeist entspricht.

Kämpferisch gibt sich auch die junge Hêvîn, die in Berlin-Kreuzberg geboren und aufgewachsen ist. Ungefähr im gleichen Alter wie Neno, als diese zum ersten Mal Mutter wurde, hat Hêvîn begonnen, als politische Aktivistin tätig zu werden. In die Türkei einzureisen würde für sie bedeuten, sich der Gefahr auszusetzen, verhaftet zu werden. In der Zwischenzeit hat sie die Schauspielerei für sich entdeckt und bereits erste Erfolge verbucht, da sie ein Engagement an der Schaubühne ergattern konnte.

Zwischen den beiden Frauen befindet sich altersmäßig Saniye, die sich, nachdem sie mehrere Jahre im Ausland gelebt hat, in Berlin ein Café eröffnete. Saniye hat lange unter der Strenge ihrer Eltern gelitten. Diese haben es ihr auch nicht besonders einfach gemacht, sich mit ihrer eigenen Herkunft auseinanderzusetzen. Erst als Jugendliche erfuhr sie, dass sie eigentlich Kurdin ist und was überhaupt der Unterschied zwischen Türkisch- und Kurdischsein bedeutet.

Köy, das sich mit „Ort“ übersetzen lässt, ist ein einprägsamer Titel für Turhans Film. Alle Beteiligten, die Regisseurin inbegriffen, sind auf der Suche nach einem physischen sowie emotionalen Ort, an dem sie sicher sein können. Rein physisch bietet ihnen das Berlin weitgehend. Für Turhan ist der Aspekt, dass im Film Personen zu Wort kommen, die auf ihre Art von der Diaspora aus einen Blick von außen auf ihre kurdische Heimat werfen, entscheidend. Damit spricht sie über die kurdische Gemeinschaft hinaus sehr viele Menschen an, die aus verschiedenen Kulturen stammen und Migration kennen.

Formal überzeugt Köy durch den Verzicht auf pathetische, sentimentale Wendungen und Zuspitzungen. Manchmal geht Turhan besonders präzise vor und liefert Erklärungen und Hintergründe, manchmal bleibt sie bewusst lakonisch. An sich nutzt Turhan eine reduzierte Ästhetik, ist mit ihrer Kamera nahe an den Figuren, die sie meist im Interviewstil befragt und dadurch direkt mit dem Zuschauer in einen Austausch bringt. Die Bilder wechseln regelmäßig von der einen zur anderen Frau, sodass an sich eine recht dynamische Struktur entsteht. Eine zeitliche Entwicklung lässt sich auch nachvollziehen. Man hätte allerdings insgesamt etwas verdichten können, da stellenweise die Argumentation wiederholend wirkt. Eine Fortsetzung würde sich allerdings in Bezug auf Saniye, die am Ende des Films tatsächlich in ihr Heimatdorf in die Türkei gefahren ist, anbieten.

Köy (2021)

Neno, Saniye und Hêvîn sind Kurdinnen aus drei Generationen. Neno ist die Großmutter der Regisseurin. Sie ist Mutter von elf Kindern und pendelt zwischen Deutschland und der Türkei. Das politische Geschehen in der Heimat verfolgt sie mit einer klaren Haltung. Saniye betreibt ein kleines Kiez-Café in Berlin und träumt davon, eines Tages in ihrem Geburtsort in der Türkei zu leben. Sie erkennt, dass sie bereit sein muss Risiken einzugehen, wenn sie in ein Land der politischen Unruhen und Krisen zurückkehren möchte. Hêvîn, die jüngste Protagonistin, will Schauspielerin werden und ist politisch aktiv. Doch während ihres Studiums hat sie nicht mehr viel Zeit für den Kampf gegen die Unterdrückung der kurdischen Minderheit. (Quelle: Salzgeber)

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Meinungen

Safak Oktay · 11.12.2023

Mir persönlich hat der Film nicht gefallen. Ich bin selbst auch Kurdin, aber insgesamt gaben die Dialoge und Interviews sehr wenig her. Meiner Ansicht nach nicht tief genug. Warum zum Beispiel und wie war Hevin politisch aktiv? Wie kam es dazu? Was waren identitätsstiftende Momente in ihrem Leben? (Mehr Details) Warum möchte sie Schauspielerin werden? Was ist die Haltung der Protagonist:innen zum Thema Integration als Kurd:innen in Deutschland? Wo und wie lange lebte die Ladenbesitzerin im Ausland? Gibt es einen Bezug zu ihrer kurdischen Biografie?
Der Film kratzt meiner Ansicht nach nur an der
Oberfläche der kurdischen Identität und Problematik.