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Kolumnen

Macht, Ohnmacht und fragile Männlichkeit

So tolle Filme das fast beendete Jahr auch zu bieten hatte — für unseren Herausgeber Joachim Kurz stand 2017 im Zeichen von etwas ganz Anderem. Und das erfordert auch 2018 all unsere Kraft und unser Engagement.

Meinungen
Mann schaut auf Wiese
Fragile Männlichkeiten

Blickt man zurück auf dieses verrückte Jahr, dann steht dies sicherlich im Zeichen einiger weltgeschichtlicher Turbulenzen, an denen Donald Trump nicht ganz unschuldig ist. Aber auch die Filmbranche selbst wurde von einem politischen Ereignis überrollt, das die gesamte Unterhaltungsindustrie in ihren Grundfesten erschüttert

Mit den Berichten über die sexuellen Übergriffe von Harvey Weinstein und der fortgesetzten #metoo-Aktion, die nicht nur die Taten des Hollywood-Produzenten, sondern auch das Ausmaß des leider offensichtlichen alltäglichen Sexismus in der Filmindustrie enthüllt, hat ein Erdbeben begonnen, dessen Auswirkungen wir wohl erst in einigen Jahren ermessen werden können. 


Clip aus Fikkefuchs

In Deutschland indes bleibt es still — abgesehen von einzelnen Wortmeldungen, die ohne großen medialen Widerhall blieben. Das könnte man mit viel gutem Willen und einiger Naivität als gutes Zeichen wähnen und meinen, in der deutschen und europäischen Filmbranche seien solche Auswüchse wie in den USA undenkbar. Allein der Glaube fehlt an solch paradiesische Zustände. Zu hartnäckig halten sich Gerüchte über diesen und jenen, zu konkret sind die Erfahrungen eines allgegenwärtigen Sexismus und unverhohlener Machtausübung, von denen man meist hinter vorgehaltener Hand über mächtige Produzenten, Regisseure und andere Funktionsträger der Filmindustrie hört. Und zu tief sitzen dann auch die eigenen Erfahrungen, wenn man nächtens während eines Filmfestivals zwei halbprominente deutsche Filmemacher besoffen herumkrakeelen hört, was für Filme sie am liebsten mit manchen „Weibern“ machen möchten. Es ist ekelhaft, aber keineswegs ein Ausnahmefall — zumal dann, wenn der Abend spät und der Alkoholpegel schon ein wenig höher ist. Spätestens dann fallen die Schranken der Zivilisation und des schlichten Anstands und zeigt sich tiefsitzende Misogynie. Und das ist ganz sicher nur die Spitze des Eisberges.

Wie tief sich Misogynie mittlerweile offensichtlich in die Gesellschaft hineingefressen hat, davon erzählte in diesem Jahr ein Film, der es wie kaum ein anderer geschafft hat, Publikum und Kritik zu spalten — und genau deshalb hat er vermutlich einiges richtig gemacht: Jan Henrik Stahlbergs Fikkefuchs ist eine wüste Satire und eine grelle Farce auf männliche Ohnmacht, alltäglichen Sexismus und real existierende gesellschaftliche Gräben, die tiefer sind, als man das im 21. Jahrhundert vermutet hätte. Das ist als Film zwar schwer auszuhalten, aber bitter nötig — und angesichts der Deutlichkeit und Drastik ein absoluter Ausnahmefall im deutschen Kino. Und er zeigt auch, wie zerbrechlich die Konstruktionen von (scheinbarer) Macht sein können, welche Verunsicherungen sich dahinter verbergen und wie sie vielleicht aufgebrochen werden können. 

Diskriminierung, Belästigung und Übergriffe sind ein dringliches Problem — in der Gesellschaft wie in der Filmbranche. Zugleich verweisen sie auf die dahinterliegenden strukturellen Ursachen, Probleme und Fehlentwicklungen, die diese Taten überhaupt erst ermöglichen: Nicht nur, aber auch im Bereich der Kunst haben sich Machtstrukturen und Verflechtungen etabliert und verfestigt, die den Nährboden für starre Hierarchien und damit Abhängigkeitsverhältnisse bilden, die wenige mit enormer Macht und viele mit nichts weiter als einem hohen Maß an Ohnmacht ausstatten. Filmförderer, Produzenten, Sendeanstalten, Regisseure, der gesamte technische Stab und die Darsteller bilden eine Nahrungskette mit klarer Hack- und Rangordnung — und wer das nicht akzeptiert, wird schnell kaltgestellt. Hinzu kommen weitere Beteiligte wie Filmfestival-Direktoren, Funktionäre verschiedener Verbände, Organisationen und Interessensvertretungen — und irgendwo ganz am Rande auch die KollegInnen von der schreibenden Zunft. Diese verkrusteten Strukturen erweisen sich derzeit als enorm zäh und widerstandsfähig. Dennoch sollten wir uns nicht davon abhalten lassen, sie genauestens unter die Lupe zu nehmen und anzuprangern.

Doch bleiben wir optimistisch — es ist schließlich Weihnachten und damit die Zeit, in der viele Wünsche in Erfüllung gehen. 2018, da bin ich mir ganz sicher, wird das Jahr werden, in dem eine Branche und mit ihr die gesamte Bevölkerung aus den Erfahrungen eines desaströsen Vorjahres etwas gelernt hat: Dass es an der Zeit ist, Sexismus, Rassismus und überhaupt jeder Form von Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten und den Kampf anzusagen. Wenn wir uns dazu endlich durchringen könnten, wären ehrlich gesagt alle meine Wünsche zum Fest bereits erfüllt. Da das aber vermutlich nicht so einfach gehen wird — lassen Sie uns heute damit beginnen. Es ist höchste Zeit.

Ein frohes Fest wünscht

Joachim Kurz mit der Redaktion und dem gesamten Team von Kino-Zeit (Randbemerkung: Es ist das beste der Welt!)

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