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Die besten Filme 2017

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Meinungen

Hoch die Hände, Jahresende! Aber vorher wollen wir von Kino-Zeit noch unsere besten und schlechtesten Filme des Jahres bekanntgeben. Es war ein sehr durchwachsenes Jahr mit vielen Flops und mittelmäßigen Filmen, aber es gab auch einige wenige und deshalb umso größere Überraschungen. Wer von uns hätte zum Beispiel gedacht, dass es die Oscars so spannend machen? Insgesamt steht 2017 aber vor allem im Zeichen großer politischer Spannungen und Umwälzungen – und auch das Kino spiegelt diese wider. Wir haben all unsere AutorInnen gefragt, welches ihre wichtigsten und besten Filme des Jahrgangs 2017 waren. Hier sind ihre Antworten:

Platz 10: Jackie — Die Frau im Hintergrund

Schon als Joachim Kurz Pablo Larraíns Drama Jackie in Venedig sah, war er ganz aus dem Häuschen und nannte ihn einen „der besten Filme der Saison“ . Zu Recht, denn der Ausnahmeregisseur legt einen besonderen Film hin, der Jackie Kennedy (Natalie Portman) semi-biografisch in den Stunden nach dem Attentat auf ihren Mann begleitet. Unsere Autorin Verena Schmöller schreibt dazu: „Jackie ist ein Interview-Film, wie er nicht unüblich ist für Biopics: Er erzählt aus Jackies Erinnerung heraus von den Ereignissen danach. Dennoch schafft er es – v.a. durch das feine Spiel von Natalie Portman, eine unglaublich durchdachte Dramaturgie und die Filmmusik –, sich ganz in die junge Frau einzufühlen. Und ihr dabei zuzuschauen, wie sie die amerikanische Nation zu beeinflussen wusste und ihren Mann unsterblich machte – durch ihren Willen, ihre Entscheidungen, ihre Kunst zu erzählen.


(Trailer zu Jackie)

Ihr könnt Jackie hier sehen: DVD/Blu-ray, Amazon Video

 

Platz 9: Lady Macbeth – Frauen lassen sich nicht länger einsperren

William Oldroyds Filmdebüt Lady Macbeth sahen wir das erste Mal beim Filmfest München an einem viel zu heißen Sommertag in einer flirrenden Stadt, der so gar nicht zur kalten Einöde des Films passen wollte, der sich in blau-grauen Tönen vor allem der schroffen Landschaft und dem pfeifenden Wind verschreibt. Dort im Nichts in einem ebenso kargen Haus ist die jung vermählte Katherine gefangen in einer lieblosen Ehe und einem Leben, in dem nichts passiert. Sonja Hartl schreibt: „Immer wieder fasst die großartige Kamera von Ari Wegner dieses starre Leben in sehr symmetrischen Einstellungen ein, Tableaus, in denen Katherine auf einem Sofa sitzt oder im Bett liegt. Dieses eintönige Leben langweilt sie, sie schläft mehrmals auf dem Sofa oder beim Essen fast ein, aber das gehört sich natürlich nicht für eine Lady.“ Doch das ist nur der Anfang eines stillen, doch wagemutigen Films über die Emanzipation einer jungen Frau, der uns so mitgerissen hat, dass er es auch in die Bestenliste unseres Vlogs Hartl & Behn  geschafft hat.  


(Trailer zu Lady Macbeth)

Ihr könnt Lady Macbeth hier sehen: Kinofinder

 

Platz 8: Call Me By Your Name – Die beste Liebesgeschichte des Jahres

Keinen anderen Namen möchte man mehr im Kino flüstern als Elio, Elio, Elio. Wenn man einmal Luca Guadagninos wundervoll elegische Sommer-Liebesgeschichte Call Me By Your Name gesehen hat, wird man sich seiner Figuren nicht mehr entziehen können, Man kann nicht anders, als sich mit zu verlieben in Elio und Oliver. Oliver, Oliver, Oliver. Das wunderbarste Liebespaar des Jahres verbringt die Ferien in einem heiß-flirrenden Haus in Norditalien, wo sich der 17-jährige Elio (Timothée Chalmet) zum ersten Mal verliebt. Und Oliver (Armie Hammer), der kokette Amerikaner in den wunderbaren kurzen Hosen, erwidert sein Verlangen auf so seltsam enigmatische Art, dass man sich wünscht, der Film würde nie enden und man könnte mehr Zeit in diesem ersten Liebessommer verbringen, der so zart wie eine Pfirsichhaut und genauso saftig wie das Fruchtfleisch ist. Sonja Hartl konstatiert: „Hinzu kommt überdies eine ausgeprägte Sinnlichkeit in der Inszenierung: Immer wieder schwenkt die Kamera von Sayombhu Mukdeeprom an den zunehmend reifen Früchten an den Bäumen, die verarbeitet und gegessen werden. Mit den Augen von Elio und anderen streift sie über den Körper von Armie Hammer, der […] als Sehnsuchtsperson überzeugt.“  


(Trailer zu Call Me By Your Name)

Ihr könnt Call Me By Your Name hier sehen: ab dem 1. März 2018 im Kino

 

Platz 7: Aus dem Nichts – Die radikale Subjektivität, die das deutsche Kino braucht

Um Fatih Akins Aus dem Nichts zu sehen, musste Beatrice Behn in Cannes alle Ellenbogen-Kraft einsetzen, die ihr zur Verfügung stand, denn nach dem ersten Screening ging ein kleines, geflüstertes Lauffeuer um. „Den musst du schauen“, raunte es durch die Kollegenschar und so wurde es schon ein kleines Hauen und Stechen, überhaupt ins Kino hineinzukommen. Gelohnt hat es sich allemal, denn nicht nur fasst Akin hier endlich ein relevantes deutsches Thema an, er tut es auch noch auf so eine radikal subjektive Art, dass man sich seiner Hauptfigur und deren Leid absolut nicht entziehen kann. Joachim Kurz schreibt dazu: „Dank einer exzellenten darstellerischen Leistung von Diane Kruger, der so mancher so eine Rolle nicht zugetraut hatte, Akins gekonnter Regie sowie eines exzellent geschriebenen Drehbuchs folgt der Zuschauer der emotionalen Tour de force bereitwillig, schwankt wie Katja zwischen Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch nach Gerechtigkeit oder wenigstens Rache und geht den bitteren Weg der Protagonistin bis zum Ende mit.


(Trailer zu Aus dem Nichts)

Ihr könnt Aus dem Nichts hier sehen: Kinofinder

 

Platz 6: Dunkirk – Kinematographische Erneuerungen alter neuer Traumata

Auch wenn Dunkirk nicht allzu lang im Kino blieb, so hat er sich doch in die Erinnerungen vieler AutorInnen eingegraben. Und das vor allem als ein Film, der eindeutig die Handschrift Christopher Nolans trägt und dabei vieles anders macht als übliche Kriegsfilme. Patrick Holzapfel schreibt dazu: „Dunkirk ist in vielerlei Hinsicht mehr ein Nolan-Film als ein Kriegsfilm. Das heißt, dass alles äußerst präzise, fast klinisch hinarbeitet auf überwältigende, bisweilen bombastisch-sinnliche Erfahrungen und Spannung und darüber hinaus sehr wenig Perspektive auf den Krieg oder seine Figuren gelegt wird.“  Es ist vor allem die spezifische Sinnlichkeit, das Erfahrbarmachen des Wahnsinns von Dünkirchen, der diesen Film so besonders macht.


(Trailer zu Dunkirk)

Ihr könnt Dunkirk hier sehen: DVD/Blu-ray, Amazon Video

 

Platz 5: Okja – Der Netflix-Film, der für Furore sorgte

Irgendwo zwischen den Kreatur-Filmen wie E.T. – Der Ausserirdische und Roald Dahls Wo die wilden Kerle wohnen ordnet sich Bong Joon-Hos Okja ein. Doch Okja ist kein Kinderfilm, sondern ein herrlich surreales Werk, in dessen Kern sich große Menschlichkeit und Feingefühl befinden, die das Schwein Okja und seine beste Freundin Mija zu tragischen HeldInnen machen, die sich einer Welt aus Korruption, Kapitalismus und Fleischgier erwehren müssen. Okja mag sich in einer Fantasie-Welt abspielen, doch die Konsequenzen sind hier nicht magischer, sondern harter, realer Natur. Noch dazu ist die Machart des Filmes so wunderbar und detailreich, dass man unbedingt dafür plädieren muss, den Film auf großer Leinwand zu sehen. Doch da gibt es ein Problem. Beatrice Behn schreibt: „Es ist eine Krux mit Netflix. Einerseits beweist die Firma hier Händchen und Mut, finanzierte sie doch dieses Autorenwerk, während klassische Finanzierungen ausblieben. Doch gleichsam ist es ein Elend, diesen Film nicht auf der großen Leinwand sehen zu können. Nicht nur, weil er gut ist, sondern weil er visuell ebenso vielfältig, ambitioniert und visionär ist wie seine Geschichte. All dies auf ein iPad oder einen Laptop zu bannen, ist, man kann es nicht anders sagen, eine Schande. Und so bringt dieser Film zwei weitere Fragen mit sich: Warum lässt die klassische Filmindustrie visionäre Autorenfilmer immer mehr Stich? Und wie wollen wir, die Zuschauer, Filme eigentlich konsumieren?


(Trailer zu Okja)

Ihr könnt Okja hier sehen: Netflix

 

Platz 4: Blade Runner 2049 – Der ästhetische Nostalgie-Trip in die Zukunft

Seine Rezeption ist durchaus ambivalent. Einige, auch unter unseren AutorInnen, finden Blade Runner 2049 leer, manche absolut misogyn. Trotzdem sind die meisten doch von Denis Villeneuves Werk überzeugt – vor allem ob seiner gelungenen Melange aus Alt und Neu, dem Vorgängerfilm und eigenen Ideen. Und natürlich auch wegen seiner ganz eigenen Ästhetik. Sonja Hartl schreibt: „die Bilder von Kameramann Roger Deakins [sind] im Zusammenspiel mit dem Produktionsdesign von Dennis Gassner atemberaubend. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass der Film als Spektakel angelegt ist. Immer wieder wird die Weite des Umlandes von Los Angeles gegen die Enge der Großstadtschluchten gesetzt, verweisen Vogelperspektiven auf das große Ganze, ehe es dann doch wieder um Details geht. Insgesamt ist zu spüren, dass sich Regisseur Denis Villeneuve und die Drehbuchautoren Hampton Fancher (der mit David Peoples auch Blade Runner schrieb) und Michael Green immer wieder auf das Original beziehen, zugleich aber auch die Filme kennen, die vor und nach ihm liefen – natürlich beeinflusst im Produktionsdesign. Daher gibt es Anspielungen auf Spielbergs A.I. – Artifical Intelligence ebenso wie eine Hotelbar, die an Stanley Kubrick erinnert.


(Trailer zu Blade Runner 2049)

Ihr könnt Blade Runner 2049 hier sehen: DVD/Blu-ray, Amazon Video, Kinofinder

 

Platz 3: Western – Die Kunst der stillen Bilder

Ganz leise kam Valeska Grisebachs Film Western daher und beeindruckte in Cannes und alsbald auch im deutschen Kino umso mehr zwischen den vielen eher lauten, schnellen Filmen. Western lebt vor allem von der Ruhe, dem Beobachten des Treibens einer Gruppe deutscher Bauarbeiter in Bulgarien. Getragen wird der Film vor allem von seinem Protagonisten Meinhard (Meinhard Neumann) und dem Aufbau nach einem klassischen Western. Beatrice Behn schreibt dazu: „Meinhard ist der Stille, der immer ein bisschen abseits sitzt, viel beobachtet, wenig sagt. Ein wortkarger Cowboy, ein James-Stewart-Typ, nur knochiger, verbrannter, mit noch stechenderen Augen. Und Vincent ist Charles Bronson. Fleischig, ein bisschen fies dreinblickend. Die Tage vergehen. Die ersten bulgarischen Frauen werden am Fluss gesichtet. Vincent bedrängt sie, will sie dominieren. Sie gehen. Dann gibt es plötzlich kein Wasser mehr, dann kommt der Kies nicht. Man kommt nicht voran. Und Meinhard ist dauernd weg.


(Trailer zu Western)

Ihr könnt Western hier sehen: Kinofinder

 

Platz 2: Get Out – Die Politisierung des Genre-Kinos

Für eingefleischte Genre-Kenner mag Jordan Peeles Get Out kein Durchbruch sein, doch in Sachen politisches Kino ist er definitiv einer der wichtigsten Filme des Jahres. Kein Werk legte so dermaßen den Finger in die Wunde des amerikanischen Rassismus wie dieser Film. Sonja Hartl schreibt dazu: „Dieser Film spielt die Alltagserfahrungen, den systemimmanenten und verdeckten Rassismus, die Vorstellungen sowie Erfahrungen der Zuschauer so geschickt aus, dass sie ihm seine Spannung verleihen und seine comic reliefs einleiten. Jordan Peeles Drehbuch steckt voller genau beobachteter Details und Verweise, zu denen Gesten, Frisuren und Fruit Loops gehören, noch dazu werden vermeintliche Schwächen direkt aufgegriffen. So ist ein Teil des Geheimnisses recht früh zu erahnen, aber da Chris’ Freund Rod diese Variante als mögliche Erklärung ausplaudert, wird klar, dass noch mehr enthüllt werden wird. Auch die finale Wendung enthält über den drastischen Teil hinaus eine perfide Implikation, die leicht übersehen werden kann, aber sehr deutlich macht, dass es sich der Film mit dem Rassismus nicht allzu einfach macht.


(Trailer zu Get Out)

Ihr könnt Get Out hier sehen: DVD/Blu-ray, Amazon Video

 

Platz 1: Moonlight – Die Sehnsucht nach Selbstbestimmung

Es wurde viel gesagt zu Moonlight, spätestens nachdem er den Oscar als bester Film des Jahres gewann. Und zu Recht, denn dieser Film ist ein Ausnahmefilm. Beatrice Behn schreibt: „Niemand hat diesen Film kommen sehen. Aber direkt nach seiner internationalen Premiere beim Internationalen Filmfest Toronto begann das Gemurmel, das laute Staunen und Weiterempfehlen von Barry Jenkins Ausnahmewerk Moonlight. Exzeptionell ist hier nicht nur die Art des Bekanntwerdens, sondern der Film selbst, behandelt er doch auf phänomenal feinfühlige Art ein Thema, das sonst nie gezeigt, geschweige denn so detailliert porträtiert wird: queere afroamerikanische Erfahrungswelten. Das mag nach einer sehr kleinen Welt klingen (wenn man aus dem Mainstream herausblickt), doch die Geschichte, die sich hier entfaltet, ist so einzigartig wie universell relevant und wird zu jedem einzelnen Menschen sprechen, der/die sich aus Angst und/oder Zwängen nicht so entfalten konnten, wie er/sie wollte.“  Mehr müssen wir nicht sagen. Wer Moonlight noch nicht gesehen hat, sollte es unbedingt noch tun. 


(Trailer zu Moonlight)

Und weil das alles nicht genügt, hier noch einmal der unfassbare, unglaubliche Oscar-Moment.

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Ihr könnt Moonlight hier sehen: DVD/Blu-ray, Amazon Video

 

Ein breit aufgestelltes Jahr also, in dem vor allem das AutorInnen-Kino überzeugte. Positiv auffällig dabei: vier der insgesamt zehn Filme stammen von Männern, die nicht weiß sind. Der Frauenanteil ist allerdings sehr dürftig ausgefallen. Nur Valeska Grisebachs Film hat es geschafft. Doch immerhin sind die ProtagonistInnen bedeutend diverser ausgefallen: vier von zehn sind Frauen, immerhin drei sind nicht heterosexuell und weitere drei nicht weiß. Hoffen wir, dass unsere Bestenlisten in den nächsten Jahren noch diverser werden.

Welche Dokumentarfilme bei Kino-Zeit gelten als die besten des Jahrgangs, lest ihr hier.

Und hier sind unsere schlechtesten Filme, die wir dieses Jahr durchlitten haben.

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