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Deutscher Film, Teil 5: Wie kann es vorwärts gehen?

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Geld

„Ist das nicht Kommunismus?“, soll Brad Pitt gefragt haben, als ihm Steffen Andersen-Møller, damals PR-Manager des Dänischen Filminstituts, den Weg zum dänischen Filmwunder erklärt hat. Antwort: Nein, kein Kommunismus. Sondern Kunst. „Wir sind ein kleines Volk von 5,6 Millionen Menschen, mit einer Sprache, die niemand außer uns spricht und versteht“, führt er aus, „unser Parlament hat schon vor vielen Jahren deklariert, Film sei das Transportmittel Nummer eins, um Menschen in aller Welt dänische Kultur nahezubringen.“ Nach Beschluss des dänischen Parlaments wird folglich der dänische Film mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt. Alle vier Jahre wird das Förderbudget aufgestockt. Politiker aller Parteien stehen hinter dem System, man hat auch bei Politikwechseln nach Parlamentswahlen Planungssicherheit. Und alle sind sich einig, dass Film mit Kunst zu tun hat und nicht mit Geld. „Das ist unser Fokus, das ist klar definiert“, so Anderson-Møller im Interview mit dem österreichischen Filmmagazin Ray: „Film muss kein Geld machen, aber natürlich sind wir nicht böse, wenn er es doch tut.“

Das Paradies beim Nachbarn

In Dänemark herrschen paradiesische Zustände – und das ist nicht das Schönreden eines PR-Menschen, sondern lässt sich auch belegen: Das dänische Kino ist mit internationalen Filmpreisen hochdekoriert, mit unter anderem Lars von Trier, Susanne Bier, Thomas Vinterberg und Nicolas Winding Refn brachte dieses kleine Land international herausragende Filmemacherinnen und Filmemacher hervor, mit beispielsweise Mads Mikkelsen, Trine Dyrholm, Paprika Steen auch internationale Schauspielstars. Der Marktanteil für einheimische Produktionen liegt in Dänemark zwischen 25 und 35 Prozent, das Budget des Dänischen Filminstituts wurde bis 2018 auf 67 Millionen Euro festgelegt. Und 15 Prozent dieses Geldes ist für die Projektentwicklung vorgesehen: „Es ist wichtig, sagen zu können: ‚Tut uns leid, wir haben gerade fünf Millionen Kronen (ca. 670.000 Euro) Steuergeld in ein Projekt gesteckt, das leider nicht zustande kam.‘“, betont Anderson-Møller. „So etwas muss möglich sein, sonst hat man keine Chance, richtig gute Projekte zu entdecken.“ In Dänemark ist das Filminstitut die praktisch einzige Anlaufstelle für alle Filmangelegenheiten. Von hier gehen Produktions- wie auch Verleih- und Marketingförderung aus, ebenso filmpädagogische Programme, die in Schulklassen das Interesse am Film als Kunst wecken. Filmprojekten ist dabei jeweils ein Commissioner des Filminstitutes zugeteilt, der die Produktion von Anfang an begleitet – wohlgemerkt wohlwollend, nicht als Sparkommissar, sondern zur Hilfestellung. Und nach dem Film gibt es bis zu 200.000 Euro Unterstützung fürs Marketing, inklusive Hilfe beim Erstellen eines Marketingkonzeptes: „Wir beobachten Projekte ja, während sie entstehen. Es gibt einen ständigen Austausch. Die Marketing-Überlegungen beginnen sehr früh.“

Von ersten Konzepten bis zum Licht der Leinwand ein Filmprojekt öffentlich zu stützen, ohne große Erwartungen an die Wirtschaftlichkeit, sondern mit dem Willen, Kunst zu produzieren, im Wissen, dass sich diese Kunst auszahlt: Fast zu schön, um wahr zu sein. Natürlich ist das Gras auf der anderen Seite des Zaunes immer grüner als im eigenen Garten und sicherlich muss auch der Nachbar mähen und Unkraut rupfen – doch wenn man sieht, was Dänemark an Filmprodukten raushaut, sowohl im Kommerz- als auch im Arthouse-Bereich, gerät man ins Staunen. Und ins Grübeln. Könnte man sich da nicht für Deutschland eine Scheibe abschneiden?

Ebenso Frankreich: Schon seit Jahrzehnten beneidet der Deutsche den Franzosen ob seines filmkulturellen Bewusstseins. Die Anerkennung, der Respekt, der Stolz unter den Franzosen für den französischen Film ist hoch; entsprechend werden französische Filme auch gefördert und produziert, die auf dem heimischen wie auf dem internationalen Markt reüssieren. Dazu kommt das Bewusstsein für das filmische Erbe, das ebenfalls mit vielen Millionen nicht nur vor dem Verfall, sondern mittels Digitalisierung auch für die Zukunft gerettet wird. Die Marktanteile französischer Filme im Inland gehen bis zu 40% – gefördert auch durch ein Quotensystem für TV-Ausstrahlungen, das vorschreibt, dass 60% der gezeigten Filme europäischen und davon 40% französischen Ursprungs sein müssen. Damit wird das Bewusstsein für französische und europäische Filme gesetzlich gestärkt – man kann dem einheimischen Filmschaffen schlicht nicht entkommen. In Frankreich gibt es eine richtige Filmindustrie, unterstützt weniger durch direkte Steuermittel als durch ein Umlagesystem, in der aus der Filmverwertung eingezahlt wird: Kino, Fernsehen und sonstige Videoprodukte müssen einen Anteil an die Filmbranche abgeben. Organisiert durch Gesetze und durch das Centre national de cinématographie (CNC), und das schon seit den 1940er Jahren.

Neue Ideen braucht das Land

In Deutschland gibt es ebenfalls Filmförderung. Und nicht nur eine, sondern unzählig viele. Von Bund und Ländern, von verschiedenen Instituten und Gremien, von diversen Fernsehsendern und Nachwuchsprogrammen kann man Geld erhalten in unterschiedlicher Form, als direkten Zuschuss, über Steuernachlässe oder als Darlehen; das gilt auch für internationale Produktionen, solange dadurch Devisen nach Deutschland fließen. Auflagen zur Produktion gibt es gratis dazu: In dieser oder jener Region soll gedreht werden, in diesem oder jenem Bundesland findet die Postproduktion statt und die Musik kommt nochmal von ganz woanders. Filmförderung ist Wirtschaftsförderung, aber es ist niemand böse, wenn Kunst herausspringt. Außer dem gelegentlichen Leserbriefschreiber oder Parlamentshinterbänkler, dem die Steuerverschwendung auf den Geist geht.

Klaus Lemke plädiert seit langem – und seit langem provokant – für eine radikale Abschaffung jeder Filmförderung. Und spricht dabei von Papas Staatskino, das meist bleischwere Filme wie Grabsteine produziere. Generell stellt sich die Frage: Hat man mit dem Aufkommen der Filmförderung das Publikum vergessen, um dessen Findung sich zuvörderst Alexander Kluge anfangs stark bemühte? Liegt in der Vernachlässigung der Publikumsinteressen die Wurzel allen Übels, die in eine unwiderbringliche Aufspaltung zwischen Kunst und Kommerz, zwischen E und U – Ernstem und Unterhaltendem – mündete und unter der das deutsche Filmgeschehen bis heute leidet?

Dabei war der Gedanke einer öffentlichen Förderung des Films eine der Hauptforderungen der Protagonisten des Neuen Deutschen Films: Denn die Filmwirtschaft der 1950er Jahre, nach der Nazidiktatur in die wirtschaftliche Freiheit entlassen, wusste wenig mit sich anzufangen und war schließlich am Boden zerstört. Kunst war ohnehin nicht möglich und der Kommerz lockte angesichts von Fernsehen, aber auch vor allem angesichts eines Unvermögens zur eigenen Erneuerung nur noch wenige Hunde hinter dem Ofen hervor. Es musste möglich sein, relevante Filme zu drehen, die ein neues künstlerisches Klima in der deutschen Filmbranche ermöglichten! Und in den 1960ern und 1970ern wurde tatsächlich durch öffentliche Gelder – auch durch Gebührengelder der TV-Stationen – dem deutschen Film eine beträchtliche Weltgeltung verschafft. Inzwischen – man muss ja nicht so radikal sein wie Lemke – meint allerdings auch Edgar Reitz, einer der Unterzeichner des Oberhausener Manifests 1962, dass die Zeiten von fernsehfinanzierten Kinoproduktionen vorbei sein müssen. Erst mit einer klaren Trennung zwischen Fernsehen und Kino bestünde eine Chance für eine qualitative Neustrukturierung der deutschen Kinobranche, forderte Reitz zuletzt beim Frankfurter Lichter Filmfest. Und in der Tat könnte darin eine große Chance liegen, wenn Kinofilme letztlich nicht mehr als verkappte Fernsehfilme entstünden. Doch woher soll das Geld dann kommen?

Kunst oder Kompromisse? Alles gaga

Wer zahlt, will auch anschaffen. Man investiert nicht ohne Aussichten auf Gewinn. Filmförderung, das ist ja auch das Gute daran, bringt Wirtschaftskraft, jeder Euro bringt ein Vielfaches zurück. Doch auf dieses Geld ist so mancher allzu fixiert. Benjamin Heisenberg dazu in einer Bayern 2-Radioreportage im Jahr 2012 über seinen Film Über-Ich und du: „Wir drehen Sachen, die in München spielen sollen, in Berlin, und Sachen, die in München spielen sollen, in der Schweiz. Und überlegen uns, wie wir Motive aus Berlin mit Außenaufnahmen von München kombinieren können und Autofahrten aufsplitten, wo du dann außen München siehst und im Auto in Berlin drehst. Es ist totaler gaga.“ Eine solche Situation entsteht schlicht dann, wenn ein Film keine Fördergelder aus München bekommt und folglich dort auch möglichst wenig gedreht werden soll, dafür umso mehr in Berlin, weil dort das Geld ausgegeben werden sollte. „Das ist ein wirklicher Krampf dieses Fördersystems.“


(Trailer zu Über-Ich und du)

Dänemark und Frankreich haben einen großen Vorteil, nämlich eine zentralisierte Filmförderung. Keine zersplitterten Förderer, sondern eine einzige Anlaufstelle – das ist in Deutschland undenkbar, leider, denn auch die Filmförderung ist ein Opfer des hiesigen föderalen Systems – Eltern von Schulkindern, die in ein anderes Bundesland ziehen wollen, können hiervon ebenfalls leidvolle Lieder singen. Länder und Regionen haben ein starkes Standing, auch, was die Filmfinanzierung angeht. Und die Interessen dieser Länder und Regionen stehen den Interessen des Filmemachers, der einfach seine Geschichte erzählten will, oftmals entgegen. Kompromisse müssen der Kunst nicht schaden – aber sie machen sie komplizierter.

Vielleicht ist Einfachheit die Lösung. Und auch wenn, wie die Abstimmung in der Schweiz gezeigt hat, die Mehrheit der Bevölkerung einem bedingungslosen Grundeinkommen skeptisch gegenübersteht, könnten einige Aktivisten ja auf die Idee kommen, dieses Konzept für die Kreativbranche zu fordern. Wer etwas machen will, bekommt Förderung – nicht für das Projekt, sondern für seinen Lebensunterhalt. Und wenn bei einem Filmdreh 100 Leute Personal beschäftigt sind, bekommt jeder diesen Lebenszuschuss. Sprich: Das Budget muss – im Minimum – die Technik, die Ausstattung, das Marketing beinhalten, und nur bei größeren Produktionen auch höhere Gagen. Wer mehr bieten will, kann ins Risiko gehen und mehr finanzieren, in der Hoffnung, mit dem filmischen Kunstwerk wieder was rauszuholen … Eine Art breites Stipendiensystem, finanziert durch ein Umlagesystem: Vielleicht wie in Frankreich, vielleicht auch durch eine allgemeine Kulturgebühr, wie man es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem inzwischen schon geschluckt hat. Oder aber: Am Ende kommt die ganz große Stunde Null durch ein Freihandelsabkommen wie TTIP, das auch die Kultur einschließt, was neue Systeme zwangsläufig mit sich bringen würde.

Ob einer dieser oder anderer Lösungswege praktikabel und realistisch ist – darum geht es weniger als darum, überhaupt ein neues System zu schaffen. Im Bewusstsein, dass dieses neue System in ein paar Jahrzehnten auch wieder aufgebläht und verkrustet ist. Und dann ist es Zeit für eine weitere Erneuerung.

(Harald Mühlbeyer und Urs Spörri)

Harald Mühlbeyer arbeitet seit seinem Studium der Filmwissenschaft in Mainz als freier Filmjournalist. Seit 2014 Verleger im Mühlbeyer Filmbuchverlag. Veröffentlichungen unter anderem für epd Film, ray, kino-zeit.de, cinefacts.de, Indiekino Berlin; Redakteur bei screenshot-online.com. Buchveröffentlichungen im Schüren-Verlag: „Perception is a Strange Thing“. Die Filme von Terry Gilliam (2010) und — zusammen mit Bernd Zywietz — Ansichtssache. Zum aktuellen deutschen Film (2013). Schreibt an einem Buch über Helge Schneider.

Urs Spörri kuratiert und moderiert deutschsprachige Kinoreihen im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/M., vor allem in Kooperation mit der Fachzeitschrift epd film die Filmreihe „Was tut sich — im deutschen Film?“ samt ausführlichen Werkstattgesprächen mit den Filmemachern. Seine regelmäßigen Festivalstationen sind der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die Berlinale, das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen sowie die Hofer Filmtage. Außerdem hat er selbst jahrelang das FILMZ Festival in Mainz in führender Position mitverantwortet. www.kultur-event.com / www.was-tut-sich-im-deutschen-film.de

Der erste Teil unserer Serie über den deutschen Film kann hier nachgelesen werden, der zweite Teil hier, der dritte Teil hier, der vierte Teil hier. Der sechste (und letzte) Teil folgt in einer Woche, am 02. Juli 2016.

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