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Couchperle: Yasujiro Ozu bei Arte

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Die Reise nach Tokio

Als „Filmemacher des Glücks“ beschreibt eine Arte-Dokumentation Yasujiro Ozu. Mit einem Programm von gleich zehn Filmen präsentiert der Sender aktuell einen Schwerpunkt zu dem japanischen Filmemacher. Dabei ist sein Kino zwar oft ganz im Moment und bei seinen Figuren, aber keineswegs sorglos. Subtil schreibt sich in die Filme eine Vergangenheit ein, die nie gezeigt wird. Vielleicht ist der leise Stil der Grund dafür, dass Ozu international erst nach seinem Tod bekannt wurde. Als in den Fünfzigerjahren Akira Kurosawa nach außen schwappte, galten seine Filme noch als zu eigentümlich und typisch japanisch für ein internationales Publikum.

Die Auswahl in der Mediathek stammt aus den Jahren 1949 bis 1960. Besondere Empfehlung: In Später Frühling (1949) sind schon viele Motive angelegt, die diese bekannteste Schaffensperiode Ozus prägen. Es sind Melodramen, die zwischen den Zeilen das kollektive Trauma der Nachkriegsgesellschaft abbilden. Es geht um Familienstrukturen, das Sorgen von Kindern für ihre Eltern und das Heiraten und Wiederheiraten von Frauen. Später Frühling ist der erste Teil der sogenannten Noriko-Trilogie. Auch in Weizenherbst (1951) und Die Reise nach Tokio (1953) spielt Setsuko Hara Figuren, die Noriko heißen. Auch wenn es sich nicht um die selben Figuren handelt, altern die Figuren mit ihrer Darstellerin, und somit wandeln sich im Laufe der Trilogie auch die gesellschaftlichen Erwartungen, denen die Frauen unterworfen sind. Während Noriko in Später Frühling noch eine zu verheiratende junge Frau ist, ist sie in Die Reise nach Tokio bereits verwitwet.

Die Reise nach Tokio ist Ozus bekanntester Film; gilt als Meisterwerk. Ein älteres Ehepaar vom Land reist nach Tokio, um die Kinder und deren Familien zu besuchen, muss jedoch realisieren, dass die Kinder wenig Zeit für sie haben und deren Familien ihnen fremd sind. Lediglich Noriko, die Witwe eines verstorbenen Sohnes, ist bemüht um ihre Schwiegereltern. Nicht nur ein Generationenkonflikt, auch eine Spaltung der Nachkriegsgesellschaft zwischen Stadt und Land respektive Tradition und Moderne wird hier verhandelt. In der Noriko-Figur versammeln sich alle widerstreitenden Motive: Sie ist fürsorglich, geht aber zugleich einem Bürojob nach und kasteit sich insgeheim selbst mit ihrer Witwenschaft, weil sie glaubt, noch nicht genug getrauert zu haben. So sanft und freundlich Setsuko Hara auch spielt, kann man Norikos innere Unruhe deutlich spüren.

Ozu ist ein Filmemacher der Zwischentöne. Er erzählt nur Gegenwarten, keine Vergangenheiten, und doch klaffen überall Leerstellen und Wunden. Seine Filme sind voller Einstellungen leerer Räume, in denen die Figuren aber noch schmerzlich nachhallen. Nach Später Frühling und Die Reise nach Tokio, spätestens aber, wenn man alle Filme im Arte-Programm gesehen hat, wird auch Yasujiro Ozu nachhallen.

Der Ozu-Schwerpunkt der Arte-Mediathek findet sich hier.

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