Zur Sache Schätzchen

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war

Im Juni 1962 deuten die Schwabinger Krawalle an, dass durch Deutschland ein Riss zwischen der jüngeren Generation und den etablierten Stützen der Gesellschaft geht. Die Münchener Polizei versucht, ein paar Straßenmusiker in Gewahrsam zu nehmen, die nach 22.30 Uhr noch Musik machen. Die Aktion mündet schließlich in Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und Ordnungshütern, bis nach ein paar Tagen der Spuk vorbei ist.
Martin (Werner Enke) hat ein paar Jahre später in Zur Sache Schätzchen mit körperlicher Gewalt zwar nichts am Hut, aber die normale Ordnung, nach der man handeln soll, ist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge. Auch jenseits der Zwanzig sträubt er sich gegen geregelte Verhältnisse und lebt lieber in den Tag hinein. So verkörpert er den jugendlichen Geist entspannter Anarchie, der dem Lebensgefühl jüngerer Menschen um das Jahr 1968 herum entspricht. Statt die Beziehung zu seiner Freundin Anita (Inge Marschall) auf ein klares Fundament zu stellen, treibt er sich mit seinem Kumpel Henry (Henry van Lyck) herum. Der will Martin dazu bringen, wie vereinbart endlich ein paar Schlagertexte für Viktor Block (Helmut Brasch) zu schreiben, damit wieder ein bisschen Geld reinkommt. Aber Martin interessiert sich mehr für die gutbürgerliche Barbara (Uschi Glas), die er im Freibad kennengelernt hat. Während Henry ihren Auftraggeber Block mit einem schnoddrigen Refrain ruhigstellt, den Martin urplötzlich aus dem Ärmel geschüttelt hat, macht der mit Barbara München unsicher.

Zur Sache Schätzchen folgt keinem politischen Manifest mit klarer ideologischer Ausrichtung. Gesellschaftstheorien sowie unmissverständlich klassifizierende Äußerungen gegenüber Polizei oder anderen Vertretern der Ordnung sucht man vergeblich. Dennoch entwickelt die luftige Komödie über 24 Stunden im Leben zweier Schwabinger Herumtreiber eine subversive Energie, die stets aus den humorvollen Einlagen herausbricht. Martin verweigert sich allen Erwartungen, die an ihn herangetragen werden. Er hat keine Lust, mittags schon aufzustehen, er hat keine Lust, Schlagertexte abzuliefern, er hat keine Lust, die Polizei zu rufen, als er in der Nacht einen Ladeneinbruch beobachtet, er hat keine Lust, der Polizei vernünftige Angaben zu machen, als ihn sein Kumpel zu einer Aussage wegen des Einbruchs drängt, und er hat keine Lust sein Leben in eine bürgerliche Existenz mit geregelter Arbeit und Heirat einzuzwängen. Stattdessen folgt er der anarchischen Spontanität plötzlicher Einfälle, mit denen er auf groteske Weise die gewohnte Ordnung hinterfragt.

Ein albern-auffälliger falscher Bart mit Gummizug, der kurzzeitig als Tarnung vor der Polizei dient, gehört ebenso dazu, wie der Raub einer jungen Ziege aus einem Streichelzoo. Martin verfrachtet das Tier in einen herumstehenden Kinderwagen und rast gemeinsam mit Barbara vor den Verfolgern davon. Als surreales Bild durchbricht die Ziege im Babygefährt die Sehgewohnheiten und wirft Fragen nach der Bedeutung der Gegenstände auf. Martin weist den Dingen neue Funktionen zu, die gegenüber der scheinbaren Normalität leicht verschoben sind. Das sieht zum einen brüllend komisch aus, regt zum anderen aber auch dazu an, nicht alles in ständiger Bequemlichkeit hinzunehmen.

Jenseits der perfekten Spiegelung des Lebensgefühls kurz vor den Studentenunruhen, liegt hier die zeitlose Qualität des Films. Im Gegensatz zu steifen Ideologiemanifesten hat Zur Sache, Schätzchen keinen Staub angesetzt. Selbst die Sprüche Martins („Es wird böse enden!“, „Kerzen aus! Hier wird nicht gezündelt“) gehen noch als lakonische Verweigerungspoesie durch, auch wenn sich der Begriff des „Fummelns“ wohl eher überholt hat. Die Angst vor der Normalität, die auch immer eine Angst davor ist, einzurosten, also davor, dass alles vorbei ist, obwohl man noch lebt, durchweht die Komödie. Denn Martins schlaffe Art, viele Dinge nicht zu tun, darf nicht mit völliger Antriebslosigkeit verwechselt werden. Im Angesicht des Schabernacks durchfegt ihn eine bemerkenswerte Energie, mit der er auch die gutbürgerliche Barbara mitreißt. Sie sieht in Martin eine Chance, wenigstens mal für eine gewisse Zeit aus der steifen Atmosphäre auszubrechen, die bei ihr zu Hause im väterlichen Geigenspiel nach dem Abendessen kulminiert. Dieser Ausbruch aus dem Trott ist dank Zur Sache Schätzchen jedem möglich.

Anlässlich der Heimkinoveröffentlichung wurde Zur Sache Schätzchen aufwendig restauriert und die Arbeit hat sich gelohnt. Die Schwarz-Weiß-Optik erstrahlt ohne analoge Störungen im perfekten Glanz. Vereinzelte Szenen wirken etwas matschig, während der überwiegende Teil des Films überraschend scharf aussieht. Das Material macht einfach einen frischen Eindruck, der sich bei der präzisen Graustufenwiedergabe der Vorlage fortsetzt.

Der Ton liegt in einer DTS-HD-Master-2.0- sowie in einer DTS-HD-Master-1.0-Abmischung vor. So müssen auch die Freunde des ursprünglichen Monoformats nicht auf ihre Version verzichten. Beide Fassungen klingen klar und relativ voluminös, sodass man das Alter des Films kaum merkt. Auch die beschwingte Musik kommt gut zur Geltung.

Veredelt wird die hervorragende Präsentation durch die beiden jeweils etwa 10-minütigen Kurzfilme Das Porträt und Manöver, die May Spils vor Zur Sache Schätzchen gedreht hatte. In Das Porträt geht es um eine junge Künstlerin, die am Versuch scheitert, sich selbst zu malen und stattdessen zu einer anderen Lösung greift, Manöver ist die satirische Aufbereitung eines Montagmorgens, an dem ein Pärchen das pünktliche Aufstehen übt. Letzterer sieht auch so aus, als wäre er restauriert worden.

In dem gut vierminütigen Clip Werner Enke 2012 über Geburtstage äußert sich der Hauptdarsteller aus Zur Sache Schätzchen auf unnachahmlich süffisante Weise über die menschliche Eigenschaft, runde Geburtstage in den Vordergrund zu stellen, und das drohende Ende sowie die Leichtigkeit des Lebensbeginns. Das 12-seitige Booklet enthält einen lesenswerten Text von May Spils über die Entstehungsgeschichte ihrer ersten Filme und einen Beitrag des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder, der Zur Sache Schätzchen in seine eigene Vita einordnet.

Zur Sache Schätzchen ist nicht nur ein hervorragendes Zeitdokument, das die misstrauische Haltung am Vorabend der 1968er-Bewegung gegenüber der Gesellschaft in anarchischen Humor übersetzt, die luftige Komödie regt auch dazu an, die gewohnten Dinge immer wieder neu zu hinterfragen.

Zur Sache Schätzchen

Im Juni 1962 deuten die Schwabinger Krawalle an, dass durch Deutschland ein Riss zwischen der jüngeren Generation und den etablierten Stützen der Gesellschaft geht. Die Münchener Polizei versucht, ein paar Straßenmusiker in Gewahrsam zu nehmen, die nach 22.30 Uhr noch Musik machen. Die Aktion mündet schließlich in Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und Ordnungshütern, bis nach ein paar Tagen der Spuk vorbei ist.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen