Mia Madre (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Prozess des Abschiednehmens

Während der Dreharbeiten zu Habemus Papam, der in Cannes seine Premiere feierte, verstarb Nanni Morettis Mutter, die Latein- und Griechischlehrerin war. Vier Jahre später kehrte der Regisseur 2015 mit Mia Madre an die Croisette zurück – und wenn man einmal davon absieht, dass Moretti in seinem neuen Film keinen Filmemacher spielt, sondern den Bruder einer Regisseurin, ist unschwer zu erkennen, wie persönlich und autobiografisch das Werk geraten ist. Und genau das, verbunden mit einer tief empfundenen Herzenswärme für seine Figuren und deren kleinen und großen Unglücke, ist es auch, was Mia Madre zu einem Film macht, der für so manche heimlich aus dem Augenwinkel gewischte Träne sorgen wird.

Margherita (gespielt von Morettis Stammschauspielerin Margherita Buy) ist Regisseurin und steckt gerade mitten in den Dreharbeiten zu einem neuen Film, als ihre Mutter schwer erkrankt und in ein Krankenhaus gebracht werden muss. Fortan muss die Filmemacherin trotz der Sorge um ihre Mamma die Zügel am Set in der Hand behalten, was auch wegen der frischen Trennung von dem Schauspieler Vittorio (Enrico Ianniello), der in ihrem neuen Film eine Rolle hat, gar nicht so leicht ist. Zudem sorgt Barry Huggins (John Turturro), ein eigens aus den USA eingeflogener und recht kapriziöser Darsteller, für einige Unruhe. Klar, dass sich in dieser Ausnahmesituation, in der Margherita steckt, vor allem vor ihrem Bruder Giovanni (Nanni Moretti) Berufliches und Privates immer schwerer auseinanderhalten lassen. Film und Leben bedingen sich gegenseitig, scheinen sich zunehmend zu kommentieren, Motive, Satzfetzen, Gedanken, Sorgen und Nöte flotieren mühelos in beiden Sphären und rauben Margherita nicht nur den Schlaf, sondern auch immer mehr die Fassung. Die Zeit des Abschieds ist gekommen und eigentlich ist Margherita noch gar nicht bereit dafür.

Mia Madre ist ein Film über ebendiese Zeit des Abschiednehmens, über verpasste Gelegenheiten und Fehler der Vergangenheit, die sich nicht mehr wiedergutmachen lassen, wenn derjenige, um den wir uns sorgen, tot ist. Daraus wäre bei anderen Regisseuren leicht ein weinerlicher, mit Bedeutung überfrachteter Film geworden, doch wie so häufig findet Moretti eine ganz eigene Balance zwischen Tragik und Humor, Anteilnahme und Heiterkeit, für die vor allem John Turturro als Schauspieler am Rande des Wahnsinns sorgt. Seine überbordende Selbstüberschätzung, seine Geschichten (angeblich, so behauptet Barry Huggins immer wieder, habe der große Stanley Kubrick mit ihm drehen wollen), seine exaltierten Späße, bei denen man nie ganz sicher sein kann, ob sie nicht vielleicht doch ernst gemeint sind, sorgen für etliche Lacher, die dem Film trotz aller Ernsthaftigkeit eine gleichzeitige Leichtigkeit geben, wie man sie in dieser Form nur bei den großen Humanisten und Menschenfreunden des Kinos wie beispielsweise Mike Leigh findet. Wie in dessen Another Year fühlt man sich auch bei Mia Madre nachdenklich gemacht und zugleich auf seltsam vertraute Weise gehoben.

Und an noch einen weiteren Regisseur fühlt man sich in den letzten Jahren erinnert: Mit dem Woody Allen der mittleren Schaffensperiode verbindet Moretti die Fähigkeit, Heiterkeit und Tiefsinnigkeit, die großen Gedanken und die kleinen Details scheinbar mühelos miteinander zu verknüpfen und in unaufgeregten, manchmal scheinbar banalen Bildern vieles zu erzählen über die Leichtigkeit und gleichzeitige Schwere des Menschseins, über die Trauer, den Tod und die Liebe – und nicht zuletzt auch über sich selbst.
 

Mia Madre (2015)

Während der Dreharbeiten zu „Habemus Papam“, der im Jahre 2011 in Cannes seine Premiere feierte, verstarb Nanni Morettis Mutter, die Latein- und Griechischlehrerin war. Vier Jahre später kehrte der Regisseur 2015 mit „Mia Madre“ an die Croisette zurück – und wenn man einmal davon absieht, dass Moretti in seinem neuen Film keinen Filmemacher spielt, sondern den Bruder einer Regisseurin, ist unschwer zu erkennen, wie persönlich und autobiografisch das Werk geraten ist.

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