Camino de Santiago

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wir sind dann mal weg

Im Hochmittelalter diente er dem Norden der Iberischen Halbinsel als Hauptverkehrsachse, heute tummeln sich dort Tausende Pilger: Der „Camino de Santiago“, der Jakobsweg, boomt. Ein Dokumentarfilm aus der Schweiz versucht, das Phänomen zu ergründen.
Er reicht von den Pyrenäen bis zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Auf knapp 800 Kilometern verbindet die Strecke die Königsstädte Jaca, Pamplona, Estella, Burgos und Léon. Im vergangenen Jahr waren dort mehr als 200 000 Pilger unterwegs, 1970 gerade einmal 68. Doch woher kommt die Lust am Pilgern, die nur noch in wenigen Fällen religiös motiviert ist? Nur eine der Fragen, denen Jonas Frei und Manuel Schweizer in Camino de Santiago – Eine Reise auf dem Jakobsweg nachgehen.

Die Gründe der Pilger sind so vielfältig wie deren Gesichter. Es sind alte wie junge darunter, europäische wie asiatische. Camino de Santiago pickt sich unzählige davon heraus, lässt sie am Wegesrand, in Herbergen oder in Kirchen zu Wort kommen. Neben den Pilgern interessieren sich Frei und Schweizer für diejenigen, die das ganze Jahr am und vom Weg leben: Anwohner, Aussteiger, Geistliche, Herbergsväter und -mütter. Denn der Pilgerweg ist längst ein einträgliches Geschäft, bringt Arbeitsplätze in den spanischen Norden.

„Ein Weg, tausend Schicksale“, steht im Presseheft des Films. Das schürt Erwartungen. Doch Frei und Schweizer bleiben diese schuldig. Anstatt sich auf einen oder einige wenige Protagonisten zu konzentrieren, filmen die beiden alles, was ihnen gerade vor die Kamera läuft. Diese lose, recht demokratische Erzählhaltung wirkt schnell beliebig – zumal kaum einer der Protagonisten etwas Bedeutendes zu sagen hat. Die Schicksale stellen sich schnell als allzu banale Alltagssorgen heraus. Mehr als gestresste Koreaner, die sich etwas Ruhe erhoffen, oder ältere Männer, die sich eine berufliche Auszeit gönnen, sind in Camino de Santiago nicht drin. Haben die Regisseure endlich einmal einen Charakterkopf vor der Linse, der den Anschein erweckt, tiefere Einblicke in sein Seelenleben zu gewähren, ist die Kamera schon wieder woanders. Wo Nachzuhaken angebracht wäre, flüchtet sich Camino de Santiago in die nächste Landschaftsaufnahme.

Immerhin: Die Ansichten der Natur und die Architektur der Städte sind ab und an ganz ansehnlich. Wenn gleich zu Beginn die Kamera über einige Wanderer hinweggleitet und während ihres Flugs den Blick auf das satte Grün der Pyrenäen eröffnet, hat der Zuschauer eine Ahnung davon, wohin Camino de Santiago hätte steuern können. Doch kurz nach dieser Exposition geht es auch mit der technischen Umsetzung bergab. In Innenräumen, besonders in Kirchen, hallt der Ton unangenehm. An der frischen Luft ist der Wind teilweise so laut, dass sich die Aussagen der Protagonisten nur aus den Untertiteln erschließen. Der Rest wird von einem Klangteppich zugedeckt, der jedes Klischee der Wander- und Folkmusik bedient.

Die visuelle Ebene steht dem in nichts nach. Viele der Aufnahmen sind verwackelt, wirken so, als hätten die Filmemacher die Objekte aus großer Entfernung mit dem Zoom herangeholt und dann nicht richtig still gehalten. Ihr liebstes Stilmittel: die Luftaufnahme. Unentwegt fährt die Kamera auf engstem Raum an Kirchen und Kathedralen empor oder steigt auf öffentlichen Plätzen in die Höhe. Durch die enorme Redundanz dieser Einstellungen verpufft deren Effekt aber nicht nur recht schnell. Viele dieser Bilder sind qualitativ schlicht nicht kinotauglich. Wenig geeignet erscheint auch der Einsatz von Zeitraffer. Gemeinsam mit schlecht getimten Auf-, Ab- und Überblendungen verdichtet sich das Gefühl, ein privates Urlaubsvideo auf der großen Leinwand zu sehen.

Weniger wäre hier deutlich mehr gewesen: weniger Protagonisten, weniger Musik und weniger Luftaufnahmen. Dafür etwas mehr Mühe bei der Erzählung. Einziger roter Faden bildet die zurückgelegte Strecke. So verkommt Camino de Santiago zur reinen Aneinanderreihung mal mehr, meist weniger tiefgründiger Statements. Das wirkt nicht nur amateurhaft, sondern auch ziemlich belanglos.

Camino de Santiago

Im Hochmittelalter diente er dem Norden der Iberischen Halbinsel als Hauptverkehrsachse, heute tummeln sich dort Tausende Pilger: Der „Camino de Santiago“, der Jakobsweg, boomt. Ein Dokumentarfilm aus der Schweiz versucht, das Phänomen zu ergründen.
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