Scarred Hearts - Vernarbte Herzen

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Zauberberg am Meer

Gedanken an Thomas Manns Zauberberg stellen sich schnell ein: Der 20-jährige Emanuel (Lucian Rus) wird von seinem resoluten Kaufmannsvater im Jahr 1937 in Rumänien in ein Sanatorium gebracht. Er ist an Knochentuberkulose erkrankt, zudem wird dort die Pottsche Krankheit diagnostiziert, eine eitrige Entzündung der Wirbelsäule. Erst muss sich Emanuel an das Liegen gewöhnen, er wird punktiert, damit die Eiterblase nicht platzt und sein Blut vergiftet, dann wird sein Oberkörper eingegipst, um die Wirbelsäule zu stützen und er wird fortan ständig, eventuell jahrelang liegen müssen, stets auf die Hilfe anderer angewiesen sein.
Emanuel hat eben nicht, wie er selbst bemerkt, die romantisch-schöne Version der Krankheit bekommen, die Lungentuberkulose, deren schwindsüchtiger Verlorenheit er sich hingegeben könnte. Nein, sein Leiden ist seinem Körper anzusehen und anzumerken. Nicht nur deshalb ist Emanuel trotz dieser exzentrischen Gesellschaft von Moribunden, in der er sich befindet, kein Hans Castorp, sondern ein weitaus lebenssüchtigerer junger Mann, der gerne diskutiert, nachdenkt und Pläne für die Zeit nach dem Sanatorium macht. Und Scarred Hearts von Radu Jude ist auch keine weitere Verfilmung des Werks von Thomas Mann, sondern eine lose Adaption des Romans Zernarbte Herzen sowie weiterer Schriften und Briefen von M. Blecher, der in den 1930er Jahren selbst an Knochentuberkulose erkrankte. Der rumänisch-jüdische Autor wurde in den Jahren des Faschismus und Stalinismus in die Vergessenheit gedrängt, seit den 1990er Jahren wird er aber in Rumänen und auch im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt.

In seinen Texten verarbeitet Blecher seine Erfahrungen und Erlebnisse mit dieser Krankheit, in der Adaption sind zwischen den Sequenzen Textpassagen montiert, aus denen die Gedanken und Gefühle des Protagonisten ersichtlich werden. Es wirkt in keiner Weise manieriert oder prätentiös, sondern fügt sich sehr gut in die Gesamtstimmung des Films ein, in der der Protagonist immer wieder reflektiert, inwieweit Mobilität und Glück, Gesundheit und Zuversicht zusammenhängen, und über den Tod nachdenkt. In dem Sanatorium am Meer haben sich die Menschen mit den Einschränkungen und der Willkür der Krankheit abgefunden, sie treffen sich abends und feiern, die Hälfte der Gäste wird vom Pflegepersonal in den Betten hingefahren. Sie diskutieren Antisemitismus, Faschismus, Hitler, die politische Situation in Rumänien, aber sie reden auch über und haben Sex. Emanuel verliebt sich ein wenig in die Serbin Solange (Ivana Mladenović), die ebenfalls erkrankt war, aber das Sanatorium verlassen konnte und nun in dem nahegelegenen Ort lebt. Wenn man sich einmal an das Leben dort gewöhnt habe, so wird Emanuel aufgeklärt, kann man diesen Ort nicht mehr verlassen. Zugleich aber verkörpert Solange für ihn auch eine Zukunftsaussicht: Sie kann alleine leben, sich ohne Hilfe fortbewegen, sie hat die jahrelange Behandlung überstanden und ist nun gesund.

Radu Jude verlagert in seinem Film die Handlung von Frankreich nach Rumänien und kann dadurch im Bild und Dialog immer wieder Verweise auf die politische und gesellschaftliche Situation dieser Jahre einweben: Kultur und Bildung blüht, die gut situierten Patienten reden über Lyrik und immer wieder Politik, zugleich aber zeigt sich die Diskriminierung der Roma und auch Emanuel wird angefeindet, weil er Jude ist.

Heutzutage kann man Filmen, die in der Vergangenheit und gerade in einer gut bebilderten Zeit wie den 1930er Jahren spielen, oftmals das Bemühen ansehen, besonders „historisch“ zu wirken. In Scarred Hearts aber fügen sich Ausstattung, Kostüme und insbesondere das Schauspiel gleichsam natürlich ein, hinzu kommt ein klassisches 4:3-Bildformat mit abgerundeten Ecken, das das Bild (Kamera: Marius Panduru) auf der Leinwand beschränkt und zugleich den Eindruck verstärkt, in einen Schaukasten der Vergangenheit zu blicken. Darüber hinaus übernimmt die Kamera in den Sequenzen des Sanatoriums die Statik dieses Lebens, es gibt lange, ruhige, nahezu unbewegliche Einstellungen, die mit der Bewegungslosigkeit der Patienten korrespondiert. Dadurch verlangsamt sich auch das eigene Gefühl von Zeit, man gewöhnt sich an die Langsamkeit und Kontemplation dieses Lebens, so dass das „gesunde“ Leben, in das man am Ende kurz eintaucht, unwirklich hektisch anmutet.

Scarred Hearts - Vernarbte Herzen

Gedanken an Thomas Manns „Zauberberg“ stellen sich schnell ein: Der 20-jährige Emanuel (Lucian Rus) wird von seinem resoluten Kaufmannsvater im Jahr 1937 in Rumänien in ein Sanatorium gebracht. Er ist an Knochentuberkulose erkrankt, zudem wird dort die Pottsche Krankheit diagnostiziert, eine eitrige Entzündung der Wirbelsäule.
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