Die Schüler der Madame Anne

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Lauter gute Absichten

Die Probleme Frankreichs mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien schaffen es immer wieder bis in die Fernsehnachrichten. Nämlich dann, wenn sich die Wut der jungen Bewohner Pariser Banlieues über ihre gesellschaftliche Randexistenz in Gewalt und Unruhen entlädt. In jüngerer Zeit häufen sich auch antisemitische Übergriffe muslimischer Franzosen. Die Schüler der Madame Anne erzählt nun von einer 11. Klasse am Gymnasium der Pariser Problem-Vorstadt Créteil, aber es handelt sich zur Abwechslung um eine positive Geschichte, die sich ähnlich auch in Wirklichkeit zugetragen hat. Der 20-jährige Co-Autor und Hauptdarsteller Ahmed Dramé entwarf ein Drehbuch auf der Basis seiner schulischen Erlebnisse und schickte es an die Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar (Willkommen in der Bretagne), die sich sofort für den Stoff interessierte.
Der Spielfilm sucht den Schulterschluss mit erfolgreichen französischen Pädagogenfilmen wie Die Kinder des Monsieur Mathieu oder Laurent Cantets Die Klasse. Denn auch hier schafft es eine engagierte Lehrkraft, Problemschüler auf den richtigen Weg zu bringen. Anne Gueguen (Ariane Ascaride), wie Dramés ehemalige Lehrerin im Film heißt, meldet ihre schwierige 11. Klasse für die Teilnahme am jährlichen Landeswettbewerb zu Widerstand und Deportation an. Die Schüler setzen sich freiwillig und zusätzlich zum normalen Unterricht mit dem Schicksal französischer Kinder und Jugendlicher auseinander, die in die Konzentrationslager der Nazis deportiert wurden. Ihre im Team akribisch recherchierte Arbeit gibt ihnen Selbstvertrauen, so dass schließlich auch das Abitur für die Mehrheit von ihnen kein illusorisches Ziel mehr darstellt.

Im Film werden Maliks Klassenkameraden von Laien gespielt, manche von ihnen stammen aus Créteil. Die Nähe zum Dokumentarischen verstärkt auch die Teilnahme Léon Zyguels, der die Schüler besucht, um über seine Jugend im Konzentrationslager zu erzählen, wie er es in der Realität auch oft tut. Sein Auftritt wirkt bewegend und eindringlich, aber beim häufigen Schnitt auf die betroffenen Gesichter der Schüler offenbart die Inszenierung Schwächen. Vieles ist in dieser Geschichte nämlich lobenswert und gut gemeint, wird aber plakativ und belehrend präsentiert. Die renitenten und mutlosen Schüler verwandeln sich relativ prompt in nachdenkliche, verantwortungsbewusste Mustereleven. Selbst die Schauspielerin Ariane Ascaride kann nicht verhindern, dass ihre Madame Gueguen in Schlüsselmomenten vom Pathos überrollt wird. Dabei erscheint die Lehrerin meistens glaubwürdig als fähige Person, die ihre Schüler respektiert. Sie fährt keinen Schmusekurs, vermag es aber, die Neugier der Jugendlichen zu wecken und sie zu motivieren, genauer hinzuschauen, sich einzubringen.

Überhaupt hat der Film viele positive Ansätze. Schon die Anfangsszene beweist seinen sozialkritischen Anspruch: Da erscheinen zwei Schulabsolventinnen mit Kopftuch im Gymnasium, um ihr Abiturzeugnis abzuholen. Es wird ihnen jedoch aus Prinzip nicht ausgehändigt, weil das Tragen eines Kopftuchs in der Schule verboten ist. Die ethnischen und kulturellen Konflikte verlaufen in diesem Film an vielen Fronten und es gibt keine klare Linie für ihre Lösung. Die Empfindlichkeiten der muslimischen Schüler werden thematisiert, aber auch der Druck, den junge Männer auf ein Mädchen ausüben, das sich strengen islamischen Kleidervorschriften widersetzt. Madame Gueguens Schüler lernen, zu differenzieren: Sie sind zwar benachteiligt, aber nicht chancenlos – und sie tragen selbst Verantwortung.

Indem sich die Schüler mit dem Holocaust beschäftigen, werden sie auch gegen Rassismus und Antisemitismus in ihrem Alltag sensibilisiert. Die Rolle, die Frankreich bei der Deportierung seiner jüdischen Bürger im Zweiten Weltkrieg spielte, wird kritisch gestreift, aber der Film schwenkt dann schnell wieder in unverfänglichere Gefilde. Insgesamt vertun Drehbuch und Inszenierung etliche Chancen, die anspruchsvollen Themen zu vertiefen. Dabei ist es vor allem um die jugendlichen Charaktere schade, die als talentiert und hoffnungsfroh eingeführt, aber in ihrem Entwicklungsprozess dann nicht mehr so aufmerksam begleitet werden.

Die Schüler der Madame Anne

Die Probleme Frankreichs mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien schaffen es immer wieder bis in die Fernsehnachrichten. Nämlich dann, wenn sich die Wut der jungen Bewohner Pariser Banlieues über ihre gesellschaftliche Randexistenz in Gewalt und Unruhen entlädt. In jüngerer Zeit häufen sich auch antisemitische Übergriffe muslimischer Franzosen.
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Meinungen

Rosemarie Heller · 25.11.2015

Sehr wertvoll, sollte für alle Jugendlichen und nicht Jugendlichen ein Muss sein.

Sylvia Dürr · 23.11.2015

Der beste Film 2015. Aktueller denn je! Klasse!