Amok - Hansi geht's gut

Auf dem Weg zum Mörder

In langen, ungeschnittenen Sequenzen schleicht die Kamera Lorenz Fuchs hinterher, der allein in der Wohnung seiner Mutter lebt, wo die Umzugskartons sich stapeln, unwohnlich, aber genügend für den einsamen und offenbar übellaunigen Mann. Einer, der den Alltag resigniert annimmt, wie er kommt, der die Menschen meidet, der nur noch existiert, aber nicht wirklich lebt. Einer, der sich eingerichtet hat in desillusionierter Verbitterung, der sich seinem Dasein angepasst hat, von dem er nichts mehr erwartet; einer, der alles erduldet. Wenn er seiner Ex-Frau – die seine Nachbarin ist – ausweicht und lieber die Treppe als den Aufzug nimmt; auch, wenn er sich nicht gerne in Gespräche verwickeln lässt, auch, wenn ihm sein Schicksal gleichgültig ist, wenn seine Firma in Konkurs geht, wenn vieles auf dem Spiel steht: innere Erregung, Abneigung oder Anteilnahme sind nicht vorhanden, Leidenschaft für oder gegen etwas kennt er nicht mehr.
Sein abgestumpftes Leben bekommt einen Dämpfer. Der Chef ruft ihn zu sich. Und in einer grandiosen Performance lässt Charly Hübner in dieser Rolle eine Tirade des durchökonomisierten Denkens ab, eine Kette von Floskeln der Wirtschaftsdiktatur, die in ihrer Menschenverachtung kaum übertrieben wirkt: Schlichterhand erkennt er in Fuchs einen Gleichgesinnten, in dessen Kälte, in dessen Leidenschaftslosigkeit, in dessen Konzentration auf das Wesentliche, zu dem Gefühle sicherlich nicht gehören. Kurz: Fuchs soll seine Wut, seinen Ekel effektiv umsetzen, Fuchs wird mitgenommen in die Konzernzentrale nach Hamburg. Ein beruflicher Aufstieg, während drumherum die Kollegen ins Nichts fallen.

Die Beförderung ist beunruhigend. Sie wühlt auf. Er kann mit niemandem reden. Die Menschen, die auf der Straße an ihm vorbeilaufen, sind fremde, exotische Lebewesen. Der Schnapsladen lockt. Die Instant-Spaghetti aus der Mikrowelle reichen nicht. Ein Essen im Restaurant: Das Ritual der Feier adaptiert Fuchs für sich, auch wenn beim Chinesen unerträgliche Dudelmusik lauert. Und es Bier gibt. Viel Bier. Fuchs ist trockener Alkoholiker.

So genau, so unerbittlich Zoltan Paul bis hierhin seinen Protagonisten, dessen Lebensverhältnisse gezeichnet hat, ohne je zuviel zu verraten, ohne ganz in dessen Geheimnis einzudringen: hier gerät der Film in die Falle einer Begründung, einer Motivation. Der exzessive Alkoholkonsum, der Rückfall in alte, destruktive Gewohnheiten ist die einzige (und geringfügige) Schwachstelle dieses ansonsten durchweg konsequenten Films; ein zu starkes Element, das das Grundkonzept aus dem Gleichgewicht bringt – das aber wieder ausgeglichen wird im weiteren Verlauf, der geprägt ist von zunehmender Bedrohlichkeit. Als sich Fuchs eine Waffe besorgt. Und als losgeht, was der Titel verspricht.

Lange hat Paul mit seinem Darsteller Tilo Nest an dem Charakter gearbeitet, hat alle Facetten ausgefeilt und durchdacht; um dann in zehn Drehtagen den Film zu erschaffen, auf Grundlage eines siebenseitigen Treatments, keines detailliertes Drehbuch, wenn auch mit klarer ästhetischer Konzeption. Lange Plansequenzen erzeugen einen Sog, der in die Psyche, in die Denkweise von Fuchs hineinführt, die ihn plausibel, aber nicht verständlich oder gar entschuldbar zu machen – in genau dieser Hinsicht ist der Alkoholkonsum etwas kontraproduktiv, aber das ist der Preis dafür, von Tag zu Tag zu drehen, mit improvisierender Drehplanung… Und er nimmt der Wirkung des Films wenig, diesem Gang ins Unvermeidliche, dieser negativen Passionsgeschichte dessen, der das Leben als etwas Überraschendes nicht mehr ertragen kann.

(Harald Mühlbeyer)

Ein ausführliches Interview mit Regisseur Zoltan Paul über seinen Film finden Sie in unserem B-Roll Blog: Zum Interview.

Amok - Hansi geht's gut

In langen, ungeschnittenen Sequenzen schleicht die Kamera Lorenz Fuchs hinterher, der allein in der Wohnung seiner Mutter lebt, wo die Umzugskartons sich stapeln, unwohnlich, aber genügend für den einsamen und offenbar übellaunigen Mann. Einer, der den Alltag resigniert annimmt, wie er kommt, der die Menschen meidet, der nur noch existiert, aber nicht wirklich lebt.
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