Es war einmal Indianerland (2017)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Aller Jugend Anfang

Die Dunkelheit des glitzernden Sternenhimmels, eine neon-pink-strobo-beleuchtete Freibad-Party, energische Electro-Bässe, junge Menschen, Rausch. Ilker Çataks Debüt Es war einmal Indianerland hängt sich scheinbar verspätet an den dunklen Neon-Hype der vergangenen Jahre – in Deutschland erfolgreich etwa mit Victoria (Sebastian Schipper, 2015) oder Der Nachtmahr (Akiz, 2015), international durch Nicolas Winding Refn schon wieder zur eigenen Ironie getrieben. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich jedoch ein höchst eigenwilliger Coming-of-Age-Film, der beständig mit der Suche nach einer eigenen Bildsprache kämpft.

Im Plattenbau der Hamburger Vorstadt bereitet sich der 17-jährige Mauser (Leonard Scheicher) auf einen entscheidenden Boxkampf vor, trifft die mysteriös-bezaubernde Jackie (Emilia Schüle), wird von der eigenwillig-wirren Edda (Johanna Polley) verfolgt, streitet sich mit seinem kleinkriminellen Freund und Nachbarn Kondor (Joel Basman) und muss währenddessen irgendwie damit klarkommen, dass sein Vater Zöllner (Clemens Schick) gerade einen Mord begangen hat.

Klingt schlimm nach Schullektüre und die gleichnamige Romanvorlage von Nils Mohl, der auch das Drehbuch schrieb, scheint diesem Gefühl zunächst recht zu geben. Es treffen Figuren aufeinander, deren Milieus und Verhaltensweisen direkt aus den Beschreibungen übermäßig ambitionierter Unterrichtsmaterialien zu stammen scheinen. Kein Jugendlicher, überhaupt niemand, redet so! liegt als altbewährter Einwand bereits auf der Zunge. Und in der Tat hat Es war einmal Indianerland vor allem mit der Künstlichkeit seiner Dialoge zu kämpfen, mit den gestelzten Kalendersprüchen, die er seine Figuren in den unpassendsten Momenten absondern lässt. Gerade gegen dieses Ringen mit seiner wenig filmischen Vorlage bringt der Film jedoch die Suche nach einer eigenen Bildsprache in Stellung – einer Bildsprache, die das Aufwachsen, den zerbrechlichen Moment des Erwachsenwerdens, einzufangen vermag.

Und schon ist es ein Stück weniger störend, dass der Film auf Figurentypen zurückgreift, die aus unzähligen Jugendromanen bereits bekannt scheinen. Vor allem ist dies der Besetzung zu verdanken, die eine Balance zwischen Stereotypen und menschlichen Figuren erreicht und in diesem Wechselspiel gelegentliche Brillanz zeigt. Dem Film geht es aber schließlich auch gar nicht darum, den linearen Verlauf einer bestimmten, konkreten Erzählung zu zeigen – immer wieder müht er sich mit der Befreiung vom Konkreten hin zum Allgemeinen ab. Es geht um das Aufwachsen und um die Jugend, es geht um eine Zeit, die sich nicht linear erzählen lässt und für die der Film zu immer wieder ineinander geschobenen Rückblenden greift, verbunden durch ein Vor- oder Zurückspulen der Ereignisse.

Auch hier: Was zunächst abgegriffen scheint, Einblendungen des Doppelpfeil-Icons bei jedem Spulen und zur chronologischen Einordnung verhelfende Zeitangaben, entwickelt sich zunehmend zu jener Idee, nach der alles im Film strebt – das Erwachsenwerden als unbestimmte Zeit, als Zwischenzeit, die kein biographischer Abschnitt ist, sondern mehr als alles andere ein Gefühl. Es war einmal Indianerland gelingt das Abstreifen seiner vordergründig wenig interessanten Erzählung von typisch-jugendlichen Problemen – Familie, Freunde, Liebe – leider erst spät, dafür aber beeindruckend. Denn letztlich ertränkt der Film jede narrative Konkretion, die ihn nur aufzuhalten scheint, im Rausch eines Musikfestivals. Erst hier lässt er endlich jede Form kausaler Abfolge, jede doch noch klassische Erzählung zurück und blendet in den gelösten Exzess gelebter Jugend.

Der Moment der Befreiung von den Eltern ist der Moment des Erwachsenwerdens, das Ende der Jugend ist ihr eigentlicher Kern. Das Leben im Jetzt mit seinem Widerspruch ewiger Gegenwärtigkeit ist gerade kein Moment und gerade nicht als Ereignis erzählbar. Wie Es war einmal Indianerland zeigt, ist es im Gegenteil die Auflösung von Ereignissen und Chronologie. Es ist der herrlich-verzauberte Rausch ohne Zeit, ohne Begründung und Konsequenzen, der das Erleben von Jugend ist und um dessen eigene Bildsprache der Film sich bemüht. Nicht alles gelingt auf der Suche nach einem filmischen Ausdruck für dieses einzigartige Erleben und besonders die altbackene Indianer-Romantik wirkt zusammen mit der Zeitschachtelung durch Vorspultasten seltsam unzeitgemäß. Es ist oft schade, dass der Film sich nicht energischer von seinen konventionellen Einschränkungen befreit – schließlich versteht aber Es war einmal Indianerland, wie filmisch die Jugend ist und welche Kraft sich in ihren Bildern entfaltet.
 

Es war einmal Indianerland (2017)

Die Dunkelheit des glitzernden Sternenhimmels, eine neon-pink-strobo-beleuchtete Freibad-Party, energische Electro-Bässe, junge Menschen, Rausch. Ilker Çataks Debüt „Es war einmal Indianerland“ hängt sich scheinbar verspätet an den dunklen Neon-Hype der vergangenen Jahre – in Deutschland erfolgreich etwa mit „Victoria“ (Sebastian Schipper, 2015) oder „Der Nachtmahr“ (Akiz, 2015), international durch Nicolas Winding Refn schon wieder zur eigenen Ironie getrieben.

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